Geschichten:Ein seltsamer Reigen
Wie sehr hatte sie sich das ersehnt. Sie hatten sich geliebt, wieder und wieder. Auf der Waldwiese zwischen Blumen, im Schilf am Seeufer, unter den Bäumen, alles vor der wildromantischen Kulisse hier in den Rakulahöhen, es war einfach herrlich. Und Ernhelm war ein sehr ausdauernder Liebhaber. Irnfrede hatte jeden Atemzug davon sehr genossen, sie hatte sich noch nie so lebendig gefühlt. Irgendwann war es schon zu dunkel, um noch zurück zum Dorf zu gehen, also hatten sie sich eng aneinander gekuschelt und waren glücklich zusammen eingeschlafen.
Mitten in der Nacht erwachte Irnfrede. Etwas hatte sich verändert. Sie richtete sich auf. Da sie etwas fröstelte, zog sie sich rasch ihre Bluse, ihre Hose und und ihre Lederjacke an. War da nicht ein seltsamer Singsang zu hören? Sie lauschte.
Dann sah sie plötzlich im Schein des vollen Madamals einen kleinen Weg, der in den Wald hinein führte, der ihr aber gestern noch gar nicht aufgefallen war. Wie eigenartig, dachte sie.
"Ernhelm?" fragte sie, doch der Ritter schlief tief und fest.
Irnfrde packte die Neugier, daher zog sie sich auch noch die Stiefel an und ging zu dem schmalen Waldweg.
Der Singsang wurde lauter, und schließlich erreichte sie einen Hügel, auf dem mehrere Menhire in einer seltsamen Formation angeordnet waren. Zwischen diesen Mehniren tanzten bizarr anmutende Kreaturen im Kreis. Einige musizierten auf Hornflöten, Zimbeln und Pauken, andere gaben seltsame Geräusche von sich, die wohl einen ihr unbekannten Gesang darstellen sollten. In der Mitte stand ein Dolmen, der wie ein großer Steintisch geformt war. Darauf thronte eine Gestalt aus Licht, die aussah wie eine hochgewachsene Elfe mit großen Schmetterlingsflügeln.
Irnfrede wußte nicht mehr klar zu sagen, ob sie wach war oder träumte. So etwas Seltsames hatte sie nie zuvor gesehen. Waren dies die Kreaturen der Anderswelt? Biestinger, Satyre und andere Feenwesen? Ihr Herz schlug schneller, der seltsame Reigen schlug sie völlig in ihren Bann.
Eine Weile noch beobachtete sie die Wesen bei ihrem seltsamen Tanz. Dann verspürte sie den immer stärker werdenden Drang, sich dem Tanze anzuschließen, und ein Teil des bizarren Reigens zu werden.
Sie fasste sich ein Herz und schritt mutig auf die Lichtung. Ein kleines Wesen mit Bocksbeinchen und Ziegenhörnern entdeckte sie zuerst und stieß einen kurzen Pfiff aus. Jetzt bemerkten sie auch die anderen und hielten inne. Irnfrede zögerte erst, dann hob sie ihre Hände in einer begrüßenden Geste. Der kleine Satyr kam vorsichtig zu ihr, ergriff ihre Hand, und führte sie in den Reigen, der sich wie auf ein stilles Kommando hin wieder in Bewegung setzte. Sie hüpften, tanzten, stießen Jubellaute aus, und Irnfrede machte mit. Sie ließ sich von dem zauberhaften Reigen völlig in den Bann ziehen. Immer wilder hüpfte sie, sprang sie und freute sich, ein Teil davon sein zu dürfen. Als der Tanz seinen Höhepunkt erreicht hatte, schwebte die Lichtgestalt langsam auf Irnfrede zu, während die anderen Wesenheiten respektvoll Abstand hielten. Irnfrede war etwas mulmig zumute. Hatte sie das Wohlwollen des Lichtwesens erlangt, oder seinen Zorn erregt?
Die Lichtfee reichte ihr ein güldenes Füllhorn, welches mit einen in regenbogenfarben schimmernden Flüssigkeit gefüllt war, die leicht prickelte. Irnfrede atmete aufgeregt, noch immer erschöpft von dem wilden Reigen, doch nahm sie das Füllhorn dankend entgegen. Die Lichtfee - oder auch Holde, denn um eine solche handelte es sich - bedeutete ihr zu trinken. Irnfrede verstand, und führte das Füllhorn langsam zu ihren Lippen. Dann trank sie das unbekannte Feen-Elixier. Plötzlich schwanden ihr die Sinne. Sie sah Farben, Formen, Lichter, Töne, Gerüche, alles drehte sich, alles schien nun ineinander zu fliessen. Irgendwann verlor sie das Bewusstsein und es wurde dunkel.
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