Geschichten:Schatten über Waldstein Teil 13

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Teil 13: Schatten über Waldstein


Leihenbutt am 5.Tag des NL, 34 Hal: Alwin, Simionas ehemaliger Leibwächter, war nur noch eine Jammergestalt. Seit über einem Mond schmachtete er in einer Kerkerzelle unter dem Bergfried der Burg bei Wasser und Brot. Die Kerkersieche hatte ihn gepackt. Täglich haderte er mit seinem Schicksal. Von Zweifeln geplagt hatte er dem ehemaligen Herrn der Baronie mitgeteilt, welches Spiel seine Frau im Geheimen spielte. Und sie war ihm auf die Schliche gekommen. Wollte seine ehemalige Herrin ihn nun in diesem Loch verrotten lassen, oder hatte sie noch anderes mit ihm vor? Er konnte es nicht sagen. Er wusste nur, dass er verloren hatte. Und dennoch betete er zu den Göttern, dass sie ihm Rettung zukommen lassen würden.

Bisweilen fragte er sich, welches Datum wohl wäre, denn das Zählen der Tage hatte er aufgegeben. Er wusste nicht einmal, ob es Tag oder Nacht war, denn in seine Zelle fiel kein Licht. Plötzlich hörte er Geräusche. Ein scharfes Klacken erklang, dann öffnete sich die Klappe in der Decke. Fackelschein fiel herein und beleuchtete die abgemergelte Gestalt in der Tiefe, die ihre Augen vor dem plötzlichen Licht schützen musste. Eine Leiter wurde hinab gelassen.

„Holt ihn da raus!“ bellte eine Stimme. „Die Comtessa will, dass der Kerl gründlich gewaschen wird. Und was Ordentliches zu essen soll er auch bekommen! Na los, beeilt euch. Dieses Rattenloch stinkt ja erbärmlich.“

Ein Hoffnungsschimmer keimte in Alwin auf. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren.


später in der Nacht

Der ehemalige Traviatempel des kleinen Städtchens Leihenbutt hatte sich verändert. Sämtliche orangenen Wandbehänge und anderer Zierrat war durch purpurne oder schwarze Tuche ersetzt worden. Dreizehn Fackeln erhellten den Tempelraum, doch das Herdfeuer war erloschen. Getrocknetes Gänseblut bedeckte den Altar und verlieh ihm ein bizarres Aussehen. Aus einer schwarzen Schale quoll dunkler Rauch empor und hüllte den Raum in ein diesiges Zwielicht. Etwa zwei Dutzend Gestalten in schwarzen und purpurnen Kutten hatten sich versammelt, um ein finsteres Ritual zu vollziehen. Es war der fünfte Tag des Namenlosen, der höchste Tag des dunklen Gottes.

Ein finsterer Singsang erklang, als drei weitere Gestalten die Halle betraten. Vorneweg in eine schwarz-purpurne Kutte gewandet und das Antlitz hinter einer goldenen Maske verborgen schritt Graf Sephirim Isyahadin zu Laescadir, der Hochgeweihte des Namenlosen. Hinter ihm ging Simiona, in ein schlichtes weißes Gewand gekleidet. In ihren Händen hielt sie einen Dolch, der eine geschwungene Klinge hatte und mit den dreizehn halboffenen Augen des Namenlosen am Knauf verziert war. Zuletzt schritt eine weitere Person, die völlig unter einer schwarzen Kutte verborgen war. In den Händen hielt sie eine silberne Schale.

Als die drei ins Zentrum traten erreichte der Singsang seinen Höhepunkt, um dann schlagartig zu verstummen als der Hochgeweihte die Hände hob.

„Meine Schwestern und Brüder, wir haben uns heute hier versammelt, um dem wahren Herrn zu huldigen, seine Macht zu mehren, und eine neue Schwester in unseren Reihen zu begrüßen. Viele von Euch mussten die letzten Jahre im Verborgenen bleiben, da die Macht der Zwölfgötzen und ihrer Diener stark war. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Nun schlägt unsere Stunde und es ist die Stunde der Wiedergeburt. So lasst uns beginnen mit den Lobpreisungen des Herrn.“

Die versammelten Gestalten beteten eine Litanei in einer unbekannten Sprache, die die Menschen längst vergessen haben sollten, und huldigten so ihrem dunklen Gott. Der Hochgeweihte schloss mit folgenden Worten: „So lasst uns der alten Überlieferung gedenken, dass einst der All-Eine, der Zwiegesichtige, der dunkle Vater, als ER sich dem Ansturm der jungen Götzen beugen musste, verraten von SEINEN eigenen Kindern, aus Wut über SEINE Niederlage SEINEN Namen verschlang, auf dass weder die Zwölfgötzen länger Macht über IHN gewinnen konnten, noch dass jene, die IHN so sträflich verrieten, IHN je wieder um Beistand anzurufen vermochten. Und ER tilgte zugleich SEIN Antlitz, dass die Frevler IHN nicht länger erkennen konnten und verhüllte SEINE Züge. Und nur einigen wenigen Getreuen offenbarte ER sich daraufhin in all SEINER Macht, und ER forderte von ihnen Opfer ihrer Treue, die sie bereitwillig gaben, denn SEINE Macht ist allgegenwärtig und allumfassend, und ER ist Liebe und Hass, Milde und Rache, Licht und Schatten!“

Er deutete mit der Rechten zur Sakristei. „Nun bringt das Opfer!“

Zwei Diener zerrten daraufhin einen Mann in ein schlichtes Büßergewand gekleidet hinein. Es war Alwin. Mit wachsendem Entsetzen beobachtete er die grässliche Zeremonie. „Ihr…ihr seid Diener des Rattenkindes! Lasst mich…“

„SCHWEIG!“ unterbrach ihn der Geweihte barsch, und er verstummte. Nahezu hilflos musste er mitansehen, wie die Diener sein Gewand herab rissen und seinen ausgezehrten Leib auf den Altar banden. Er versuchte sich zu wehren, doch seine Glieder waren erschlafft. Irgendwie hatte das Essen auch einen seltsamen Beigeschmack gehabt.

Der Hochgeweihte wandte sich daraufhin in einer liebevollen fast väterlichen Geste an Simiona, die dem ganzen Schauspiel bisher wortlos beigewohnt hatte. „Nun, meine Tochter, trete vor und vollbringe das Opfer!“

Simiona trat an den Altar und löste ihr weißes Kleid von ihrem anmutigen Körper. Wieder ertönte der unheilige Singsang der Umstehenden. Simiona begann zu beten: „DIR, oh All-Einer, `üter meines Schicksals, `err über mein Leben, soll alles ge`ören, dass isch bin. Dieses Fleisch sein DEIN Fleisch, dieses Blut, DEIN Blut. Mein Verstand, er ge`ört DIR, mein `erz, es schlage nur für disch, isch atme allein für disch. Nimm, und verfüge über misch, wie DIR beliebt. Isch bin DEIN Werkzeug, DEINE Dienerin, ganz DEIN, auf ewig.“

Alwin beobachtete seine ehemalige Herrin mit größtem Entsetzen. Sie hatte ein unheimliches Funkeln in den Augen. Er wusste, dass das Böse in ihr schlummerte, und nun schien der Zeitpunkt gekommen, an dem es in all seiner Macht hervortreten sollte. Er wollte etwas sagen, laut schreien, ihr ins Gewissen reden, doch seine Stimme versagte abermals. Stattdessen sprach Simiona ihn mit bedrohlich leise Stimme an: „Nun sollst Du die Strafe für deinen Verrat er`alten, Abschaum!“ Sie erhob den Opferdolch und blickte empor. „Nimm dieses Opfer an, o `err, und erfülle misch mit DEINER Macht. Dann soll meine Seele auf ewig nur DIR versprochen sein!“

Für einen Augenblick ließ sie die unheilige Ritualwaffe im fahlen Kerzenlicht funkeln. Dann fuhr sie langsam mit der Klinge an Alwins zitterndem Körper herab bis zu einer Stelle knapp unter dem Bauchnabel. Dort trieb sie die rasiermesserscharfe Klinge in seinen Leib.

Fürchterliche Schmerzen peinigten ihn. Er wollte schreien, doch er konnte lediglich ein Wimmern von sich geben. Langsam fuhr Simiona mit der Klinge höher und zerschnitt erst seine Bauchdecke, dann öffnete sie seinen Brustkorb. Die Agonie nahm ihm fast den Verstand, doch immer noch musste er die Qualen erleiden, keine gnädige Ohnmacht wollte ihn umfangen, die Götter, die er verehrte, waren fern. Sein Blut lief literweise am Altar herab. Simiona schnitt seine linke Brust auf und entfernte das Fleisch vor den Rippen. Mit einem kräftigen Ruck brach sie zwei davon heraus und legte sein immer schwächer schlagendes Herz frei. Alwin musste dies alles mitansehen, vor Höllenqualen inzwischen dem Wahnsinn anheim gefallen.

Dann schnitt Simiona das Herz aus dem sterbenden Körper heraus, hielt es kurz hoch und legte es dann in die silberne Schale, die der schwarz Vermummte auf dem Altar bereitgestellt hatte. „Nun soll, o All-Einer, DIR mein Opfer zuteil werden! Das Herz eines Verräters und ein kleiner Teil von mir.“ Sie atmete noch einmal tief durch, dann schnitt sie sich mit einem gezielten Schnitt den linken kleinen Finger ab und legte ihn in die Schale zu dem Herzen. Für einen kurzen Moment wurde es finster in der entweihten Tempelhalle, und ein kalter Hauch war zu spüren. Offenbar hatte der Dreizehnte das Opfer angenommen. Simiona spürte plötzlich eine unglaubliche Machtfülle durch ihre Adern pulsieren. Pure göttliche Kraft drang von ihren Finger- und Zehenspitzen ihre Glieder entlang hinauf bis in ihr Innerstes. Die Härchen auf ihren Armen richteten sich auf. Sie atmete tief ein und wieder aus, wollte jeden Moment dieser neuen ungeahnten Macht genießen und ließ ihre Blicke über ihren beinahe makellosen Körper wandern. Als sie ihrer blutenden Hand gewahr wurde, verzog sie nur für einen kurzen Moment vor Schmerz das Gesicht, dann hielt sie dem Schwarzgekleideten ihre blutende Hand hin. Dieser murmelte nur ein paar Worte und schon kurze Zeit später war die Wunde verheilt. „Isch danke dir, o` All-Einer!“ schloss sie.

Der Hochgeweihte indes hob die Arme und sprach mit düsteren Worten: „Eine Seele hat ihr derisches Gefängnis verlassen. Nimm DU sie auf, oh Herr, verfüge über sie, wie DU es für richtig hältst. An DEINER Seite soll sie warten, bis dereinst der Tag der Erlösung gekommen ist! Ein kleiner Teil im großen Kreis des Sphärenrades. Äyila suor wedyilahe, benideahr!“ Als er die Worte sprach, schien eine finstere Macht am Leib des Geopferten zu zerren und riss einem senkrechten Wirbel gleich einen Teil von ihm empor. Damit wurde Alwins aufsteigende Seele gebannt und direkt zum Gott ohne Namen gesandt. Kein Rabe Borons war da, um diesen schlimmsten aller Frevel zu verhindern. Das Opfer für den Dreizehnten war vollbracht.

Ein Diener brachte Simiona eine purpurne Kutte und half ihr sie anzulegen. Dann trat sie an die Seite des Hochgeweihten und hob an zu den Versammelten sprechen: “Nischt länger werden wir zulassen, dass uns die Diener der Zwölfgötzen mit ihren falschen Le`ren vergiften, und uns den Glauben an den einzig wa`ren `errn verbieten. Waldstein soll von nun an das Zentrum der neuen Ordnung werden. Schwärmt aus in alle Lande und sucht Gleichgesonnene im Glauben. Ladet sie ein, in unseren Kreis zu treten und Teil zu `aben an unserer Macht.

An diesem Tage soll der Grundstein für ein neues Imperium unter der Herrschaft des All-Einen gelegt worden sein, und wir als seine wa`ren Kinder sind auserkoren zu `errschen! Und unsere `errschaft wird ewig sein, so wie auch ER einzig und ewig ist!“

Daraufhin erklang ein fernes unheiliges Donnergrollen, und violette Blitze zuckten über den Nachthimmel.

Die Schatten hatten Waldstein umfangen, und im kommenden Jahr würde nichts mehr so sein wie es mal war.


ENDE

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