Geschichten:Flammende Furcht - Interludium I - Schattenschwarze Offenbarung

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Zeit und Ort unbekannt

Die wenigen Öllämpchen tauchten das niedrige Tonnengewölbe in flackerndes Zwielicht. Man konnte die Versammelten in ihren schwarzen Umhängen kaum von den wie wahnsinnig tanzenden Schatten unterscheiden. Wie viele hier wohl zusammengeströmt waren, im Schutz der mondlosen Nacht und unter dunklen Mänteln verborgen? Die Stirnseite des langgestreckten Raums war heller beleuchtet als der Rest, hier brannte ein großes Kohlebecken, entriss das Wandrelief der Finsternis. Ein gewaltiger Drachenschädel, meisterhaft aus dem Gestein geschlagen. So lebensecht, dass man jede einzelne Schuppe mit dem Finger nachfahren könnte. Die Augen der Steinmetzarbeit brannten in unheimlichen Feuer, blutrote Flammen in tiefen Höhlen. Rauch biss in die Augen und reizte zum Husten. Dennoch drängten sich die Vermummten möglichst nah an der Stirnseite. Möglichst nah am Vorausschreitenden. Der Vorausschreitende war ein Mann, und doch mehr als nur ein Sterblicher. Eine zerschlissene grau-braune Kutte verbarg den muskulösen Körper nicht, noch schmälerte sie sein Auftreten. Dieser Mann brauchte keine goldbestickten Roben oder prunkvolle Plattenrüstungen um Autorität und Macht auszustrahlen. Seine eigene Aura genügte völlig. Er hatte eine Glatze, ja mehr noch, er besaß nicht einmal Augenbrauen oder Wimpern. Die Stirn war zerfurcht, seine Hände schwielig. Doch seine Stimme dröhnte voll und dunkel, sie erfüllte den ganzen Raum:

„Ihr dient dem DRAchen schon seit Jahrhunderten, das ist gut. Ihr dient IHm aus Eifer und Überzeugung, auch das ist gut. Doch ihr wisst nicht, warum ihr IHm dient. Ich sage es euch: weil es unvermeidlich ist, dem DRAchen zu dienen. Mich hat das göttliche Feuer berührt, es hat mich sehen lassen. Ich sehe die Vergangenheit, ich sehe die Gegenwart und ich sehe die Zukunft. Der GROße DRAche wird wiederkehren, es ist unvermeidlich, ebenso unvermeidlich wie auf die Geburt der Tod folgt, so unvermeidlich wie die Dämmerung vor der Nacht.

Schon bald wird ER vom Himmel herabsteigen, ER wird die gleißenden Ketten sprengen. Das Praiosauge wird in tausend mal tausend Splittern herabregnen, wenn SEIn Karfunkel befreit wird, und dann werden wir alle im Dunkeln versinken. Doch habt keine Furcht.

Denn er wird sein das Licht und die Kraft und Herrlichkeit in alle Ewigkeit!

DRACOR VEGRANDIS, ALES ALTUS ANGUIS, DEUS VETUSTISSIMUS HORRIFERQUE."

Die letzten Worte brüllte er hinaus, wobei im ganzen Raum die Feuer zuckend auflammten. Wie ein Mann warfen sich die Vermummten zu Boden, die Bosperanowörter gebetsmühlenartig wiederholend. Der Vorausschreitende hatte die Augen geschlossen und die Arme ausgebreitet. Er ließ sich von den geflüsterten Gebeten umspülen, saugte sie mit tiefen Atemzügen in sich auf. Schließlich öffnete er die Augen und eine Handbewegung genügte und das Murmeln erstarb jäh.

„Bringt mir die Verblendeten, denen hier und heute die Augen geöffnet werden." Fünf halbnackte, gefesselte Gestalten wurden von doppelt so vielen Vermummten nach vorne gebracht. Es waren vier Männer und eine Frau, die jetzt mit blanken Oberkörpern zum Kohlenbecken getrieben wurden. Im Schein der kleinen, aus den glühenden Kohlen zuckenden Flammen, konnte man auf den Körpern verkrustetes Blut, blaue Flecken und Auszehrungserscheinungen erkennen.

„Ihr habt Schmerzen, Hunger und Durst durchlitten, ihr habt eure Familien allein gelassen. Ihr habt zu den Göttern gefleht und wurdet doch nicht gehört. Nun denn, hier und heute wird eure jämmerliche Existenz durch die höchste Weihe veredelt. Tritt vor und nenne deinen Namen!", befahl der Vorausschreitende dem ersten, der der Aufforderung mit steifen, zuckenden Bewegungen nachkam. Die rechte Handinnenfläche war furchtbar verbrannt, doch er sprach mit fester Stimme: „Ich bin Adeptus Maior Perval Schröter, du götterverdammtes Stück Rattendreck. Und, so wahr ich in Andergast ausgebildet wurde, ich werde dafür sorgen, dass du auf dem Scheiterhaufen landest! Ich bin Perval Schröter, und ich werde..."

„FALSCH!", brüllte der Hohepriester schneidend und packte den Mann am Nacken. Ein Tritt in die Kniekehle zwang ihn auf die Knie. Dann drückte er den Kopf des Magiers mit der einen Hand über die Kohleschale, während er mit der anderen ein dunkles Pulver auf die glühenden Brocken warf. Sofort schoss eine goldlodernde Stichflamme bis an die Decke und umhüllte Pervals Kopf. Seine markerschütternden Schreie hallten in der Halle wieder. Die Stichflamme erstarb jäh und rostroter Rauch stieg von den Kohlen auf, in dem hier und da immer noch goldene Funken tanzten. Der Magier schien zwar verletzt, aber lebendig zu sein, jedoch waren alle Haare auf seinem Kopf zu Asche verbrannt, selbst die Wimpern. Mit stahlhartem Griff zwang der Vorausschreitende ihn, einen tiefen Zug des Qualms zu nehmen, dann beugte er sich zum Ohr des Mannes und wisperte mit zischelnder Stimme:

„Falsch, du bist nicht Perval Schröter, der Adeptus Maior. Perval Schröter ist gerade gestorben.
DU hast nichts! Keine Freunde, keine Familie, keinen Glauben. Du hast nichts!
DU besitzt nichts! Keine Gilde, kein Siegel, keinen Stab. Du besitzt nichts!
DU bist nichts! Nicht lebendig, nicht tot, nicht willkommen in dieser Welt. Du bist nichts!"

Tränen liefen aus aufgerissenen Augen über die verbrannten Backen, als der Vorausschreitende lauter und noch beschwörender fortfuhr:
„Aber ich erhöre dein Flehen. Ich gewähre dir meine Gnade. So höre:
Du hast. Du hast neue Freunde in uns, du hast eine neue Familie in uns, du hast einen neuen Glauben in uns. Den Glauben an den allmächtigen und großen DRAchen, der zurückkehren wird.
Du besitzt. Du besitzt eine neue Aufgabe, eine neue Berufung, ein neues Leben: als mein Flammender Prophet trage unseren Glauben in die Welt, auf dass bald alle erkennen mögen, was die einzige Wahrheit ist.
Du bist. Du bist kein Mensch mehr, du bist Flammender Prophet, Werkzeug meiner Gnade. Du bist ERWÄHLT!"

Das letzte Wort brüllte er laut und Jubel brandete in der Halle auf. Dem neugeweihten Propheten wurde eine zerschlissene, graue Robe übergestreift, ganz ähnlich der, die der Vorausschreitende trug. Perval ließ es geschehen und mit jedem Herzschlag wurde seine Haltung aufrechter, sein Blick klarer und schließlich sprach er mit noch leicht krächzender Stimme: „Ich diene dem GROßen DRAchen, wie er es mir befahl!" Ein Hauch jener Aura des Hohepriesters umwehte in dabei, jene animal-anziehende und zugleich erschreckend unbekannte Kraft.

Noch vier Mal wurde das Ritual wiederholt, viermal schossen goldene Stichflammen empor, viermal wurden im rostroten Rauch Flammende Propheten geboren.

Mit Worten, die in der ganzen Halle wiederhallten, löste der Vorausschreitende die Versammlung auf: „Geht nun! Geht nun, und tragt unseren Glauben in die Welt, als Leuchtfeuer der Hoffnung für die, die glauben, und als FLAMMENDE FURCHT, für die, die zweifeln!"

* * *

Kurz darauf:

Gerade noch rechtzeitig hatte er die Gläubigen verscheucht. Denn als der letzte Vermummte den Saal verlassen hatte, brach der Vorausschreitende zusammen. Nicht schon wieder!, waren die letzten bewussten Gedanken, ehe seine Welt hinter einem Vorhang rotlodernder Pein verschwand:

Seine Muskeln spannten sich zitternd, wölbten sich unter der Kutte und drohten diese zu zersprengen. Seine Knochen knackten und krachten, als würde eine unsichtbare Kraft sie auseinanderbrechen wie morsches Holz und dann in die Länge ziehen. Blutperlen pressten sich aus jeder seiner Pore und fraßen zischend Löcher in die Kutte, ganz so, als wären sie kochend heiß. Krämpfe durchzuckten seinen Körper, er wälzte sich am Boden und ein unmenschliches Brüllen, welches sich zu einem durchdringenden Fauchen steigerte, entrang sich seiner Kehle.

Er wusste nicht, wie lange der Anfall dieses Mal gedauert hatte, aber schließlich lichtete sich der rote Schleier und er konnte sich aufrappeln. In seinen Eingeweiden rumorte und loderte der Hunger. Die Anfälle kamen immer häufiger und die unmenschliche Gier wurde immer stärker. Er würde bald wieder Jagen gehen müssen, sonst verlöre er die Kontrolle vollständig. Und Hasen- oder Rehfleisch vermochten diesen Hunger schon lange nicht mehr zu stillen...

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