Geschichten:Eignungstest
Burg Rubreth, Boron 1047 BF
Zusammen mit Gunnolf schritt Orelan durch die eindrückliche Burganlage. Gunnolf führte ihn zu einem grösseren Platz, der aufgrund der herumstehenden Gerätschaften – so nahm Orelan an – als Übungsgelände für die Kampfausbildung von Truppen und Knappen diente. In der Mitte standen der Landvogt sowie eine in voller Rüstmontur dastehende Kriegerin.
«Euer Hochgeboren, ich möchte mich bei euch für den Empfang bedanken. Ich bin…» Rondradan hob lächelnd die Hand und bedeutete Orelan innezuhalten.
«Meine Knappin hier meint, dass wir keinen weiteren Hausritter benötigen würden. Die Zukunft gehöre der Jugend auf der Burg, die einen zeitgemässeren Fechtstil pflegte. Hier, ihr könnt meine Feder nehmen.»
Orelan nahm die Übungswaffe in die Hand und prüfte mit einfachen Schwüngen die Balance des Schwerts. Die Stärke war etwas zu wenig ausgeprägt, der Ort damit etwas zu schwer und deshalb die Waffe für sein Empfinden zu plump. Aber es würde schon gehen.
Dann trat Orelan auf die Knappin zu und nahm ihre linke Hand, um einen vollendeten höfischen Handkuss anzudeuten. «Hohe Dame, es wird mir eine Ehre sein, von euch eine Lehrstunde im zeitgenössischen Kampf mit dem Langen Schwert zu erhalten. Ich hatte lange Zeit kein solches mehr in der Hand, ich bitte also um etwas Nachsicht.» Halina Rondara von Trullen stand etwas verdattert da und eine leichte Röte stieg ihr zu Gesicht.
Gunnolf wandte sich ab, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Die Arme, dachte er bei sich. Auch Rondradan, der Orelan aus vielen Schlachten kannte, zuletzt vom Heerbann wider Haffax, musste sich auf die Lippen beissen.
Die Knappin wählte die Hut Ochs, begann mit schnellen Oberhäuen sowie Einwindungen und versuchte, eine Lücke in der Deckung von Orelan zu finden. Orelan verweilte im Nach und liess die Knappin einige Zeit gewähren, um dann für Halina völlig überraschend mit einem Schielhau und einem Nachreissen ihren Scheitel zu treffen. Trotz des Helms dröhnte ihr mächtig der Kopf, doch das weckte ihren Kampfgeist umso mehr.
Sie agierte nun aus der Hut Pflug und variierte geschickt Unterhäue und Oberhäue. Doch Orelan konterte eine ihrer Attacken mit einem Krumphau, windete sich ein und traf mit dem Knauf erneut ihren Helm und warf sie nach hinten.
Nun wendete Orelan das Kampfgeschehen, ging ins Vor und noch ehe sich die Knappin versah, stiess Orelan blitzschnell nach vorne und führte einen Zornhau aus. Dabei riss er sein Schwert über Kopf und rotierte zuerst nach rechts mit der kurzen Schneide, um kurz vor dem Treffpunkt das Handgelenk nochmals zu drehen, um mit Unterstützung der linken Hand am Knauf mit der langen Schneide rasch und wuchtig zum Kopf der Knappin zu schlagen. Ob der Finte lief ihre Parade ins Leere. Die Schwäche von Orelans Feder donnerte an ihren Helm.
Rondradan hatte ein Einsehen mit seiner Knappin. «Genug des Kampfes!» Halina riss sich den Helm vom Kopf und beugte sich vornüber, um Luft zu holen. Sie blickte auf und sah ins Gesicht ihres Gegners. Er sah sie lächelnd an, was schon unverschämt war, und nicht mal eine Schweissperle war auf seiner Stirn zu sehen. Galant griff er nochmals ihre linke Hand und deutete einen weiteren Handkuss an. «Es war mir eine Ehre, mit euch die Klinge zu kreuzen. Ihr habt Talent und offensichtlich einen ausgezeichneten Schwertvater.» Sie zog ihre Hand hastig zurück und stampfte sichtlich wütend davon, um einen Eimer kalten Wassers zu finden, in den sie ihren dröhnenden Kopf hineinstecken konnte.
«Und, euer Urteil?» wollte Rondradan wissen.
«Sie will mit dem Kopf durch die Wand, euer Hochgeboren, aber sie hat Talent und Schneid. Sie muss noch lernen, im Kampf ihre Wut zu bändigen. Ich hoffe doch, dass ich sie nicht zu hart am Kopf getroffen habe. Sie ist wahrlich eine Schönheit, es wäre ausserordentlich zu bedauern, ihr Schrammen zugefügt zu haben.»
Rondradan legte seine Hand auf die Schulter von Orelan. «Ich habe doch gesehen, dass ihr mit Absicht mit der flachen Seite zugeschlagen habt. Sie wird die heutige Lektion verkraften, nicht heute und nicht morgen, aber übermorgen. Ihr müsst hungrig sein. Kommt in die Taverne, dann besprechen wir alles weitere bei einem ausgiebigen Mahl. Es freut mich, dass ihr hier seid. Ich könnte euch gut gebrauchen.»
