Geschichten:Begegnungen - Im kleinen Ratszimmer

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Haselhain, Hassal’han Ammayin, kleines Ratszimmer, Boron 1037 BF

Draußen war es ziemlich frisch. Doch hier drin, in dieser gigantischen Festungstadt, spürte man davon nur recht wenig. Zumal das kleine Ratszimmer seinem Namen alle Ehre machte,unverhältnismässig viele Menschen sich darin eingefunden hatten und zudem ein kleines Feuer im Kamin brannte. An den Wänden kündeten Teppiche und Reliefs von vormaligen Besitzern der Festung, Babur-Nebachosja, Bosparaner, Raulsche, Nebachoten.

Und in mitten dieser lebendigen Geschichte saßen die jetzigen Herren über Festung und Land. Allen voran der junge Baron, der wieder genesen war, seine wiedergekehrte Vögtin, des Barons Onkel, der Kapathan der Shawar’Ahoou Hakim von Lanzenruh und einige weitere Ausgewählte von Hof- und dem Familienrat der Pfiffenstocks. Womit die Kapazitäten des Haiselhain-Zimmers deutlich gesprengt wurden und nur der junge Baron wusste wohl warum er diesen Ort und nicht etwa den bedeutend größeren Großen Ratssaal gewählt hatte.

Am Kopfende des langen, breiten aber recht flachen Tischs saß der dünne Siyandor mit ruhiger Mine in typischer süd-perricumer-nebachotischer Gewandung auf einem reich verzierten, tiefen Lehnhocker aus dunklem Holz, ein besonders großes Kissen erhöhte seine Sitzposition. Links und rechts von ihm saßen seine Vögtin und Hakim, ein mittelalter Nebachote mit gepflegtem Spitzbart und Lockenmähne gehüllt in die Wolfspelzbesetzte, traditionlle Kleidung der Garde Haselhains. Der Rest folgte entlang des Tisches sitzend oder stehend, nur Selo saß noch etwas abseits des Geschehens. Die Blicke der anderen verrieten, dass sie überrascht waren hier zu sehen.

Dann klopfte Lyn auf den Tisch, es wurde ruhiger und Siyandor erhob seine leise Stimme - die er bewusst mit einem stärkeren Dialekt belegte als er ihn eigentlich hatte: „Die Getter zum Gruße, Räte und Fam'ilie, ich, der Barun von Haselhain, Oberhaupt der Familie Fir'Enock, Nachfolger St. Simolds des Ainenden als Al’Hatim und First der Ammayin, habe dieses Treffen ainberufen lassen um mit euch den waiteren Werdegang Haselhains unter meiner Regentschaft zu besprechen. Im Zuge dessen mechte ich eich mainen Onkel Selo offiziell vorstellen. Dem Wunsch maines heldenhaft verstorbenen Onkels Simold entsprächend wird er in Haselhain als main Berater verblaiben und in dieser Funktion auch den kleinen und großen Ratssitzungen baiwohnen. Onkel stellt Eich vor.“ Der 11ährige hatte diese Begrüßung vorher geübt und so ging sie ihm recht flüssig über die Lippen, trotzdem merkte man ihm an einigen Stellen seine Unsicherheit an. Er sah herüber zu Selo und gab ihm das Zeichen aufzustehen, während einige der Anwesenden anfingen zu tuscheln oder Blicke auszutauschen.

Lyn ni Niamad von Brendiltal, die schon wie nur wenige andere zuvor über diese Ankündigung informiert worden war, beobachte die Reaktionen der Anwesenden. Ihr war schon vorher klar gewesen, dass dies sicher nicht von allen Anwesenden mit Wohlwollen zur Kenntniss genommen werden würde, und sie stellte fest, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Seit Selos Ankunft hatte es Getuschel gegeben, war er doch so ganz anders als sein Bruder, doch hatte fast ein jeder der Anwesenden hier damit gerechnet, dass sein Aufenthalt nur von kurzer Dauer sein würde.

Auch sie selbst war sich nicht ganz sicher, was sie davon halten mochte. Sie mochte Selo und verstand sich sehr gut mit ihm, doch befürchtete sie, dass er den Ansprüchen seiner Familie und seines Volkes nicht gerecht werden konnte. Ganz ähnlich wie Siyandor. Aber wie sollten sie auch? Sie standen alle im Schatten Simolds, auch sie. Selo trat währendessen mit einem leichten Schmunzeln ob des Dialektes seines Neffens an den Tisch, räusperte sich dann einmal unüberhörbar und begrüßte die Anwesenden ebenfalls: "Die Götter zum Gruße, mein Baron, werte Vögtin, Kapathan, Familie und noble Räte. Ich danke seiner Hochgeboren für das Wort und stelle mich hiermit vor. Ich bin Baronet Selo han Fir'Enock, meines Zeichens drittgeborenes Kind des großen Ca'sim han Fir'Enock, Bruder der weit geliebten Kadi Ariana und St. Simolds des Einenden han Fir'Enock, Baron, Stammesfürst, Al'Hatim und Heiliger." Es wurde langsam unruhig ob des formellen Geredes, dass die meisten Anwesenden noch von Simold nicht gewohnt waren und einige rollten mit den Augen, grinsten belustigt oder wollten aufbegehren, doch Selo und Siyandor verfolgten damit eine Idee und so fuhr Selo fort: "Und als dieser werde ich - nach Beratungen mit dem Baron und dem Al'Shuar - von nun an auf weiteres in Haselhain verweilen und zu Sitzungen des kleinen und großen Rates und der Familie als persönlicher Berater des Barons beiwohnen und ihn und seine Vögtin Lyn ni Niamad von Brendiltal nach besten Kräften unterstützen, so war es der Wille meines versterbenden Bruders, dessen Zeuge die Gesandten der 9 babur-nebachotischen Stämme waren." Und bevor die ersten erbost oder beleidigt aufsprangen, ihre Meinung zu diesem überhöfischen Zeremoniell konnte man ihnen ansehen, beendete Selo seine Vorstellung mit einem kecken Lächeln, das die meisten an Simold erinnern ließ: "So, würde ich sprechen, wenn ich die Erwartungen und Vorbehalte der meisten hier Anwesenden bestätigen wollen würde...doch liegt mir mehr daran wohlwollend im Land meiner Ahnen und meiner Familie aufgenommen zu werden, auch wenn ich ein garetischer Geck bin, wie die meisten wohl von mir denken und - in anbetracht meiner Abwesenheit eben dort - ich wohl eben auch einer bin." Die Stimmung erheiterte sich merklich nach diesem Umschwung und einige lachten, standen auf, klopften ihm brüderlich auf die Schulter oder feixten zurück, riefen "Selo Al'Raulii" oder ähnliches. Die erste Hürde war genommen.

Lyn war überrascht, dann schmunzelte sie. Damit hatte sie nun wahrlich nicht gerechnet, doch war sie von Selos Amtseintritt sehr beeindruckt. Er wusste von den Vorbehalten ihm Gegenüber und nutze sie gekonnt um seinen Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und als er diesen dann noch bildträchtig Wein eingoß und auf sie und den Baron trank taten es ihr die meisten nach. Selo hatte sie nun, "Geschickter Schachzug.", dachte Lyn und auch einige andere, die es ihm aber nicht übelnahmen sondern ihm zu diesem Trick freudig, blumig gratulierten. Währendessen saß Siyandor mit einem wissenden Lächeln zurückgelehnt da und beobachtete die Szene, hatte doch auch er seinen Anteil daran gehabt und deshalb um so mehr Freude daran.

Als sich einige Becher geleert hatten und wieder etwas mehr Ruhe einkehrte übernahm Selo erneut das Wort: "Der freudig-familieren Stimmung zum Trotz, denn ist mir nach den heiteren Worten doch auch eher zum Feiern zu Mute, wollen wir dennoch unserem Marben Siyandor dabei zu Seite stehen sich in den kommenden Zeiten zu beweisen. Denn auch wenn ihr mich zurecht für solcherlei Worte rügen wollen mögt, so wissen nicht nur wir dass St. Simold einen großen Schatten wirft und so sollten wir dem mit offenem und wachen Auge begegnen." Es wurde wieder etwas unruhiger, doch Selo wusste die Situation gekonnt zu nehmen. "Im Auftrag unseres Marben war ich in Morganabad und bevor ihr mir jetzt grämt, lasst mich euch gesagt haben, dass die Uneinigkeit die ich dort vorfand ein schnelles Handeln rechtfertigt. Denn auch wenn wir wissen was des Marbens Recht ist, gibt es doch so einige die noch eben den Namen St. Simolds im Munde führten und kurz darauf schon gegen dessen Weisheit sprechen. Einige clever und gewitzt, einige dreist und frech. Nur die weisesten unter ihnen wissen auch die Worte St. Simolds zu würdigen und nicht in Frage zu stellen, doch wäre uns, wäre dem Marben, nicht geraten sich nur auf diese zu verlassen und die anderen zu ignorieren. Denn ihre Zahl ist nicht gering, auch wenn sie selber keine Einheit bilden." Die Stimmung war wieder abgekühlt, bedeutungsschwer ließ Selo seinen Blick über die ungeduldigen Räte und zuletzt Siyandor schweifen, der ihm aufforderte fortzufahren, selbst gespannt was da kommen mochte. "Noch hält der Al'Shuar uns den Rücken frei, aber er wird auch nicht ewig sein und hat zur Zeit ganz andere Dinge zu tun und die Stimme des Al'Hareshs sprach nicht eindeutig für uns, vielmehr ließ er mehr Fragen als Antworten und gab keinem der Lager sein gewichtiges Wort. Und so müssen wir uns auf unsere eigene Kraft verlassen und Bündnisse schmieden und erhalten. So habe ich schon auf dem Treffen einige Wortführer für unseren Marben ausfindig machen können, denen von nun an unsere Aufmerksamkeit gelten sollte. In Haselhain selbst mag der Name und das Wort Simolds am meisten Gewicht haben doch auch hier sollten wir konsequent den Weg Simolds weiter verfolgen. Doch wir müssen auch klare Zeichen setzen so dass die anderen sehen dass es Siyandor mit den Traditionen hält und hinter ihnen steht. Deswegen sind meine wichtigsten Ratschläge an Euch, mein Marben, legt den Namen Ruchin ab und ehelicht möglichst schnell eine Nebachotin. Die Zweifler müssen sehen, dass Ihr es ernst meint und entschlossen handeln könnt, denn eines habe ich jetzt schon gelernt, Zögern wird Euch als Schwäche ausgelegt werden."

Lyn lauschte den Worten Selos gespannt und auch gebannt, wusste sie doch, dass er dabei war die Richtung für Haselhain zu bestimmen. Jedoch legte sich ihre Stirn in Falten, als er von Heirat sprach. Der Junge war eindeutig zu jung um sich selbst eine Braut zu erwählen, was hieß, dass Selo eine politische Hochzeit im Sinn hatte. Seinen nachfolgenden Worten konnte Lyn nur zustimmen, jedoch bezweifelte sie stark, dass eine nebachotische Braut die Stärke demonstrieren konnte, welche hier durch Taten gefragt war. Doch war hier nicht der Ort, um dies mit Selo zu besprechen, da es seine Position nur schwächen konnte, wenn sie ihm hier vor den Versammelten wiedersprechen würde. Und so ließ sie ihre Gedanken unausgesprochen und beobachtete stattdesen die Reaktion der Anderen.

Auch diese nahmen die Worte Selos mit gemischten Gefühlen auf. Einige stimmten ihm zu, wussten sie doch das auch Simold nie geheiratet hatte und nun sein Neffe statt sein Sohn hier vor ihnen saß, außerdem würde ein Zugeständnis an die Nebachoten diese wohl etwas gewogener stimmen. Doch auch wie Lyn wussten sie besser als Selo dass es damit nicht getan wäre. Bei dem Punkt der Namensgebung waren sich aber die meisten, vorallem die Vertreter des Familienrats, einig, ihnen gefiehl der Vorschlag Selos. Hatten sie doch den Namenszusatz immer schon als Defizit und als Bruch angesehen. Siyandor selbst betrachte das Ganze eher mit Gleichmut, zumindest oberflächlich, Den Namen seiner Mutter abzulegen schmerzte ihn schon, doch erkannte er auch den Schritt darin. Alle anderen diskutierten nunmehr lautstark das gehörte. Bis der alte Ramaro von Pfiffenstock aufstand und fragte: „Selo Al’Raulii, hiärmit begriße ich dich im Namen dainär Familiä von där du langä getränt warst, sähr langä, und wir allä hiär wissän wieso………doch nun bist du in unsärän Schosz zurick gekährt. Sai gegrißt, auch wänn dain Nebachoti klingt wiä ainä wänn ain Bauär auf ainän Blächaimär schlägt.“ Lautes Gelächter. „Siyandor schaint großäs auf dich zu haltän und du hast auch schon Plänä, doch laidär kennst du dich hiär kaum aus, also wälchäs där ährenwärtän Haiser der Nebachosja soll uns, den glorraichen Fir’Enock, zur Stärkä verhälfän?“ Wieder wurde es unruhig.

Auch wenn die Formulierung nett war wusste Selo, dass er hier noch keinen Sieg davon getragen hatte und vorallem die letzte Frage war eine offensichtliche Provokation, die Mitglieder des Rates, vorallem der Familie, verkannten immernoch die Angeschlagenheit der Pfiffenstocks und konnten dies nicht über ihren Stolz stellen. Trotzdem musste Selo jetzt vorsichtig sein. „Ich danke Dir,Ramaro, für deine Grußworte. Natürlich ist die Familie immer noch weitgeachtet und genießt hohes Ansehen ob ihrer Stärke, ihrer Traditionen und ihrer Geschichte. Und gerade deswegen sollten wir diese auch voran treiben. Namen habe ich noch nicht für dich, dafür kenne ich mich, wie du schon richtig bemerktest, hier noch nicht gut genug aus. Aber ich kenne schon einige der Fürsprecher und…“

„Du waiszt äs nicht. Du kännst die Familän nicht. Und so waiszt du auch nicht was Stärkä bedeitet, du bist ein Raulii auch wenn ich zugäbä dass du mich iberrascht hast. Soätwas braucht…“ unterbrach Ramaro ihn. Dann aber erhob sich der kleine Siyandor und die aufkeimende Hitzigkeit in die sich viele Beteiligten gerade hineinsteigerten ebbte ab und auch Ramaro hielt in seiner Ansprache inne. „Ich will mainä Zait hiär nicht värschwänden, Selo und Ramaro, ihr sprecht baidä wahrä Wortä und kennt gegensaitig noch viel von ainander lärnen. Abär ich duldä hiär kainen Zwist. Sammält Eire Vorschläge und tragt sie mir an, äs wird wohl nicht viel an där derzaitigen Lagä ändern, main geliebtär Onkäl Simold ist tot und ain Hailigär. Und ich habä die schwäre Bierde ihm nachzufolgän. Ich erkännä diese Bierde und werdä entsprechend handäln. Ich bin ain Kind zwaier Weltän und so sind äs auch mainä ehrvollän Ratsmitgliedär und so wärdän wir den Wäg der zwei Weltän gehen, wie äs main Onkäl vorgeläbt hat. Das ist main vorerst letztes Wort dazu. Lasst uns nun zum Taggeschäft ibergehen, dann sait ihr entlassen.“

Ruhig war es geworden und alle im Raum kamen nicht umhin zu bemerken wie erwachsen der kleine, kränkliche Junge vor ihnen bisweilen sein konnte.


(Vorgehender Heroldartikel: Treffen der nebachotischen Weisen und Gelehrten)