Geschichten:Du bist schwach geworden - Teil 1
„Ihr seid schwach geworden, Vater.“ Die Stimme unterbrach diese drückende Stille, wo selbst das sonst so heimelige Knistern des Kaminfeuers fremd gewesen war und die Flammen jenes Feuers nicht die Herzen der beiden Männer erwärmen können hatte, die hier zusammen saßen.
Dunkle Augen suchten einen Punkt in dem Feuer, so als würde auf einem dieser brennenden Scheite eine Antwort stehen, die man nur ablesen müsste. „Dies ist nicht ganz die Wahrheit. Ich war schwach, doch nun bin ich wieder Herr meines Geistes und meines Körpers. Ich WAR schwach, mein Sohn. Versucht nicht eine andere Meinung zu haben, denn ich würde Euch ungern als meinen Feind ansehen müssen.“
Der junge Mann gab seine bequeme Haltung in dem Sessel auf, beugte sich nach vorne, auf das sein Antlitz vom Schein des Feuers berührt wurde. Scharf geschnittene Züge zeichneten sich wie ein Schattenriss ab und erinnerten unangenehm an einen Raubvogel, welcher die Beute erkannt hatte, doch seine Schwingen noch nicht ausbreitete. „Was war ich schon jemals anderes als Euer Feind, Vater. Wann hattet Ihr Euch zuletzt erkundet, ob ich noch lebe? Greifenfurt ist ein hartes, wildes Land. Garetien kommt einem nun vor, als wäre das Leben hier so weich und angenehm, als wenn man sich hüllen würde in eine Daunendecke. Droht mir nicht, Vater. Ich bin Euer Erbe und selbst die lange Zeit meiner Knappenschaft sollte Euch dieses nicht vergessen haben lassen. Nur weil Ihr Bastarde zeugtet, heißt dies nicht, dass ich Euch nicht beerben will. Ich bin der Erstgeborene und Euer Erbe steht mir ordnungsgemäß zu, wie der Herr Praios es für den Adel vorsah eben.“
„Der Staatsrat hätte sich sicher gefreut zu hören, dass Ihr der Sohn einer Hexe seid, damit wäret Ihr schneller Euer so sicheres Erbe los gewesen, wie Ihr den Namen des Herrn Praios aussprechen hättet können. Was glaubt Ihr also, mein Sohn, was Ihr mir vorwerfen könnt? Ihr klagt über Greifenfurt? Dort wart Ihr in Sicherheit, während ich dem Reich diente und verurteilt wurde, wo andere Orden verliehen bekommen haben. Hier in Garetien sind Decken aus Daunen nur schöner Schein und viele Adelshäuser erwarten demütige Grundhaltung, weil diese Familien einst stark waren. Bei diesen Häusern bin ich nicht gut gesehen, weigere ich mich doch zu kriechen. Es ist mir schon lange egal geworden, was sie von mir zu wissen glauben. Macht nicht den gleichen Fehler, wie diese Leute, mein Sohn. Ich bin Euer Vater und Ihr werdet mir gehorchen, oder aber ich werde dafür Sorge tragen, dass meine Bastarde sich um Euer Erbe streiten können. Es ist nicht meine Sorge, was nach meinem Tode mit all dem hier geschieht. Verrat war überall. Meine Freude an diesen Dingen hier, ist vergangen. Sorgt dafür, dass ich nicht auch noch die Freude an unserem Wiedersehen verliere, sonst werdet Ihr Euch nach Greifenfurt zurückwünschen, dies schwöre ich Euch, mein geliebter Erstgeborener.“
Der Baron von Gallstein stand auf, voll unterdrückten Zorn seine ganze Haltung. Den Blick gerichtet auf sein eigen Fleisch und Blut, welches da im Sessel vor ihm saß und dort, auch in den Augen seines Sohns erkannte er nun, was er so oft in den Augen der Anderen sah, wenn er mit ihnen sprach. Angst und Hass, aber dort war noch etwas zu finden und dies ließ den Baron erschauern, denn dieses Gefühl dort, diese Art von Regung, war fremd für ihn zu sehen. Dort in den Augen seines Sohnes, hinter all dem Zorn, dem Hass und der Angst verborgen, zugleich erhaben, dort lag Mitleid ...