Geschichten:Erlenstamm nach dem Höllenwaller Durchmarsch - Teil 1
Es war nach Mitternacht, als die müde Erlenstammer Truppe den Hof der Burg Erlenstamm betrat. In einem der Türme, der Dienstwohnung des Hausmeisters, brannte noch Licht und die Banner flatterten im steifen Nachtwind. Die Soldaten waren gezeichnet von unmenschlichen Strapazen und Erschöpfung. Bei vielen waren die Sohlen ihrer ohnehin alten Schuhe durchgescheuert. Andere hatten bereits zuvor die nutzlos gewordene Fussbekleidung fortgeworfen und waren barfuss durch die Wildnis gelaufen. So kamen zu Erschöpfung, Müdigkeit und der allgemeinen Anspannung wunde, vielfach schwer blutende Füsse. Und so stolperte der Haufen nunmehr eher, als dass er marschiert wäre. Dennoch hatten die geschundenen Kämpfer bis zum Schluss, bis zum Einmarsch in Erlenstamm, unter dem Druck von Greifdane, der Baronin und dem Hauptmann Ole eine erstaunliche Leistung vollbracht. Nun aber, da die Gefahr offenbar über die Grenze entschwunden war, erlahmte die Spannkraft, die die geschundenen Wehrmänner und Wehrfrauen trotz aller Unwägbarkeiten funktionieren liess. Kaum war der Burghof erreicht, sanken alle zusammen. Einige blieben mit ausgestreckten Gliedern liegen. Die anderen setzten sich auf ihre kleinen Rucksäcke. Der Hauptmann jedoch liess nicht locker und bellte gnadenlos und wie, wenn er keine Strapazen hätten ertragen müssen, in die danieder liegende Runde:
"Los faules Pack! Jetzt wird noch nicht gerastet. Zuerst bringt ihr Eure Ausrüstung in Ordnung! Schuhe putzen ... die noch welche haben! Waffen putzen! Ihr kennt das Programm 'Nachtbueb'! Aber zuerst." Er hielt inne, baute sich vor seinen Leuten auf und brüllte dann mir aller Kraft: "AUF! UND SAMMLUNG!"
Die abgekämpften Figuren rappelten sich auf, packten ihre Sachen und stellten sich in Formation auf. Doch sie beeilten sich nicht mehr, wie es Ole eigentlich erwarten würde - und von einer korrekten Haltung war auch nicht mehr viel zu sehen. Greifdane, die mit Alissa und der Baronin das Ganze aus einiger Entfernung beobachtete, schien ungehalten über die Laxheit, die sich die Truppe leistete, und wollte einschreiten, doch ihre Tante hielt sie wortlos zurück, worüber Alissa sichtlich erleichtert war und der Baronin einen Blick stillen Dankes zuwarf.
Währenddessen brüllte Ole weiter: "Essen müsst Ihr heute noch aus Euren eigenen Vorräten! Schlafen gehen wir erst, wenn die letzten mit dem Nachtbueb fertig sind! Und dann ziehen wir noch Wachen auf!" was bei den in der Folge genannten Soldaten wahrlich keine Begeisterung auslöste.
Als die Frauen und Männer mit der Retablierung ihres Materials begannen, winkte die Baronin ihren beiden Nichten und hiess sie so, mitzukommen. Auf ihrem Weg zum Palas blieb sie kurz beim Hauptmann stehen und flüsterte ihm zu: "Heute verzichten wir auf das Hauptverlesen. Und ermutige die Kämpfer. Du kannst das Geschehen wie unseren Sieg verkaufen."
Ole nickte stumm. Der Blick der Baronin fiel für einen Wimpernschlag auf Greifdane, wie wenn sie eine Reaktion erwarten würde. Dann ging sie, von ihren Nichten gefolgt, weiter. Und tatsächlich ereiferte sich Greifdane mit gedämpfter Stimme: "Wie kannst Du auf das Hauptverlesen ..."
"Halt einfach Deine Klappe", gab ihr die Baronin gereizt zurück. Und kaum hatten die drei Frauen die Tür des Hauptgebäudes hinter sich geschlossen und waren ausser Hörweite der Truppe gelangt, liess Thalionmel von Erlenstamm ihren Gefühlen freien Lauf. Sie zog ihren Säbel und schlug ihn mit irrem Blick auf einen Tisch.
"Wir können von Glück sagen, dass wir aus dieser Sache einigermassen mit Anstand und wenig Schaden gelangt sind. Wenn ich mir überlege, was alles hätte geschehen können!" Sie schlug wieder mit dem Säbel auf den Tisch, dass ihre Nichten zusammenzuckten.
"Wir haben doch eine gute Figur gemacht", erwiderte Alissa zögerlich.
Ein wütender Blick traf sie als Antwort, doch Alissa spürte, dass die Wut nicht ihr galt. "Ja", fuhr die Erlenstammerin fort, "wir haben uns nicht schlecht geschlagen, aber wir wurden von diesen Höllenwaller Hunden - MÖGEN SIE ALLE AN DER KRÄTZE ELEND VERRECKEN !! - wir wurden von ihnen vorgeführt. WIR ! ERLENSTAMM ! Das wäre bis vor kurzem unmöglich gewesen. - Nicht auszudenken, wenn sie die Burg genommen hätten." Sie setze sich, während ihre Nichten still neben ihr standen.
Alissa legte ihr die Hand auf die Schulter. Die Baronin ergriff sie sogleich:" Es ist gut, Euch an meiner Seite zu haben."
"Tante", unterbrach Greifdane kalt, "wir haben wohl kaum Zeit zum Händchenhalten. Wir müssen handeln."
Bei diesen Worten sprang die Baronin auf, so dass der Stuhl, auf dem sie gesessen war, umkippte. Wieder von Wut gepackt funkelte sie Greifdane an und zischte:" Denkst Du vielleicht, ich wüsste das nicht? Denkst Du, ich könnte keine Entscheidungen treffen? Denkst Du, Du könntest es besser? Ich denke doch wohl nicht! Schnell ja, aber nicht übereilt und unüberlegt. Unsere erste Priorität ist die Sicherung der Baronie und der schnelle Wiederaufbau der Truppe. Wir sind in keinem Krieg mit Höllenwall - ich hasse auch, es zugeben zu müssen, aber ein solcher wäre für uns höchst ungünstig. Schau Dir doch die Soldaten an. Sie waren besser, als ich je zu hoffen gewagt hätte. Aber auf die Dauer hätten wir in unserem gegenwärtigen Zustand keine Chance. Wir werden uns nicht rächen, auch wenn Du das willst. Das willst Du doch, Du junges Huhn! Das ist zur Zeit aber unwichtig. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir mit dem Strohkopf vom Dragenfels ein Hühnchen zu rupfen haben. Und nein, ich werde die Schmach nicht vergessen, die uns diese verwanzten Bastarde einer mit Zorganpocken verseuchten Hure zugefügt haben. Aber alles zu seiner Zeit. Alles zu seiner Zeit."
Nach diesen Worten packte sie wieder ihren Säbel, und mit einem Ruck fuhr dieser auf Greifdane nieder und … hieb ihr eine Strähne ihres Haars ab. Greifdane erstarrte, als sie den Windzug auf der Wange spürte, den der kalte Stahl verursacht und ihren Kopf buchstäblich nur um Haaresbreite verfehlt hatte.
„Und stell nie mehr meine Autorität in Frage – erst recht nicht vor den Untertanen! Wer weiss, ob ich nächstes Mal nicht daneben schlage.“
Dann wandte sie sich zu Alissa: "Ist mein Secretarius auch da? Ich muss mit ihm reden."
"Er hat nach uns Freudenstein verlassen. Er ist sicher schon da."
"Dann ruf ihn. Und Ihr könnt mich nun verlassen."
"Aber Tante", entgegnete Alissa. Doch die Baronin wiederholte mit Nachdruck, dass sie mit ihm allein reden wollte. "Wir werden uns morgen in der Früh wieder sehen. Dann werde ich Euch meine Befehle mitteilen."
"Wie Du wünschst", gab Greifdane teilnahmslos zurück und entfernte sich. Alissa zögerte noch "Befehle, Tante?" Die Baronin sagte nichts, sondern schaute sie nur durchdringend an. Alissa deutete einen Knicks an und verliess ihre Baronin dann mit dem Wunsch einer guten Nacht.