Geschichten:Sechs Legenden - Valdara von Mersingen
Sechs wunderbare Legenden von tapferen Maiden der Kaisermetropole Gareth. Gesammelt und niedergeschrieben im MXXXIX. Jahr des Falls Bosparans durch Marwan Nandrash Alfessir, dem ergebenen und demütigen Diener des weisen Einhorn zur allgemeinen Belehrung des Volkes Garetiens
Die Legende von Valdara von Mersingen
„Im einhundertelften Jahr seiner Regentschaft über das Mittelreich ernannte der Weise zu seiner Cantzlerin über das Königreich Garetien die Burggräfin Valdara der Menzelsmark aus dem Geschlecht derer von Mersingen. Sie übernahm damit die Führung des Zedernkabinetts, dem Kollegium der ehrwürdigen Burggrafen aus der Garether Mark, welchem der Reichsbehüter die Aufgabe der gerechten Herrschaft über das Herz des Reiches übertragen hatte.
Gewissenhaft und mit glühendem Eifer kümmerte sich Valdara um die Belange des Königreiches, förderte die Wissenschaften, die Magie und den Handel, suchte die Tapfersten und Fähigsten für die Wehr des Reiches. Keine Stunde ihres Tages verging in Müßiggang oder niederer Zerstreuung. Sie führte Korrespondenz mit den klügsten Denkern und Philosophen des Reiches über alle Belange des guten Lebens und der gerechten Herrschaft und legte sie in unzähligen Schriften nieder. Niemals blühte die nandusgefällige Bildung in Garetien mehr als zu ihrer Herrschaft.
Mit dem Weisen führte sie privatim tiefgehende Gespräche, die sie in ihrem Zwölf Gesprächen mit dem Weisen der Öffentlichkeit zugänglich machte, von denen uns Nachgeborenen nur ein Bruchteil über die schrecklichen Magierkriege überliefert sind. So fragt sie den Weisen im achten Gespräch nach der gerechten Herrschaft und nur daher wissen wir von den drei Leuenkönigen Korgonds, die der Weise als Beispiel zur Illustrierung seiner Lehre wählte.
Als der Weise nun die Dunkelheit spürte, die zur Gefahr für das Land aus der heißen Wüste Gor erwuchs, führte er mit seiner Cantzlerin das letzte Gespräch, welches er ihr zu verbreiten verwehrte. Den wahren Grund für die Abspaltung des Schlundes von der mächtigen Grafschaft Hartsteen soll der Weise ihr eröffnet haben und wies sie an den Rat der Trolle einzuholen, um eine dräuende Gefahr für das Land abzuwenden.
In den Hartsteener Landen herrschte aber der kaltherzige Graf Hlûdewig, der zweimal dreizehnte Träger des goldenen Reifs der Herrschaft über die Ländereien um den Feidewald aus der Zeit vor dem Fall Bosparans. Er verehrte den offenen Kampf und hasste die Magie. Den Weisen hielt er für einen widernatürlichen Hexer, den vom Thron zu vertreiben er offen von dem Adel des Königreichs und den Bürgern der Stadt Gareth forderte. Und er forderte die Reformen des Weisen rückgängig zu machen und den Schlund wieder mit seiner Grafschaft zu vereinen.
Mit harter Hand verfolgte Graf Hlûdewig Strauchdiebe, Wilderer und aufbegehrende Bauern, welche sich gegen die Strenge ihres Herren zu wehren versuchten. Sie verfassten Flugschriften im Namen des göttlichen Einhorns, dass die Herrschaft über das Land nach den Prinzipien der Freiheit und Gleichheit aller Untertanen entsprechen müsse. Einen Zug von fünfhundert wehrlosen Bauern und Landfrauen aus der gesamten Grafschaft ließ Hlûdewig von seinen schweren Reitern niedermachen und ließ keinen von ihnen am Leben. Ihre Köpfe ließ er vor der reichen Stadt Hartsteen als Abschreckung auf eisernen Speeren aufstellen.
Südlich der wilden Natter im jungen Schlund öffnete die Gräfin Hagria Firunja das Land für den Einfluss der mächtigen Magier. Denn groß war die Angst, dass der wilde und jähzornige Hartsteener seine Drohungen in blutige Taten umsetzte und mit Waffengewalt das Land seiner Ahnen zurückforderte. So rief die junge Gräfin nach arkaner Hilfe und lockte viele Zauberer in ihr Land, denn sie versprach ihnen die Freiheit für die Forschung und die Freiheit von den Steuern. Aber auch finstere Paktierer und Anhänger des schwarzen Einhorns lockte sie an in ihre Grafschaft, die sich um den Ruchinsberg herum niederließen. Doch die Gräfin sah das Verderben nicht, welches sie herauf beschwor.
Cantzlerin Valdara begab sich auf eine langwierige Queste, die sie viele Monde vom Herzen des Reiches entfernte. Sie beschritt die verborgenen Trollpfade und sprach mit den Ältesten der mächtigen Trollfeste Graulgatschthor in den Zacken und erfuhr über den sterbende Atemhauch der Erdriesin Sumu. Sie besuchte die Trollkrieger der Tolpatatsch im Wall und erfuhr vom ewigen Schlaf des Giganten. Die verschlossenen Traugatompf in den Sichelbergen eröffneten ihr das Geheimnis der Blutsänger, die die Wege siegeln. Da hatte sie genügend Kenntnisse gesammelt und wusste, welche Aufgabe der Weise ihr aufgetragen.
Im tiefsten Winter in dem Jahr, als der Weise unter den lauten Rufen aus dem Volk vom Thron aufstieg und für immer verschwand, versammelte Valdara heimlich die Träger der Acht Schwerter auf einer Insel in dem eisigen Bett der wütenden Natter. Unter ihnen waren Burggraf Vencello aus der Gurvansmark, der den Feuerschlag führte, und Burggraf Thessan aus der Raulsmark, an dessen Seite die Schwanenfeder gegürtet war. Valdara vertraute ihnen ihre Geheimnisse an und gemeinsam schlossen sie einen Bund.
Doch war ein Verräter unter ihnen, der ihre Pläne an die Feinde berichtete. Noch während der Helden Abreise griffen aus dem Hinterhalt finstere und mächtige Kreaturen an, die in Widerspruch zur Harmonie der göttlichen Schöpfung standen und von finsteren Kräften beschworen worden waren. Doch Valdara stellte sich ihnen in den Weg und verhalf dem neugegründeten Bund die Flucht aus der sicheren Vernichtung. Tausende Mäuler und Krallen zerfetzten die letzte Cantzlerin des Weisen und hinterließen einen geschundenen Leichnam, dem der Bund der Acht im Heldenpark von Gareth ein würdiges Grabmal setzte.
Die Träger der Acht Schwerter aber gründeten am Fuße des Tempels der Gerechten Herrschaft den Orden der Steinernen Wächter. Während die Zauberer der drei Gilden das Land verwüsteten und die Schriften der Wissenschaften im magischen Feuer verbrannten, schützten sie die Schwachen und Bedrohten und stärkten das Band mit dem Land.“