Geschichten:Aller Anfang - Erstens, zwotens, drittens

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„Onkel Horulf, Ihr habt nach mir schicken lassen?“ Der junge Mann betrat beschwingt das große Eckzimmer in der Staatscantzley, die während des Prozesses für allerlei weitere Amtshandlungen berstend überfüllt war.

Der angesprochene Horulf von Luring stand sofort auf von seinem Stuhl, den er sich ans Fenster geschoben hatte, um im ersterbenden Licht dieses Tsatages Dokumente zu studieren. Die Decke, die er sich auf seine mageren Beine gelegt hatte, rutschte dabei auf den Boden. Kurz blinzelte Luring zögernd, dann beugte er alterssteif das Knie und senket das schüttere Haupt, ehe er den jungen Mann mit der typischen schleppenden Stimme ansprach: „Eure königliche Durchlaucht, das ist in mehrerlei Hinsicht unglücklich gesprochen. Erstens habe ich keineswegs nach Euch schicken lassen, sondern um eine Audienz bei Euch erbeten, zwotens habe ich diese keinesfalls sofort erhalten wollen, sondern erst, wenn Ihr hierofür Zeit hättet, und drittens bin ich keineswegs Onkel Horulf.“

Alderan stutzte indigniert, fast beleidigt, dann aber teilte ein Lächeln die Wolken auf seinem Gesicht: „Ach was, Onkel Horulf, ‚ersten, zwotens, drittens‘ – warum soll ich denn nicht jetzt Zeit für Euch haben, warum sollte ich Euch, der Ihr doch älter seid, zu mir kommen lassen, als eben selbst herzukommen, und drittens sind wir doch verwandt, und ich habe Euch doch schon als Kind Onkel genannt!“ Er zog einen weiteren Stuhl ans Fenster und wartete, bis Luring sich gesetzt hatte, ehe er selbst Platz nahm.

„Durchlaucht, Ihr …“

„Durchlaucht? Die Krönung ist doch erst zum Jahreswechsel. Exzellenz.“ Den Titel sprach Alderan fast spöttisch aus, als wolle er die Ernsthaftigkeit der Angelegenheit ironisch durchbrechen.“

„Das ist ein Anfang. Exzellenz ist, was Ihr mich zukünftig nennen solltet, bis es Euch nicht ehr seltsam vorkommt. Und dann noch ein wenig länger. Und erst dann – wenn es ganz natürlich ist, auch Verwandte und Altbekannte in ihrer Funktion zu sehen und anzusprechen –, dann können wir meinethalben zum Onkel zurückkehren. Vorher nicht.“ Horulf zischte es fast.

„Moment – einerseits sollen wir hier auf Titel und Ehren achten, obwohl wir unter uns sind, aber dann soll ich doch machen, was Ihr sagt?“ Kerzengerade saß der Gareth-Spross, als er dies sagte.

„Jawohl, Durchlaucht. Und jetzt möchte ich eine Weile nicht unterbrochen werden. Ihre Majestät hat Euch das Vertrauen geschenkt, Euch die wichtigste und mächtigste Provinz dieses Kaiserreiches an ihrer Stelle anzuvertrauen. Sie hat Euch allerdings nicht damit beauftragt, diese sofort zu regieren. Das mache ich, bis Ihr so weit seid. Und das seid Ihr noch nicht. Moment – keine Unterbrechung, habe ich gesagt. Ich weiß, dass das schwer ist, ich hatte auch so einen Lehrer. Meinen Bruder. Bei der Besetzung des Hofes habt Ihr ein wichtiges Wort mitzureden, der Adel des Königreiches aber auch. Das wird ein schwieriger Prozess, bei dem Ihr schon kurz nach Eurer Krönung von sehr vielen Personen umgeben sein werdet, die eine eigene Agenda haben, die auf fremden Schiffen in den Hafen gelangt sind und die von vornherein planen, mit dem Amt auf eigene Rechnung Schindluder zu treiben. Es ist freilich nicht auszuschließen, dass der eine oder die andere es mit dem Amt, mit der Krone und mit Euch so ehrlich meinen wie ich. Ja: ich. Aber davon ausgehen dürft Ihr nicht. Da der Hof des Großfürsten nicht der Hof der Königin Garetiens sein wird, werden praktisch alle Positionen zur Disposition stehen, die sich Klein-Alrik so vorstellt, wenn er an den Königshof denkt. Nur zwei nicht: Eure und meine. Das ist der Wille Ihrer Majestät. Und sie war bei dieser Willensfindung gut beraten.“ Luring machte eine kurze Pause, denn beinahe hätte er ergänzt: von mir.

„Das bedeutet, dass Ihr Euch ganz und gar auf mich verlassen könnt und auf meinen Rat. Und zwar so lange, bis Ihr dessen nicht mehr bedürft. Ihr werdet den Zeitpunkt dann schon merken. Und dieser Zeitpunkt wird nicht so bald kommen. Ich habe erst vor kurzer Zeit meine Meisterschülerin zu eben jener politischen Vollkommenheit geleitet. Zurück zu ‚ersten, zwotens, drittens. Erstens gibt es im ganzen Königreich außer der Königin niemanden, zu dem Ihr gehen müsst. Alle müssen zu Euch kommen. Solltet Ihr doch einmal selbst gehen, dann ist dies ein Gunstbeweis, den Ihr öffentlich und wirksam zelebrieren müsst. Zwotens bestimmt stets Ihr, wann Ihr eine Audienz gewährt, allerdings mit einer Einschränkung: niemals sofort. Jede Audienz – auch die für Euren exzellenten Cantzler – erfolgt mit der Verzögerung Eurer Ehrenstellung. Drittens gewöhnt Ihr Euch besser früher als später an, das Ihr als königliche Durchlaucht dem Volk, dem Adel und dem Land vorsteht, indem Ihr es impersonifiziert. Ihr seid das Volk, der Adel und das Land, durch und durch, Durchlaucht. Fühlt es, indem Ihr es Euch sagen lasst und es akzeptiert, ohne nachzudenken.“

Alderan hatte geduldig zugehört. Nach einer Pause sagte er: „Gut, Ihr seid mein Cantzler und mein Lehrer, auch wenn Ihr wie mein Vater klingt. Ich werde auf das Acht geben, was Ihr sagt. Meine Gattin wird da allerdings ein Wort mitzureden haben, und deren Position am Hofe ist wie meine und Eure nicht verhandelbar.“

„Verstanden, Durchlaucht“, nickte Luring mit diesem wissenden Lächeln im Mundwinkel.

„Aber nun interessiert mich, weshalb Ihr Euren Boten geschickt habt, On..xzellenz. Das ganze ‚erstens, zwotens, drittens‘ kam ja erst danach.“

Luring wandte seinen Blick nicht vom Horizont, an dem die Sonne eben blutrot versank und ihren sterbenden Gruß in den tiefblauen Nachthimmel sandte. Fest in das Abendrot starrend, antwortete er: „Ich wollte mit Euch über Eure Rolle bei den Hinrichtungen sprechen.“

Alderan nickte tonlos.

„Ihr werdet bei allen Hinrichtungen anwesend sein – Ihr werdet die Krone vertreten, das Land und die Zwölfgöttliche Ordnung. Übermorgen früh werden zunächst die 13 bedauernswerten Kreaturen gehängt, denen keiner beigestanden hat. 13 – das ist misslich. Nach dem Mittagspraiosdienst werden die fünf Verurteilten hingerichtet, denen gnadenvoll der Kuss von Totentanz gewährt wurde. Der Roten Malwarth wird dann in den Abendstunden baumeln. Am nächsten Morgen dann sendet Ihr die 13 Verbannten ins Exil. Tja – 13, das ist wieder misslich. Den Großfuchs wird erst in Gareth enthauptet – Ihre Majestät wird das Urteil mit ihrem Beisein heiligen. Soweit, so klar?“

„Heiligen? Also das soll ich mit meiner Anwesenheit erwirken, die Heiligung der Henkerstat?“

„Durchlaucht: Die Delinquenten werden ihr Leben geben, weil sie wider die Zwölfgöttliche Ordnung gehandelt haben und sich dem Zwölfgöttlichen Gesetz beugen müssen, das die Krone und ihr Träger verkörpern. Ihr müsst lernen, eins zu werden mit dieser Berufung. Und Ihr müsst lernen, mit den Augen alles zu sehen und mit dem Herzen alles zu ertragen. Und nun lasst einem alten Mann seine Ruhe, Eure königliche Durchlaucht.“

Alderan erhob sich, der Cantzler ebenfalls, der erneut das Knie beugte. Doch Alderan hielt ihn auf: „Erstens, Exzellenz, ist es jetzt dunkel, da sieht keiner den Knicks, also braucht es ihn nicht. Zwotens gewähre ich Euch gern das Ende dieser Audienz und drittens wünsche ich Euch eine gute Nacht.“ Er drückte dem kleinen Mann, in dessen Händen die garetische Politik gebündelt war, die knochige Schulter und verließ das Zimmer.



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12. Tsa 1045 BF 18:30:00 Uhr
Erstens, zwotens, drittens


Kapitel 1

Fragen und Antworten
Autor: BB