Geschichten:Abgründe - Die Hoffnung sich zu irren

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Ritterherrschaft Ostbrisken am Fuße des Wachturms Hohenbrisken am 4.Travia 1042BF

Nur wenige Tage musste Hane allein im Keller zu Werke gehen. Es kam ihm dennoch wie eine Ewigkeit vor. Er war schon immer ein Mann gewesen, der die Anwesenheit anderer Menschen um ihn herum zu schätzen wusste, der die Gesellschaft brauchte, der erst richtig er selbst war, wenn er von anderen Menschen umgeben war. Umso schöner war es, dass sein guter Freund Tello Fuhrmann am Vortag auf Hohenbrisken angekommen war. So konnte Hane sowohl die Last der Steine als auch die Last auf der Seele teilen. Tellos besonnenes Gemüt war ihm dabei eine riesige Erleichterung.

„Die Erklärung wird sich schon im restlichen Keller finden. Vielleicht haben die ja auch ein Buch mit vergraben, das du lesen kannst, wo alles fein säuberlich beschrieben ist… Was die Zeichen bedeuten, was das für Knochen sind und wo die Leute hingezogen sind, die da vorher im Turm gewohnt haben.“ Ganz ernst meinte Tello das nicht, was dieser Hane mit einem Zwinkern zu verstehen gab.

„Schon klar, Tello… Das wäre doch mal entgegenkommend…“, entgegnete Hane mit leicht aufgehellter Miene und reichte dem kräftigen Bäckergesellen einige weitere Steine.

„Du wirst doch nicht etwa Angst haben? Du bist doch mit der Armee nach Tobrien gezogen, hast leibhafte Daimonen erschlagen und all diesen heroischen Kram… Da kann dir doch sowas hier keine Angst machen?!“ Tellos Stimme nahm einen herausfordernden Unterton an.

„Vielleicht habe ich ja hauptsächlich um dich Angst, Tello?! Immerhin könntest du mit deinen Riesenlatschen jederzeit über einen Stein stolpern und dir den Kopf einschlagen… Das lässt mir keine ruhige Minute hier unten…“, erwiderte Hane in einem betont besorgtem Tonfall.

„Hätte ich so schmale Schultern wie du, würden mir die Hasenfüßchen auch reichen. Ich bin halt eher ein Bär, als ein Kaninchen, weißt du?“ Tello plusterte sich zu voller Größe auf und präsentierte stolz seine Statur. Hane gab dem Bäcker einen freundschaftlichen Klapps auf den Brustkorb und lachte gelöst.

„Es ist gut, dass du da bist, Tello! Deine Lockerheit tut gut. Ganz zu schweigen davon, dass deine breiten Schultern so viel mehr Steine schleppen können als meine schmächtigen Klappergestelle hier… Wo wir gerade dabei sind – nimm mal…“ Lachend gab Hane einen großen Steinbrocken an Tello weiter – halb warf er ihn, halb reichte er ihn an. Tello schnaufte unter dem Gewicht… Nimm das! >schmale Schultern< und >Kaninchen< … du wirst schon sehen, in mir steckt einiges was nicht auf den ersten Blick erkennbar ist...

Im Laufe des Tages legten Hane und Tello einen weiteren Käfig frei. Die Gitterstäbe zeigten dieselbe regelmäßige Anordnung und ebenso eine Vielzahl an kryptischen Zeichen, die für die beiden Männer keinen Sinn ergaben. Die Abmaße des zweiten Käfigs schienen etwas kleiner als beim ersten Exemplar. Somit ging die komplette Freilegung dieser Zelle deutlich schneller als noch bei der ersten. Die Steine aus dem Innern bedeckten ebenfalls zahlreiche Knochen, wie sich mit den Stunden zeigte.

„Siehst du das, Tello? Diese feinen gebogenen Knochen stammen von einem geflügelten Tier. Die zahlreichen schmalen Knochen die davon abgehen stabilisieren die Schwingen. Von der Größe würde ich auf eine Eule tippen, vielleicht auch ein Greifvogel. Dafür erscheint mir die Spannweite aber nicht groß genug…“, erläuterte Hane.

„Wieviele Köpfe haben wir denn diesmal hier zu liegen? Ich erkenne nur einen, oder habe ich was übersehen?“, fragte Tello interessiert nach. Er war angespannt, aber auch neugierig. Die Knochen aus dem ersten Käfig hatte Hane auf eine Ledermatte fein in die Zelle drapiert, sodass es wie ein Ausstellungsstück der Exotenhändler aus Grambusch aussah. Doch das stückchenweise Entdecken der Skelettfragmente barg eine ganz andere Intensität für die Nerven, die Tello so nicht erwartet hatte.

„Wir haben jeden Stein einzeln herausgeholt und es ist nur dieser eine Schädel zurückgeblieben. Schau dir das an… relativ groß und rundlich der Schädel… die Augenhöhlen sind sehr tief und der Schnabel… so spitz wie der ist… auf jeden Fall der eines Raubvogels! Ich bleibe bei meinem ersten Tipp… das hier ist eine Eule!“ Hane erläuterte weiter sachlich die Erkennungsmerkmale der einzelnen Tiere. Dabei erinnerte er sich an die unzähligen Unterhaltungen mit seinem Vater, der ihm wohl das meiste dessen was er heute über die Waldbewohner wusste, beigebracht hatte.

„Das ist ja schön Hane. Jetzt haben wir eine Eule... Aber Eulen haben eigentlich keine vier Beine, richtig? Die anderen Knochen gehören wohl also zu einem anderen Vieh?“, unterbrach Tello Hanes Gedanken.

„Hmm, da könntest du recht haben, Detektiv Tello!“, erwiderte Hane und warf Tello ein schelmisches Grinsen zu, was ihm ob seiner Anspannung eher schlecht als recht gelang. „Ich denke das hier sind die Beinknochen, dann haben wir hier einen Teil der Wirbelsäule mit den ganzen Rippen… und dieses unförmige Ding ist wohl das Becken von dem Vierbeiner. Recht kurze Beine… Von der Größe her vielleicht ein Fuchs, ein Luchs oder ein anderer Hund. Hätte ich jetzt Abdrücke im Boden, könnte ich das eine wenigstens schon ausschließen…“

„Wie das denn?“, hakte Tello nach.

„Luchse können ihre Krallen einziehen, was Hunde und Füchse nicht können. Deshalb haben ihre Spuren meist keine Krallenabdrücke… Fellreste wären auch ein ziemlich einfach zu deutender Hinweis, aber hier sind nur blanke Knochen…“, haderte Hane ein wenig.

„So und wo ist der Kopf vom Hunde-Luchs-Fuchs? Oder der vom Wolf aus dem ersten Käfig? Wo sind die kurzen Stummelbeinchen der elenden Ratte aus dem ersten Käfig und wo die Krallenklauen der Eule aus dem zweiten Käfig hier? Warum überall nur diese Skelett-Teile?“ Tello guckte sich im Raum um, als hoffe er auf die Schnelle den Wolfskopf zwischen zwei Steinen zu entdecken.

„Das, mein Lieber, werden wir wohl erst wissen, wenn wir den Rest des Kellers freigeräumt haben… Hier ist noch verdammt viel Platz für weitere Käfige und Knochen…“ Hane schaute nachdenklich auf die Steine, doch sein Blick war leer, seine Gedanken weit weg.

Ich hoffe, dass ich falsch liege… Aber was wenn nicht? Verfluchter Seuchenforst! Bei allen Zwölfen, was tut dieser Wald nur mit den armen Tieren?! Wenn ich recht habe, dann ist dieser Eulen-Fuchs, oder Eulen-Luchs, oder was auch immer, ein Tier. Diese unförmigen Knochenfragmente könnten das sein, was die beiden armen Tiere zusammengefügt hat… Und über dieses Ratten-Wolf-Ziegen-Schlangen Unwesen will ich eigentlich gar nicht erst nachdenken. Ein Wolfskörper, der oberhalb der Brust zur Ziege wird, dazu ein großer Rattenkopf mit merkwürdig verkrümmten Knochenplatten, die vielleicht den Hals ausgemacht haben…Und die Schlange wird sich wohl am Hinterteil mit eingereiht haben, da wo normalerweise der Schwanz des Wolfes liegt. Puh, das ist ja als Knochenskelett schon reichlich… abscheulich. Wie soll das nur zu Lebzeiten ausgesehen haben? Und kann man überhaupt >Lebzeiten< sagen? Tello werde ich davon jedenfalls noch nichts erzählen… Nicht, solange ich mir nicht sicher bin… Das raubt ihm sonst unnötig den Schlaf… Ich hoffe, dass ich falsch liege.