Geschichten:Beerdigung eines Patriarchen - Teil 1

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Version vom 17. April 2020, 19:03 Uhr von Steinfelde (D | B)
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Die Zwölfe zum Gruße, Boron für dies vor!

Hochwohlgeborene, Hochedelgeborene, Wohlgeborene und Edelgeborene, es ist mir Freude, Pflicht und Ehre, Euch Eurem Wunsch gemäß auf die Dotzenburg zu laden. Ihr ehrt damit meinen Großvater Pagol Eboeréos, und ich bin Euch als frommer Erbe in tiefster Dankbarkeit verpflichtet.

Mit diesem Schreiben bekunde ich, Ritter Thalacker Bardo von Gneppeldotz, das dieser Edle, an den der Brief gerichtet ist, dem Frieden unterliegt, da dieser Edle zur Grablege meines Großvaters reist und einer borongefälligen Pflicht genügt. Sollte er auf seinem Wege - sei es hin oder zurück - zu Schaden kommen durch falsche Tat, Raub oder Fehde, so schwöre ich dem Böswicht, der dies gewagt, die ewige Feindschaft und Fehde des Hauses Gneppeldotz, meiner selbst, meiner Brüder, unserer Söhne, Enkel und Urenkel sowie aller Nachfahren bis in das zwölfte Glied.

Bedenket getreulich, dass die Familie Gneppeldotz gerittert ist und eine kleine Burg nur ihr Eigen nennt - doch begrüßen wir die Gäste in jeder Zahl und Gefolge, nicht nur der angemessenen.

Ritter Thalacker Bardo von Gneppeldotz

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Gut Steinfelde:

Langsam und mit lauter Stimme las Heiltrud von Steinfelde ihrer Schwiegermutter Perainetreu das Schreiben vor, welches der Bote vor einer halben Stunde am Herrenhaus von Obersteinfelde abgegeben hatte. Als sie geendet hatte und aufblickte, bemerkte sie ein Lächeln um den fast zahnlosen Mund der Alten spielen, dass sie nicht so recht zu deuten wusste.

"Warum bist du so vergnügt, Mutter? Immerhin ist jemand gestorben."

Die Alte antwortete mit krächzender Stimme: "Eben darum, meine Liebe."

"Aber wieso? Hat der alte Gneppeldotzer dir etwas angetan, dass du ihm den Tod wünschtest?"

"Pah! Der und mir etwas antun. Dass ich nicht lache! In meinen jüngeren Jahren...."

Bevor die Alte in einen ihrer von der gesamten Familie gefürchteten mindestens eine Sanduhr dauernden Monolog über ihr früheres Leben verfallen konnte, fiel Heiltrud ihr ins Wort: "Aber was ist dann das Vergnügliche an dieser Nachricht?"

Perainetreu warf ihrer Schwiegertochter ob der Unterbrechung einen ärgerlichen Blick zu, doch antwortete dann auf deren Frage: "Der letzte Satz. Denen da drüben in Duchrow scheint es wirklich dreckig zu gehen, wenn sie so etwas da rein schreiben: 'Bitte, bitte bringt nicht zu viele Leute mit, deren Wänste wir zu Ehren des Toten voll stopfen müssen.'"

"Na und? Uns geht es doch auch nicht besser.", verständnislos blickte Heiltrud ihre Schwiegermutter an.

"Falsch. Zumindest auf dieser Totenfeier können wir damit rechnen, dass es mal wieder etwas Ordentliches auf den Tisch gibt. Und das Beste ist, dass die Gneppeldotzer dafür aufkommen müssen, nicht wir. Ich werde mich am Leichenschmaus so wenig zurückhalten wie die Würmer, die bald über die derischen Überreste des seligen Pagol Eboreus herfallen werden."

Heiltrud konnte den Ausdruck des Ekels ob des Vergleichs auf ihrem Gesicht nicht unterdrücken, als sie sich erhob: "Ich gehe Praiodan und den Zwillingen Bescheid sagen."

Die Alte nickte ihr gnädig zu: "Richte auch der Zofe aus, sie soll das Schwarze mit den dem Spitzenkragen rauslegen. Und ich will in der Pferdesänfte reisen. Lass sie entsprechend herrichten!"

"Ja, Mutter", Heiltrud verließ eilig die Kammer und Perainetreu richtete sich mühsam ächzend aus ihrem Stuhl auf und humpelte zum Fenster. Sie sah, wie ihre Schwiegertochter über den Hof eilte und ließ den mit den Jahren etwas trübe gewordenen Blick weiter über die bewaldeten Hänge des Feidewalds schweifen. Einer Greisin konnte man doch ein wenig Freude auf ihre alten Tage nicht absprechen wollen, oder?

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Einen Tag später, Gemarkung Duchrow

Nach einem ereignislosem Ritt über die ausgetretenen Trampelpfade, in denen Wagenräder tiefe Furchen hinterlassen haben, kamen die Gäste schließlich zur Dotzenburg und dem um die Burg gelegenen Örtchen Duchrow. Im Süden erhebt sich der Feidewald und seine Ausläufer erstrecken sich teilweise bis in die Nähe des Ortes, das selbst an einem größeren Waldstück gelegen ist, dem "Hexewald", wie die Ansässigen ihn nennen. Dieser Wald ist es, der den Großteil des hiesigen Gutes der von Gneppeldotz stellt, so das es nicht verwundert, dass man sich hier vor allem der Schweinezucht verschrieben hat, in dem man die Säue durch den Wald treibt und sie mit Eicheln mästet. Dies trägt wenig zur Beliebtheit der Duchrower bei, die als "verschlagene Schweinehirten" gelten und ähnlich ihren Herren als derbe, aber listige Hutter verschrien sind.

"Brrr! Halt!" Auf das energische Handzeichen und den Befehl des voran reitenden Ritters Praiodan von Steinfelde hielt die neunköpfige Reisegesellschaft, die am frühen Morgen gen Dotzenburg aufgebrochen war, an. Der bullige und untersetzte Ritter kniff die Augen noch fester zusammen als sonst und strich sich über den frisch gestutzten Vollbart.

"Was ist los? Warum halten wir?", ertönte daraufhin die krächzende Stimme Perainetreus von Steinfelde hinter den Vorhängen aus der Pferdesänfte.

Statt eine Antwort zu geben, rief der Ritter: "Praioswald! Du hast bessere Augen im Kopf als dein dämlicher Zwillingsbruder Praioswin. Schau dir mal die Fetzen an, die da drüben so im Wind flattern und sag mir, was du siehst!"

Einer der beiden jungen bewaffneten Reiter, die den Abschluss des Zuges gebildet hatten, lenkte seinen klapprigen Warunker an der Sänfte vorbei neben das des Ritters von Steinfelde.

"Hmm... ich sehe das Banner von Hutt, Oheim, ... und das Hartsteener Banner auf dem Bergfried."

"Ist das alles?" Der lauernde Unterton in der Stimme Praiodans ließ den Jüngling beunruhigt die Augen weiter umherschweifen. "Dort drüben sind Reiter, offenbar wollen die auch zum Leichenschmaus."

Der Ritter von Steinfelde rollte mit den Augen, da entfuhr es dem Praioswald genannten: "Bei den Niederhöllen! Was will der denn hier?"

"Du sollst nicht fluchen!", bellte ihn der Ritter an, fuhr dann aber ruhiger fort, "Aber ganz richtig erkannt, Praioswald. Das da drüben ist das Banner dieses Quintian-Quandt Hochstaplers, der vorgibt Baron von Hutt zu sein." Praiodan spuckte aus und lockerte das an seiner Seite hängende Schwert in der Scheide.

"Das kann nur zweierlei bedeuten, mein Junge", ließ sich Perainetreu aus der Sänfte vernehmen, "Entweder die Gneppeldotzer sind zu den Krämern übergelaufen oder der Quintian-Quandt nutzt die Gelegenheit des ach so großzügig angebotenen Friedens während der Begräbnisfeierlichkeit, um in eigener Sache zu werben."

"Übrigens Oheim", ließ sich der Jüngling neben dem Ritter vernehmen, "ich bin nicht Praioswald, sondern Praioswin."

Praiodan warf seinem zweiten Neffen einen vernichtenden Blick zu, dann konzentrierte er sich wieder auf die berittene Truppe, die auf die Burg zuhielt:

"Sie müssten uns bemerkt haben. Wenn sie uns trotz ihrer Zahl jetzt nicht angreifen, wird wohl deine zweite Einschätzung richtig sein, Mutter. Dann heißt es also doppelt vorsichtig sein! Hüh!", Ritter Praiodan von Steinfelde winkte erneut energisch und die Reisegesellschaft setzte sich in Bewegung in Richtung des Ortes.

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Das Örtchen Duchrow selbst ist ein großes Angerdorf, in dem gut zweihundert Menschen leben und an dessen Rand sich die Dotzenburg findet - abseits liegend, aber doch integriert in diese dörfliche Welt.

Stolz wehen die schwarzgelbe Fahne von Hutt und die Fahne von Hartsteen auf dem Dach. Die Burg selbst ist eher klein: der Torturm ist gleichzeitig Bergfried, die Mauer - gekrönt von einem überdachten Wehrgang - erstreckt sich zu beiden Seiten gerademal zehn Schritt und läuft im normalen Geviert zusammen. Am Tor lungerte ein Waffenknecht auf einem Hocker herum, vor sich ein Tischchen mit einem Humpen Bier, und natürlich aufsprang um die ankommenden Gäste ehrerbietigst zu grüßen. Im Inneren der Dotzenburg eröffnet sich dann den Gästen ein turbulentes Bild: Auf kleinstem Raum tummeln sich einige Pferde, ein Haufen Mädchen prügelt sich spielend mit Holzschwertern und der hühnenhafte Ritter Kedio Melcher von Gneppeldotz mißt sich jauchzend mit einem brüllenden Rudel Kleinkindern im Armdrücken.

Die Steinfeldes trafen kurze Zeit nach Anselm von Quintian-Quandt und seinem kleinem Gefolge ein. Ebenso war Felan Rondrik von Schallenberg schon kurz vorher eingetroffen. Im Burghof herrschte also bereits dichtes Gedränge: Pferde wurden versorgt, Gepäckstücke abgeladen, oder schlicht das Treiben begafft. Von dem Gewimmel unberührt schritt Praiodan der neue Herr von Gneppeldotz entgegen: Dürr und bleich, mit eingefallenen Wangen, breiter Nase, gerunzelter Stirn und einem rötlichem Knebelbart. Gekleidet war er in schwarzem Tuch und traditionell, einem schwarzes Barett mit prächtiger roter Hahnenfeder auf dem Kopf. Vervollständigt wurde das ganze durch eine schwere goldene Kette, welche auf einer Scheibe das Wappen derer von Gneppeldotz zeigte.

Der Mann lüftete das Barett und sprach: "Hoher Herr von Steinfelde, es ist mir, Thalacker von Gneppeldotz, eine Ehr', dass ihr mein Gast seid. Ich heiße euch willkommen auf der Dotzenburg. Möge meine Behausung euch genügen, denn es ist eine große Ehre, dass ihr meinen Großvater solcherart würdigt und damit auch die meinige Familie."

Praiodan versuchte, möglichst ernst und würdevoll zu wirken, als er antwortete: "Als gute Nachbarn ist es uns geradezu eine Pflicht, Eurem zu Boron gegangenen Großvater das letzte Geleit zu geben und Euer Willkommen zu hören ist uns eine Freude."

Währenddessen trat der Bruder des Thalacker an die Sänfte heran und grüßte Perainetreu von Steinfelde nach den Traditionen. Ein Hühne von einem Krieger war dieser, der Gegensatz zu seinem Bruder, Bart und Haare schwarz, ein Lächeln umspielte stets seine Mundwinkel und die Augen flackerten wild. Er war ähnlich seinem Bruder gekleidet, doch war die Kleidung vom Spielen mit den Kindern verbeult. Dann half er der alten Dame aus dem Gefährt. Thalacker war Praiodans Blick gefolgt und meinte: "Dies ist mein BruderKedio Melcher, ein ungestümer Taugenichts, der zu vielem zu gebrauchen ist. Entschuldigt bitte die Abwesenheit unseres Bruders Falk! Der ist noch schnell nach Hartsteen geritten, um mehr Wein einzukaufen - wir hatten nicht mit so vielen Gästen gerechnet, da mein Großvater am Ende seines Lebens nicht mehr oft aus der Burg herausgekommen war."

"Das ist sehr löblich von Eurem Bruder Falk. Wird er es aber rechtzeitig schaffen?" Perainetreu von Steinfelde, schenkte dem Gneppeldotzer Erben etwas ihres berüchtigten fast zahnlosen Lächelns.

"Er ist ein tüchtiger Reiter und Geschäftsmann, Wohlgeboren", erwiderte Thalacker, "Ich vertraue darauf, dass er rechtzeitig zurückkommt. Doch will ich euch nicht länger aufhalten und der guten Mutter Travia ein treuer Diener sein: Kommt herein und stärkt euch, um eure Pferde wird sich gekümmert, ebenso um euer Gefolge."

Man führte die Gäste nun in das Herrenhaus, in dem es recht eng war und sich im ersten Geschoss der 'große' Rittersaal befand. Alte Dielen und Balken verdüsterten den Saal, dagegen hingen Fackeln und Gobelins, die Schlachtenbilder und Heilige zeigen, an den Wänden, die wieder Licht und Farbe gaben. Als alle Gäste eingetroffen waren, wurden sie schließlich aufgefordert, sich ihrem Rang gemäß an die große Tafel zu setzen, die sich bald mit Bier, Fleisch, Brot und Wein füllte. Nach altem Brauch füllten die beiden Gneppeldotzer den ersten Becher der Gäste und reichten ihnen das Essen auf die Teller.

Perainetreu, Praiodan und Heiltrud von Steinfelde wurden ans Ende des Herrentisches neben Hilbert von Hartsteen gesetzt, während Praiowin und Praioswald mit einem der Gesindetische vorlieb nehmen mussten. Unruhig wanderte der Blick des Ritters von Steinfelde immer wieder hinüber zu Anselm von Quintian-Quandt und dem neuen Herren der Dotzenburg, während Perainetreu den Eindruck machte, als hätte sie seit zwei Wochen nichts mehr zu essen bekommen.

Die Bediensteten kamen kaum nach mit dem Auflegen und Zerkleinern von Bissen für die Alte, die alles ihr vorgesetzte geradezu verschlang und mit großen Mengen Weines hinunterspülte.

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Derweil am anderen Ende des Tisches:

Felan Rondrik von Schallenberg langweilte sich zutiefst. Ihn verband nichts mit den Gneppeldotzern, außer der nachbarschaftlichen Nähe in der Baronie Hutt und der Tatsache, dass sie auf der Seite Luidors von Hartsteen standen. Und Beerdigungen waren niemals etwas gewesen, dass ihn irgendwie gelockt hätten, wie andere, die dort auf Festtafeln oder Gelegenheit zum Schwadronieren mit anderen Standesgenossen nutzten.

Er hatte deswegen mit Gleichmut die Begrüßung des neuen Burgherren und Erben entgegengenommen und nur ein kurzes Wort des Beileides ausgesprochen. Dieser Ritter Thalacker Bardo von Gneppeldotz war nicht eben eine überwältigende Erscheinung. Er war ihm dazu nie erinnerungswürdig zuvor begegnet. Dennoch würde er nachher einmal kurze Worte mit ihm zu sprechen haben, allein ob der Lage in der Fehde Luidors gegen Geismar, als auch um etwaige alte Verträge der Familien, die sein Vater und der soeben verstorbene Großvater des Gneppeldotzer ausgemacht haben mochten zu erneuern. Es kam ihm Tag für Tag mehr so vor, als wäre Luidor von Schwächlingen und dünnen Männlein, von Statur aber auch im Geiste, umgeben, die sich nur diesem angeschlossen hatten, um im Falle dessen Erfolges in Hartsteen davon zu profitieren. Zu wenig tatkräftig, um im Kampf selbst ein Schwert zu halten und zu vorsichtig, um offen Krieg anzuzetteln, wenn dies sein musste. Und dies empfand er auch bei den anderen Gästen. Umso mehr wünschte er sich endlich einen Haudegen vom Formate Hadrumirs von Schwingenfels zu treffen. Auch wenn dieser auf der falschen Seite stand: er war ein ganzer Mann, nach dem Bilde, wie er es stets von einem Ritter gehabt hatte.

Missmutig stocherte Felan in seinem Essen und nippte am Wein.


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Texte der Hauptreihe:
K1. Prolog
4. Tra 1030 BF
Prolog
Das Testament


Kapitel 1