Geschichten:Im Schatten des Walls - Ay Nurenuram!

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Der Mond schien über den zerklüfteten Felsen, als Leomir sich über den verletzten Körper seines Ritters beugte. Es wurde kälter, er hatte Angst. Amatus lag reglos da, das Bein unter einem schweren Stein eingeklemmt, das Gesicht blutverschmiert, die Lippen blass. Leomir schluchzte.

Ein Knurren ließ ihn erstarren.

Oben, auf einem Vorsprung, stand ein Berglöwe. Groß, muskulös, seine Augen schimmerten bedrohlich im Mondlicht. Neben ihm ein Mädchen, jung, aber nicht kindlich. Er hatte sie bereits von weitem gesehen, sie und den Schamanen. Ihre Haut war mit rotem Staub bedeckt, das Haar wild und silbern, geflochten mit Federn und kleinen Knochen. Sie trug ein Gewand aus Fellen, das an den Schultern offen war, und ihre mit Leder umwickelten Füße standen fest auf dem Stein, als wäre sie selbst Teil des Berges.

Sie sagte nichts. Ihre Augen ruhten auf Leomir, prüfend, fremd. Dann trat ein weiterer Schatten hervor, ein Mann, hager und hochgewachsen, mit kupferfarbener Haut und einem Stab, der mit Federn und Knochen geschmückt war. Der Schamane. Er hob den Stab und rief mit donnernder Stimme: „Ay Nurenuram! Zulumun!“

Der Boden vibrierte leicht. Der Schamane schlug den Stab auf den Fels, und ein Riss zog sich durch den Stein, der Amatus gefangen hielt. Er murmelte Worte, die wie uralte Magie klangen, rau und fremd. „Djadashtrat. Rodrat. Durud.“

Mit einem Knacken sprang der Stein zur Seite. Amatus war frei, doch bewusstlos. Leomir starrte die beiden Gestalten an, unfähig zu sprechen.

Das Mädchen bewegte sich plötzlich. Sie sprang den Hang hinunter, flink wie ein Tier, ihre Bewegungen geschmeidig und kraftvoll. Sie landete neben Leomir, beugte sich über Amatus und legte ihm eine Hand auf die Brust. Dann sah sie Leomir an und sprach leise: „Dard.“ Ihr Finger zeigte auf Amatus, danach zu sich und dem Schamanen. „Van.“

Ihre Stimme war rau, aber klar. Sie packte Amatus ohne Zögern, der Berglöwe legte sich neben den bewusstlosen Körper des Ritters und so konnte das Mädchen ihn hinaufziehen. Amatus stöhnte, während der Berglöwe nur tief schnaufte. Sie klopfte ihm auf die Flanke und sagte: „Wan. Tafsam.“

Der Berglöwe begann den Aufstieg, langsam und kraftvoll. Das Mädchen war schon wieder oben, als Leomir sich endlich bewegte. Er kletterte, Schritt für Schritt, die Finger blutig, die Beine schwer. Doch er folgte. Oben wartete der Schamane. Er sah Leomir an und sprach „Du bist Turu. Kein Tafsam.“ Auch wenn der junge Ochse nicht viel verstand, freute er sich über die gebrochenen Wörter Garethi zwischen der Sprache der Wilden.

Das Mädchen trat neben ihn. Ihre Stimme war fester als zuvor. „Shab.“

Leomir verstand so gut wie nichts. Aber hatte er eine Wahl. Sein Ritter war verletzt, die Nächte eiskalt, die Umgebung gefährlich.

Sie wandten sich wortlos ab und verschwanden in die Schatten der Felsen. Die Angst hatte Leomir weiter im Griff. Er war erst dabei, den Raschtulswall zu entdecken. Er war fremd und fühlte sich schwach, so dass er ihnen folgte.

Der Weg führte durch enge Felsspalten, über moosige Steine und unter hängenden Wurzeln hindurch. Die Luft wurde kühler, feuchter. Schließlich erreichten sie eine Höhle, verborgen hinter einem Vorhang aus Efeu und Schatten.

Drinnen war es dunkel, doch das Licht eines Feuers flackerte an den Wänden. Die Höhle war groß, die Decke hoch, die Wände bedeckt mit Zeichen, eingeritzt, gemalt, gebrannt. Spiralen, Tierformen, fremde Schriftzeichen, die wie lebendig wirkten. Der Rauch des Feuers stieg in dünnen Schlieren auf und vermischte sich mit dem Duft von Kräutern.

In einem Kessel über dem Feuer köchelte eine Suppe, dick, dunkel, mit Wurzeln und Fleischstücken, die langsam im Sud zerfielen. Daneben angebunden eine lebendige Ziege. Das Mädchen kniete bei ihr, hielt sie fest, während der Schamane mit ruhiger Hand ein Messer an die Kehle setzte. Kein Zögern. Das warme Blut den Ziegenhals hinab.

Leomir wich zurück, doch das Mädchen war schneller. Sie packte ihn am Arm, grob, nicht brutal, und schob ihn zum Feuer und drückte ihm eine Schale in die Hand. „Lesat.“

Leomir gehorchte. Er kauerte sich ans Feuer, den Blick auf die Flammen gerichtet. Die Wärme war das Einzige, was ihn nicht fremd anfühlte. Die Zeichen an den Wänden schienen sich zu bewegen, als würde etwas in ihnen leben. Er halluzinierte vor Furcht. Der Schamane murmelte Worte, während er das Blut der Ziege auf Amatus goss und seltsame Schriftzeichen mit Aschestaub in das frische Blut auf dem Oberkörper des Ritters zeichnete.

Niemand sprach mit Leomir. Niemand erklärte ihm etwas. Aber sie hatten ihn mitgenommen. Das Mädchen nahm eine Kelle und klatschte ihm den undefinierbaren Eintopf in die Schale. „Lesat.“ Er wusste nicht, was das bedeutete. Er nahm an, er sollte essen.

Er war nicht willkommen. Aber er war da.

Und die Wilden, sie duldeten ihn. Noch.


Links zur Ferkinasprache:

  1. Ferkina 1
  2. Ferkina 2



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Texte der Hauptreihe:
1. Hes 1048 BF 21:00:00 Uhr
Ay Nurenuram!
Unter Harpienschwingen


Kapitel 2

Autor: Treumunde