Benutzer:Orknase/Briefspiel: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF


Im Morgengrauen kam Salentin mit einer [[Garetien:Peralina Tempeltreu|Geweihten der Herrin Peraine]] aus Salzungen wieder. Das Missfiel dem Hausherren zwar zu tiefst, aber er wusste sehr wohl, dass man einen Diener der Zwölfe nicht ohne weiteres abwies und so bat er sie herein: »Peraine mit Euch, Euer Hochwürden.« Demütig beugte er sein Haupt, trat zurück und ließ die Geweihte herein. »Habt Dank für Euer Kommen, auch wenn es nicht notwendig gewesen wäre, dass ihr persönlich erscheint.«
Wenig nach dem Morgengrauen traf eine [[Garetien:Peralina Tempeltreu|Geweihte der Herrin Peraine]] aus Salzungen ein. Zwar missfiel ihr Erscheinen dem Hausherren zutiefst, aber er wusste sehr wohl, dass man einen Diener der Zwölfe nicht ohne weiteres abwies. Und so tat er das, was von ihm erwartet wurde.


Die ältere Geweihte nickte sanftmütig. Eine Strähne ihres kurzen, grauen Haares fiel ihr ins Gesicht. Sie strich es sich wieder zurück. »Sorgte Euch nicht, Hochgeboren. Wie ein jeder von uns, bin auch ich nur eine Dienerin und deswegen diene ich«, erwiderte sie und fügte unnötigerweise noch hinzu: »So wie auch Ihr nur ein Diener unter dem Angesicht der Götter seid
»Peraine mit Euch, Euer Hochwürden« grüßte er sie demütig und beugte ganz leicht sein Haupt. Mit einer einladenden Geste bat er sie in das Gebäude hinein. »Habt Dank für Euer Kommen, auch wenn es nicht notwendig gewesen wäre, dass ihr persönlich erscheint.«  


[[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Ardo von Schwarztannen]] blickte die Geweihte schweigend und nahezu reglos an. In seinen Augen funkelte Zorn. Unangenehme Stille breitete sich aus.
Die ältere Geweihte nickte sanftmütig. Eine Strähne ihres kurzen, grauen Haares fiel ihr ins Gesicht. Sie strich es sich wieder zurück. »Sorgte Euch nicht, Hochgeboren. Wie ein jeder von uns, bin auch ich nur eine Dienerin und deswegen diene ich«, erwiderte sie und fügte unnötigerweise noch hinzu: »So wie auch Ihr nur ein Diener unter dem Angesicht der Götter seid.«


»Seid doch so gut«, ergriff nun die Geweihte wieder das Wort, »und bringt mich zu eurer werten Gattin, damit ich sie mir ansehen kann.«
Ardo von Schwarztannen blickte die Geweihte schweigend und nahezu reglos an. In seinen Augen funkelte Zorn. Unangenehme Stille breitete sich aus.


Der Hausherr nickte nur mürrisch, bot der Hochgeweihten aber sogar seinen Arm an und schritt mit ihr voran. Und während sie miteinander gingen, wollte sie von ihm: »Ist meine gute Freundin Algerte wieder einmal gestürzt, Hochgeboren?«
»Seid doch so gut«, ergriff die Geweihte nun wieder das Wort, »und bringt mich zu Eurer werten Gattin, damit ich sie mir ansehen kann.«


»Ein bedauerlicher Unfall«, erwiderte er ihr trocken und vermied es sie anzusehen, »Wieder einmal, Hochwürden, wieder einmal.«
Der Hausherr nickte nur mürrisch, bot der Hochgeweihten seinen Arm an und schritt mit ihr voran. Und während sie miteinander gingen, wollte sie von ihm wissen: »Ist meine gute Freundin Algerte wieder einmal gestürzt, Hochgeboren?«


»Hm«, macht die Geweihte da nur und legte die Finger ihrer freien Hand an ihr Kinn, »Meine gute Freundin ist seit damals einfach nicht mehr sie selbst.« Sie seufzte schwer, ließ ihre Hand sinken und schaute betrübt drein. »Entsetzlich.« Sie hielt einen Moment inne. »Phex sei Dank hat sie eure beiden Söhne an der Seite. Sie liebt sie sehr. Vor allem da...« Sie verstummte.
»Ein bedauerlicher Unfall«, erwiderte er ihr trocken und vermied es sie anzusehen, »Wieder einmal, Hochwürden.«
 
»Hm«, machte die Geweihte da nur und legte die Finger ihrer freien Hand an ihr Kinn, »Meine gute Freundin ist seit damals einfach nicht mehr sie selbst.« Sie seufzte schwer und schaute betrübt drein. »Armes Kind.« Sie hielt einen Moment inne. »Phex sei Dank hat sie Eure beiden Söhne an ihrer Seite. Sie liebt sie sehr. Vor allem, da...« Sie verstummte.


Der Hausherr schwieg.
Der Hausherr schwieg.


»Vermutlich werdet Ihr nicht lang bleiben können, Hochgeboren?«, fuhr sie fort und ein merkwürdiger Glanz trat in ihre Augen.
»Vermutlich werdet Ihr nicht lange bleiben, Hochgeboren?«, fuhr sie fort.


»Ich bedauere, aber Ihr habt recht«, erwiderte er ihr nickend, »Ich bin nur gekommen um meine Söhne zu holen.«
»Ich bedauere, aber Ihr habt recht«, erwiderte er ihr, »Ich bin nur gekommen, um meine Söhne zu holen.«


Die Geweihte blieb abrupt stehen und schaute ihn lange, ohne ein einziges Wort zu sagen, an. Stoisch hielt er ihrem Blick stand. Kalte und unergründlich waren seine blauen Augen.
Die Geweihte blieb abrupt stehen und schaute ihn lange, ohne ein einziges Wort zu sagen, an. Stoisch hielt er ihren Blick.


»Hochwürden«, ergriff er nun das Wort, »Ich muss mich jetzt nun wirklich empfehlen. Mein Bruder erwartet mich dringend auf [[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]] mit seinem neuen [[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|Pagen]]
»Hochwürden«, ergriff er nun das Wort, »Ich muss mich jetzt nun wirklich empfehlen. Mein Bruder erwartet mich dringend auf Burg Scharfenstein.«


»Ich verstehe«, damit löste sie sich aus seinem Arm, »Werdet Ihr beide Knaben mit Euch nehmen?«
»Ich verstehe«, damit löste sie sich aus seinem Arm, »Werdet Ihr beide Knaben mit Euch nehmen?«


»Sicherlich. Es ist Zeit, dass sie das Leben am Hofe kennenlernen.« Er reckte sein Kinn trotzig nach oben.
»Sicherlich. Es ist Zeit, dass sie das Leben am Hofe kennenlernen.«


»Auch [[Garetien:Moribert von Schwarztannen|Moribert]]? Er scheint mir noch recht jung.«
»Auch Moribert? Er scheint mir noch recht jung.«


»Beide«, entgegnete er ihr nur mit unnachgiebigen Blick, »Tut, was Eure Herrin von Euch verlangt. Peraine mit Euch, Hochwürden. Ich muss nun gehen.« Damit verabschiedete er sich. »Bereitet die Abreise vor«, hallte seine Stimme durch Esenfeld während seine Schritte sich entfernten. Die Geweihte blieb an der Tür zum Zimmer der Hausherrin stehen.
»Beide«, entgegnete er ihr nur mit unnachgiebigem Blick, »Tut, was Eure Herrin von Euch verlangt. Ich muss tun, was mein Herr von mir verlangt. Peraine mit Euch, Hochwürden.« Damit wollte er sich verabschiedete, wandte sich jedoch noch einmal um: »Sag, wer genau hat denn nach Euch geschickt?« Ein grausames Lächeln legte sich über seine Lippen. Sie zog die Augenbrauen belehrend nach oben und entgegnete lediglich: »Meine Herrin.«


=== Gefehlte ===
=== Gefehlte ===

Version vom 24. Dezember 2025, 13:24 Uhr

Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.

Custōsa

Gedanken

Zurückzublicken und die eigenen Taten zu beurteilen, ist dem Menschen wohl zutiefst zu eigen. Damit einher geht natürlich die Frage, was man mit dem heutigen Wissen als hätte ändern können. Hätte man das damals bereits gewusst, hätte man alles zum Besseren wenden können – die Welt wäre eine ganz andere, eine bessere. Ja, dieser Blick zurück. Wie verlockend er doch ist! Wie verheißungsvoll! Und wie töricht zugleich. Wie die Menschen nur glauben können, eine einzige Entscheidung von ihnen hätte den Lauf der Dinge ändern können? Sind sie doch nicht mehr als ein winziger Wassertropfen im sommerlichen Morgendunst. Kaum sichtbar, wenig mehr als ein hauchdünner Schleier, durch den man in die Welt blickt, der kaum etwas verhüllt und der ebenso schnell und abrupt verschwindet, wie er gekommen ist. Das Ende, unausweichlich und unabdingbar. Und obwohl sie sich ihrer eigenen Bestimmung bewusst sind, nämlich der, dass sie alle sterben werden, verhalten sie sich nicht so. Sie geben nicht acht. Sie riskieren. Angetrieben vom Gefühl, dass sie mehr verdient haben. Mehr als andere. Weitaus mehr. Von Hass und Ehrgeiz, Neid und Eifersucht zerfressen, vergessen sie ihre eigene Sterblichkeit und riskieren, das Einzige, das sie wirklich ihr Eigen nennen können: Ihr Leben. Interessant, nicht wahr?


Esenfeld

Fremder

ZSF01: Ein Fremder kommt nach Esenfeld

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

»Es ist Zeit«, hob der Fremde an und bedachte die Frau ihm gegenüber aus seinen kalten, blauen Augen voller Abscheu. Der Mann saß hoch zu Ross. Er war ein harter Mann von kräftiger und Statur, dabei ungewöhnlich groß, mit noch immer dichtem schwarzem Haar und einer unfassbar tiefen Stimme. Über einem Kettenhemd trug er einen Wappenrock in Schwarz und Gelb. Ein Schwert in einer kunstvollen Scheide hing an seiner linken Seite. Seine Begleiter waren ebenfalls gerüstet und bewaffnet. Grimmig schauten sie drein. Die Pferde schnaubten. Unruhig drehten sie die Ohren. Das des Bannerträgers tänzelte einige Schritte rückwärts. Das Banner, das zwei schwarze Tannen auf zwei schwarzen Hügeln auf goldenem Grund zeigte, hing trostlos herab. Noch lag eine unerträglich schwüle Hitze über dem Land, doch begannen sich bereits dunkle Wolken am Himmel zu sammeln und einen unheilvollen Schatten auf den Innenhof zu werfen.

Während sich die Bediensteten des Wehrhofs dicht an die Gebäude gedrängt hatten, stand nur eine einzige Frau im Innenhof unweit der alten Eiche. Ein alter und ehrwürdiger Baum, der auch heute noch reichlich Blätter an seinen knorrigen und verwachsenen Ästen trug und dem man nachsagte, dass er schon immer an diesem Ort gestanden haben – noch weit vor dem Wehrhof. Eine alte Legende besagt, dass die Unschuldigen unter ihm stets Schutz fänden.

»Einen weiteren Götterlauf«, bat die Frau unweit des Baumes mit fester Stimme und nickte, wobei ihr eine Strähne ihres dunkelblonden Haares dabei ins Gesicht fiel. Mit einer eleganten Bewegung strich sie es zurück. Ihre tiefbraunen Rehaugen blickten zu dem Reiter empor. Sanft wirkten ihre Züge. Zurückhaltend. Regelrecht verhuscht. »Nur noch einen. Es wird der letzte sein. Ich bitte dich, Ardo, nur noch dieses eine Mal.«

»Nein«, erwiderte der Ritter barsch und ließ seine Rechte durch die Luft schnellen. Seine Augen funkelten zornig. Seine Gesichtszüge waren angespannt. »Nichts da.«

»Im Namen der Götter«, hob sie nun an und beugte beide Knie, wie man es nur vor den Göttern tat, ihr Haupt hielt sie dabei gesenkt, »Im Namen der Sturmherrin, ich flehe dich an: Lass mir meine Kinder. Es ist ein einziger weiterer Götterlauf, um den ich dich bitte. Nur einen noch. Danach sind sie dein. Ich schwöre es.« Bei den letzten Worten blickte sie auf. Ihre Blicke trafen sich. »Vor dem Gerechten.« Sie hob ihre Hand, als wollte sie einen Schwur ablegen.

Er lachte nur: »Vorbei sind die Zeiten, da der Blick eines scheuen Rehes mich milde stimmte.«

»Sie sind noch zu jung«, beharrte sie, »Gibt ihnen noch einen weiteren Götterlauf, Ardo.«

»Wozu?«, spie er nur hervor, »Was solltest ausgerechnet du, Algerte, ihnen geben können?« Einen Moment herrschte angespannte Stille. »Außer Lügen und Verrat?«

»Die Liebe einer Mutter«, kam ihre Antwort prompt, wobei sie ihre Hände einer Umarmung gleich ausbreitete, »Und wenn eine die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern versteht, dann gewiss die Leuin höchst selbst.«

»Liebe gewinnt keinen einzigen Kampf, sie macht einen nur...«, er hielt einen Moment inne und blickte sie mit seinen harten Augen an, »... weich.« Er schluckte. »Naive.« Nun nahm er das Kinn ein Stück weiter nach oben. »Dumm.«

Erste Regentropfen begannen zu fallen. An der Wange der Hausherrin rann einer herab oder war es doch eine Träne?

»Ich habe dich zu lange gewähren lassen. Habe dich beschützt. Habe zu dir gestanden. Aber du...« Er holte Atem. »Die Kinder brauchen endlich ihren Vater!«

Nun lachte sie: »Ihren Vater? Ihren VATER?« Ihre Stimme überschlug sich. Leise begann Donner über sie hinwegzugrollen. Er drückte die Lippen fest aufeinander. Hielt die Zügel verkrampft in seinen Händen. »Vor Götterläufen hätten sie dich gebraucht. Vor Götterlaufen, Ardo! Ein jeder hier ist mehr Vater als du es je sei...«

Da stieß er seinem Pferd die Haken in die Flanken. Sie erhob sich. Das Tier preschte nach vorne. Zorn funkelte in seinen Augen. Nein, purer Hass. Vielleicht sogar Mordlust. Doch sie blieb stehen. Hielt seinem Blick stand. Reckte ihren Kopf noch ein wenig höher. Sie war stolz auf ihre Kinder. Auf jedes einzelne von ihnen. Niemals würde sie zulassen, dass er sie einfach so ihr wegnahm. Wie lange hatte er sich nicht für seine Kinder interessiert? Sie wich nicht aus. Sie blieb stehen. Und sein Hengst ritt sie einfach nieder. Begrub sie einfach unter sich. Sie hatte noch nicht einmal Zeit zu schreien oder war es das Donnergrollen, dass ihre Schreie übertönte? Reglos blieb sie liegen. Nur ihr Brustkorb hob und senkte sich. Blut quell aus verschiedenen Wunden empor. Der Regen wusch es fort. Und ihre Augen folgten dem Mann, dessen Kinder sie geboren hatte.

Er wendete das Pferd. Brachte es zum Stehen. Wieder grollte es. Es begann noch heftiger zu regnen. Er blickt auf die am Boden liegende herab. Sah das Blut. Mächtiger Donner fegte über sie hinweg. Das Banner begann in der aufgekommenen Brise hart zu flackern.

»Lasst sie liegen«, befahl er. Und alle gehorchten. Drängten sich noch dichter an die Gebäude. Nicht jedoch etwa aus Angst vor Wind und Wetter. Er war es, vor dem sie sich fürchteten. Und die beiden Knaben begriffen, dass er der gestrenge Herr sein musste, von dem ihnen ihre Mutter immer erzählt, ja vor dem sie eindringlich gewarnt hatte. Er war der Ritter zu Esenfeld. Er war ihr Vater.

Vater

ZSF02: Die beiden Knaben lernen ihren Vater kennen.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Der Ritter zu Esenfeld stieg vom Pferd. Seine Gefolgsleute taten es ihm gleich. Knechte kamen herbeigeeilt, kümmerten sich um die Tiere, während Regen und Wind über sie hinwegpeitschten. Donner grollte markerschütternd. Wütende Blitze zuckte vom Himmel herab. Erhellten den inzwischen stockfinster gewordenen Innenhof Esenfelds. Die Männer, der Ritter zu Esenfeld allen voran, drängten in das Gebäude hinein. Die Bediensteten wichen zurück. Die beiden Knaben, die noch immer stocksteif unweit der Tür standen, fassten sich unbewusst an den Händen, der kleinere der Knabe drängte sich an seinen größeren Bruder. Beide hatten sie das pechschwarze Haar ihres Vaters und die weichen, tiefbraunen Augen ihrer Mutter. Hinter ihnen stand eine junge Frau mit leicht dunklerer Haut, grünen Augen und rotblondem Haar. Gerade eben hatten ihre beiden Hände auf den Schultern der Knaben geruht, nun ließ sie sie herab gleiten und wollte sich gerade ins Innere des Hauses zurückziehen, da trat der Hausherr mit festen Schritten entschieden auf die beiden Knaben zu und fixierte sie mit seinen harten kalten blauen Augen.

»Was steht ihr noch hier rum?«, blaffte er sie an, »Sorgt dafür, dass meine Männer etwas Vernünftiges zu Essen und Trinken bekommen, so lange Efferd uns zürnt.« 

Ungläubig blickten die beiden noch immer dicht aneinander gedrängten Knaben, der eine mehr als einen Kopf kleiner als der andere, zu dem Fremden auf. »Rondra«, wisperte der jüngere der beiden. Die linke Augenbraue des Ritters zuckte steil nach oben, seine Hand schnellte nach hinten und dann nach vorne auf die Wange des Knaben. Der schrie entsetzt auf, drückte sich in die Arme seines großen Bruders. Tränen schossen ihm in die Augen und Blut tropfte aus seiner Nase.

»Erhebe noch ein einziges Mal das Wort gegen deinen Vater und du liegst da draußen neben deiner ... «, drohte er mit erhobener Hand. Jene Hand, mit der er den Knaben eben gerade geschlagen hatte. »... Mutter.« 

»Ja, Hoher Herr«, erwiderte der ältere der beiden, während er noch immer seinen heftig, schluchzenden Bruder in seinen Armen hielt, »Geht doch schon einmal hinein. Wir werden Euch sogleich bewirten.«

Wieder lag der harte und kalte Blick des Mannes auf den beiden Knaben. Und ohne seine Söhne eines weiteren Blickes zu würdigen, ging der Ritter zu Esenfeld an ihnen vorbei und auf die rotblonde Frau zu, die furchterfüllt immer weiter und weiter zurückwich. Ihm folgten seine Männer.

»Ich werde dich beschützen, Moribert«, wisperte der größere Knabe, dem noch immer weinenden kleineren zu als die Männer außer Hörweite waren, »Bleib einfach immer hinter mir, dann kann er dir nichts tun.« Er fuhr seinem Bruder über das kurze, schwarze Haar. Die beiden trennten sich. Moribert tropfte noch immer Blut aus der Nase. Der Regen wusch es fort. »Gishelm«, wimmerte der jedoch nur erstickt, »Ist das wirklich unser Vater?« Sein Blick glitt zu der noch immer reglos im Regen liegenden Frau. Ihrer Mutter. Ihre Augen waren noch immer geöffnet. Hatten die beiden Knaben fixiert. Ihre Lippen bewegten sich tonlos. Gishelm senkte den Blick.

Bastard

ZSF03a: Ein Bastard verdirbt dem Ritter zu Esenfeld die Laune.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Der Ritter zu Esenfeld war gerade dabei den Wehrhof wieder in Besitz zu nehmen, da fiel sein Blick auf eine junge Frau. Eine junge Frau, die er noch nie zuvor hier gesehen hatte. Eine sehr hübsche junge Frau mit rotblondem Haar und tiefgrünen Augen und dem verheißungsvollen Hauch von Andersartigkeit. Der Ritter war nicht nur für seine Begierde bekannt, sondern auch dafür, sich zu nehmen, was er glaubte, was ihm zustünde.

Mit seinen kalten, blauen Augen fixierte er sie. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab. Sie schluckte schwer und stellte mit zitternden Händen den großen Bierkrug direkt neben ihm ab. Gerade als sie sich zurückziehen wollte, schnellte seine Hand nach vorne und packte sie am Handgelenk. Ein Schrei entrann ihrer Kehle, ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust, ihr Atem ging schnell. Sie versuchte ihm ihr Handgelenk zu entwinden, aber er hielt sie nur noch fester. Immer fester.

»Schenk mir ein«, befahl er mit kalter Stimme und ließ abrupt ihre Hand los. Sie taumelte nach hinten. Umfasste instinktiv mit der unversehrten Hand ihr schmerzendes Gelenk und begann heftig zu schluchzen. »Schenk mir ein«, wiederholte er mit schneidender Stimme, »SOFORT!«

Das Schluchzen verstummte abrupt. Mit gebeugten Haupt trat sie erneut zu ihm heran, nahm mit der unversehrten Hand den Krug und goss zitternd und wimmernd Bier in seinen Becher ein. Und gerade als sie den Krug absetzte, da umfasste er seinen Becher, wandte sich zu ihr um und schüttete ihr den Inhalt ins Gesicht, wobei er mit trockener Stimme sage: »Du hast Bier verschüttet.«

Sie schrie auf und zuckte zusammen, taumelte dabei einige Schritte zurück. Inzwischen zitterte sie am ganzen Körper.

»Du hast Bier verschüttet«, wiederholte er erneut, »Dein ganzes Kleid ist voll davon.« Seine Gefolgsmänner verstummten. »So etwas dulde ich an meiner Tafel nicht.« Da rappelte sie sich mühsam auf. Den Kopf hielt sie noch immer gesenkt. Das Bier tropfte an ihr herab. Alle Blicke lagen auf ihr. Sie ging rückwärts Richtung Tür. Nur noch wenige Schritte. Bald würde sie diesem Scheusal entkommen sein. Doch dann richtete er erneut das Wort an sie: »Zieh es aus!« 

Die Rothaarige versuchte zu entkommen, doch die beiden Getreuen des Ritters unweit der Tür, packten sie einfach. Mit roher Gewalt zerrten sie die Frau zu ihrem Herren. Sie wehrte sich, schlug und trat um sich, doch die Männer waren einfach stärker und nachdem sie sie bei ihrem roten Schopf gepackt hatten, ließ ihre Gegenwehr nach. Vor dem Herrn zu Esenfeld wurde sie bäuchlings zu Boden geworfen.

»Es gibt zwei Möglichkeiten«, meinte der Hausherr, erhob sich und trat auf die am Boden liegende zu. Ihr tränennasses Gesicht wandte sie von ihm ab. Sie wusste, was ihr drohte. Und auf Milde zu hoffen, war vergeblich. Ebenso auf Hilfe. »Entweder du tust es selbst oder...«, damit ließ er seinen Blick demonstrativ über seine Begleiter gehen, »... sie werden es tun.« Er hielt einen Moment inne. Und beugte sich zu ihr hinab. »Und nur damit wir uns nicht falsch verstehen«, raunte er ihr zu, »Damit werden sie nicht aufhören.« Sie wimmerte. »Nun? Wie entscheidest du dich?«

Wimmernd und zitternd und bibbernd erhob sie sich. Ihr Gesicht von Tränen bedeckt. Und langsam, unter erstickten Schluchzen begann sie ihre Kleidung abzulegen. Und er begutachtete sie eindringlich. Musterte jedes Stück ihres Körpers, bis sein Blick an dem Brandmal an ihrer linken Brust hängen blieb. Eine Hand mit fünf abgespreizten Fingern – das Wappen der Familie Schwarztannen.

»Verschwinde!«, angewidert wandte er sich ab, »Verkommener Bastard.«

Brüder

ZSF03b: Der Vater hasst die Mutter der Knaben.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Der Herr zu Esenfeld blieb über Nacht, denn der Zorn Efferds – viele eher Rondras, wenn man dem leisen Wispern der Bediensteten hinter vorgehaltener Hand glaubte – verzog sich nicht so schnell. Lange grollte es bedrohlich. Der Himmel in ein giftiges dunkles Grün getaucht. Und Blitz um Blitz zuckte herab. Einer setzte sogar die große, mächtige Eiche im Innenhof Esenfels in Brand. Erst da erlaubte der Herr, die Hausherrin endlich fortzuschaffen und das auch nur, weil sie im Weg lag, nicht etwa aus ... Mitleid, wie er wiederholt betonte.

Und erst als die Herrschaft schlief, hatte die rothaarige Zofe der Hausherrin es gewagt, nach einem Diener der Herrin Peraine aus Salzungen zu schicken. Indes saß die Zofe der Verletzten an deren Bett, hielt ihre reglose und kalte Hand in der eigenen und musterte ihr ausdrucksloses, blasses Gesicht. Moribert krabbelte der Frau mit dem rotblondem Haar und den grünen Augen auf den Schoß und schmiegte sich dicht an sie. Den noch freien Arm legte sie um den Knaben und hauchte ihm anschließend einen Kuss aufs Haar. Grishelm indes trat neben sie an das Bett seiner Mutter.

»Ist das wirklich unser Vater?«, hob Grishelm hoffnungsvoll an, »Sag, dass er es nicht ist, Waad. Sag es! Bitte!«

Sie schluckte schwer und schüttelte traurig ihren Kopf. »Er ist euer Vater.« Ihr Stimme war ganz warm und weich. Gänsehaut jagte Grishelms Rücken hinab. »Ardo von Schwarztannen-Scharfenstein ist euer Vater. Und du, Grishelm, bist sein Erbe.«

»Ich will nicht, dass er mein Vater ist!«, entfuhr es dem Knaben da, »Ich will nicht sein Sohn sein. Erst recht nicht sein ...« Ihm fröstelte. »Erbe.«

Verständnisvoll nickte Waad.

»Kann nicht jemand anders unser Vater ein?«

»Nein«, erneut schüttelte sie den Kopf, »Das geht nicht. Ihr seid seine Kinder. Es gibt keine Zweifel. Ihr seid sein Fleisch und Blut. Und das ist es, was zählt.«

Einige Tränen liefen dem Knaben über das Gesicht und trotzig erwiderte er: »Ich will das aber nicht. Ich will nicht, dass dieser Mann mein Vater ist. Ich will das nicht.«

»Ich weiß, Grishelm, und ich verstehe dich. Sehr gut sogar.« 

Seit der Geburt der Knaben des jüngeren der beiden Knaben war Waad immerzu um Algerte gewesen. Abends hatte sie mitgeholfen, die Knaben in den Schlaf zu wiegen, ihnen tulamidische Schlaflieder vorgesungen, Geschichten aus ihrer Heimat erzählt, war bei ihren ersten Schritten, ja bei ihren ersten Worten dabei gewesen. Sie hatte gemeinsam mit ihnen Esenfeld entdeckt. War in Bäume geklettert und hatten im Mühlbach geplantscht und im Wald getobt. Und wenn die Beine der Kinder zu schwer waren von den vielen Abenteuern, dann hatten sie sie nach Hause getragen. Abwechselnd natürlich. Sie war immerzu für die Knaben da gewesen. Immer. Jederzeit. Ja, sie war weitaus mehr als eine Zofe. Sie war eine Vertraute. Für die Hausherrin und ihre Kinder.

»Hasst er uns?«, riss Grishelm die Rothaarige aus seinen Gedanken. Unruhig verlagerte der Knabe das Gewicht von einem auf das andere Bein. Einen Moment blickte sie auf den Knaben in ihren Armen. Der ruhige und regelmäßige Atem verriet, dass er eingeschlafen war. »Hasst er uns?«, wiederholte der ältere der Knaben.

»Nein«, versicherte sie sanftmütig, »Nein, er hasst euch nicht. Nicht seine Söhne. Seine Erben. Nein, gewiss nicht. Ich denke sogar...« Sie hielt einen Moment inne. Wirkte angespannt. »... dass er euch liebt. Auf seine... hm... eigene Art.« Waad zog ihre Augenbrauen nach oben. »Sicherlich. Er liebt euch. Da bin ich sicher.«

Doch Grishelm beruhigte das nicht: »Hasst er ... hasst er Mutter?«

Waad konnte nicht anders, sie konnte nur nicken. Und dann, nach einem erschreckend langen Augenblick, in dem sie schwieg und die Hausherrin ernst betrachtete, hauchte sie so leise, dass es gerade so zu verstehen war: »Es war nicht immer so, Grishelm. Er war nicht immer so. Sie waren einander sehr zugetan. Ungleich, doch irgendwie glücklich. Doch dann ist Algerte etwas Schreckliches passiert. Etwas Entsetzliches.«

Gänsehaut erfasste den gesamten Körper des Knaben. So hatte er Waad noch nie sprechen hören. So voller Grauen. Und weil sie nicht mehr sagte, wusste der Knabe, dass es etwas wirklich Schreckliches gewesen sein muss.

Geweihte

ZSF04: Eine Geweihte der Peraine kommt (unerwartet) nach Esenfeld.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Wenig nach dem Morgengrauen traf eine Geweihte der Herrin Peraine aus Salzungen ein. Zwar missfiel ihr Erscheinen dem Hausherren zutiefst, aber er wusste sehr wohl, dass man einen Diener der Zwölfe nicht ohne weiteres abwies. Und so tat er das, was von ihm erwartet wurde.

»Peraine mit Euch, Euer Hochwürden« grüßte er sie demütig und beugte ganz leicht sein Haupt. Mit einer einladenden Geste bat er sie in das Gebäude hinein. »Habt Dank für Euer Kommen, auch wenn es nicht notwendig gewesen wäre, dass ihr persönlich erscheint.« 

Die ältere Geweihte nickte sanftmütig. Eine Strähne ihres kurzen, grauen Haares fiel ihr ins Gesicht. Sie strich es sich wieder zurück. »Sorgte Euch nicht, Hochgeboren. Wie ein jeder von uns, bin auch ich nur eine Dienerin und deswegen diene ich«, erwiderte sie und fügte unnötigerweise noch hinzu: »So wie auch Ihr nur ein Diener unter dem Angesicht der Götter seid.« 

Ardo von Schwarztannen blickte die Geweihte schweigend und nahezu reglos an. In seinen Augen funkelte Zorn. Unangenehme Stille breitete sich aus.

»Seid doch so gut«, ergriff die Geweihte nun wieder das Wort, »und bringt mich zu Eurer werten Gattin, damit ich sie mir ansehen kann.«

Der Hausherr nickte nur mürrisch, bot der Hochgeweihten seinen Arm an und schritt mit ihr voran. Und während sie miteinander gingen, wollte sie von ihm wissen: »Ist meine gute Freundin Algerte wieder einmal gestürzt, Hochgeboren?«

»Ein bedauerlicher Unfall«, erwiderte er ihr trocken und vermied es sie anzusehen, »Wieder einmal, Hochwürden.«

»Hm«, machte die Geweihte da nur und legte die Finger ihrer freien Hand an ihr Kinn, »Meine gute Freundin ist seit damals einfach nicht mehr sie selbst.« Sie seufzte schwer und schaute betrübt drein. »Armes Kind.« Sie hielt einen Moment inne. »Phex sei Dank hat sie Eure beiden Söhne an ihrer Seite. Sie liebt sie sehr. Vor allem, da...« Sie verstummte.

Der Hausherr schwieg.

»Vermutlich werdet Ihr nicht lange bleiben, Hochgeboren?«, fuhr sie fort.

»Ich bedauere, aber Ihr habt recht«, erwiderte er ihr, »Ich bin nur gekommen, um meine Söhne zu holen.«

Die Geweihte blieb abrupt stehen und schaute ihn lange, ohne ein einziges Wort zu sagen, an. Stoisch hielt er ihren Blick.

»Hochwürden«, ergriff er nun das Wort, »Ich muss mich jetzt nun wirklich empfehlen. Mein Bruder erwartet mich dringend auf Burg Scharfenstein.«

»Ich verstehe«, damit löste sie sich aus seinem Arm, »Werdet Ihr beide Knaben mit Euch nehmen?«

»Sicherlich. Es ist Zeit, dass sie das Leben am Hofe kennenlernen.«

»Auch Moribert? Er scheint mir noch recht jung.«

»Beide«, entgegnete er ihr nur mit unnachgiebigem Blick, »Tut, was Eure Herrin von Euch verlangt. Ich muss tun, was mein Herr von mir verlangt. Peraine mit Euch, Hochwürden.« Damit wollte er sich verabschiedete, wandte sich jedoch noch einmal um: »Sag, wer genau hat denn nach Euch geschickt?« Ein grausames Lächeln legte sich über seine Lippen. Sie zog die Augenbrauen belehrend nach oben und entgegnete lediglich: »Meine Herrin.«

Gefehlte

ZF05: Die Geweihte der Herrin Peraine sieht einen Ausweg.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

»Was ist genau vorgefallen?«, wollte die Geweihte von den beiden Brüdern der Hausherrin wissen als sie am Bett der verletzten stand und auf den blutigen Verband um deren Kopf blickte.

Die jungen Männer schauten betreten drein und blickten zu Boden. Kein Wort verließ ihre zitternden Lippen. Die beide wussten, dass ein jedes Wort ihnen das Leben nur noch schwerer machte. Dabei war es schon schwer genug. Der Hausherr ließ sie auf Schritt und Tritt überwachen und sie für jede noch so kleine Verfehlung hart bestrafen. Und jede ihrer Verfehlungen war auch eine Verfehlung ihrer Schwester, seiner Frau.

Die Geweihte seufzte.

»War er es?«, wollte die Geweihte nach Abreise mit strengem Blick wissen, »Hat er sie so zugerichtet? Mal wieder?«

Die beiden Brüder schauten auf die Füße der Geweihten. Kein einziges Wort kam über ihre Lippen.

»Bei Peraine!«, seufzte sie. »Schon gut«, sie winkte ab, »Ich habe schon verstanden. Es ist ja nicht so, als wäre ich das erste Mal hier.« Nachdenklich begann sie sich ihre Schläfe zu massieren. »Warum nur, Algerte? Warum nur?« Sie prüfte ihre Atmung. Ihre Reflexe. Zog die Augenlider nach oben. Da begann sie mit gekonnten Fingergriffen den Verband um den Kopf der Hausherrin zu lösen, die Wunde in Augenschein zu nehmen, sie zu säubern, zu nähen und neu zu verbinden. Die Brüder der Hausherrin gingen ihr dabei zur Hand. »War sie die ganze Zeit über bewusstlos?«

Die Brüder nickten stumm.

»Das ist vielleicht kein gutes Zeichen«, erklärte sie. Die Männer blickten zu ihr. Die Geweihte wusch sich die Hände. Trocknete sie an einem Tuch. »Wir werden abwarten müssen. Ich werde bleiben. Den Beistand der Herrin Peraine erbitten. Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Ich .... « Sie schluckte. »Ich habe Angst, dass...«

»Was sollen wir denn tun, Peralina?«, wandte sich Salvin sichtlich verzweifelt an die Geweihte.

»Ihr?«, sie schüttelte den Kopf, »Ihr tut alles, was in eurer Macht steht. Dies jedoch...« Sie deutet mit einer Geste um sich herum. »... steht nicht in Eurer Macht.« Energisch nickte sie. »Es ist an der Zeit, dass sie endlich Schutz bei den Zwölfen sucht.« Mit ernster Miene betrachtete sie die Brüder. »Unter ihrem Schutz wird er es nicht wagen, Hand an sie zu legen, ganz gleich wie viel Schuld sie zuvor auf sich geladen hat. Sie werden Schützen ihre Hand über sie halten. In jedem Kloster, in jedem ihrer Tempel wäre sie sicher.«

»Eingesperrt wäre sie«, meldete sich Salentin zu Wort, »Könnte diesen Ort nie wieder verlassen, ohne seinen Zorn zu spüren zu bekommen. Und das schlimmer als jemals zuvor. Nie wieder ihre Söh... Kinder sehen.«

»Leben muss bewahrt werden. Um jeden Preis. So lehrt es meine Herrin. Und genau das gilt auch für Algerte.« Sie hielt einen Moment inne. »Ihr Tod nutzt nur einem.«

Die Brüder nickten betrübt.

»Aber welcher Tempel würde ihr Schutz gewähren?«, warf nun Salvin ein, »Ganz Schwarztannen weiß, was damals geschehen ist. Die Menschen haben sich die Mäuler über unsere Schwester zerrissen. Noch heute...« Seine zitternde Stimme brach. »Sie tun es noch heute.«

Peralina zuckte mit den Schultern: »Bis heute kann ich nicht sagen, wem ich wirklich Glauben schenken kann.« Sie seufzte schwermütig. »So gerne ich ihr Glaube will, das Urteil war eindeutig.« Nun nickte sie. »Es gibt nur eine Kirche, die hier in der Baronie einen Tempel ihr eigen nennt und wenig auf die Ereignisse auf Dere gibt. Eine einzige.«

Weißer Rabe

Dunkelheit

Als sie erwachte, war es still um sie herum. Still und dunkel. Die Luft war von Weihrauch erfüllt. Sie versuchte, sich zu orientieren. Zu begreifen, wo sie war. Aber sie wusste es nicht. Es war zu dunkel. Sie versuchte aufzustehen, aber ihre Glieder waren so unendlich schwer. So versuchte sie ihren Kopf zu heben, doch auch das schaffte sie nicht. Schmerzerfüllt sank sie zurück in das weiche Kissen und atmete angestrengt ein und aus. Ihr Kopf schmerzte. Sie biss die Zähne zusammen. Und erst da bemerkte sie: Sie war nicht allein.

Sie lag in einem Bett, das begriff sie jetzt. Und an ihrem Bett, da saß jemand. Auf der Bettkante saß jemand. Eine Gestalt. Dunkel zeichneten sich ihre Umrisse gegen die sie umgebende Finsternis ab. Ein Schatten. Mehr nicht. Ohne Gesicht. Bestehend aus Dunkelheit. Aus Finsternis. Doch sie hatte keine Angst. Keine Furcht.

Der Schatten beugte sich über sie. Eine Hand oder vielleicht doch eher ein Flügel streifte über ihre Stirn. Ganz weich und anschmiegsam. Da wurden ihre Lieder so schwer, dass sie einfach zufielen. Der Schmerz wich zurück. Und ihr Bewusstsein auch.

»Dem Raben gebührt, was des Raben ist«, raunte eine leise Stimme.

Vergessen

Immer wieder erwachte sie. Und immer wieder sank sie in die Bewusstlosigkeit zurück. Aber mehr und mehr nahm sie die Welt um sich herum wahr. Geweihte des Schweigsamen kamen, wuschen ihren kraftlosen Körper, wechselten die Verbände an ihrem Kopf, flößten ihr Brühe ein. Sie sprachen kaum, beantworteten ihre Fragen nur spärlich, beteten aber für sie und mit ihr, meist schweigend. Und so seltsam sie das auch zu beginn fand, so erfüllten sie die Gebete mehr und mehr.

Irgendwann jedoch kam eine Geweihte der Herrin Peraine. Eine älter Frau mit grauem Haar. Ein leichter Geruch von Knoblauch hing in der Luft. Vermischte sich mit dem Weihrauch. Die Geweihte setzte sich an ihr Bett, nahm die Hand der Verwundeten in ihre und blickte sie dann lange an.

»Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du noch am Leben bist«, eine einzelne Träne rollte der Geweihten die Wange hinab. Sie wischte sie nicht fort. Sie tropfte auf ihre Robe und hinterließ einen kleinen nassen Fleck.

»Wo bin ich?«, hob die Verwundete an.

»Im Schoß des Ewigen«, erklärte die Geweihte und blickte gütig auf die Frau hinab. In ihren alten Augen lag Wärme und Zuversicht. »In einem seiner Tempel.«

Langsam nickte sie: »Was ist passiert?«

»Du warst dem Tod sehr nahe«, erklärte die Geweihte, »Sehr nahe. Aber Golgari, so sagten uns seine Diener, hatte noch nicht entschieden. Und so kämpften wir um dein Leben. Und sie halfen uns.«

»Wir?«

»Die Zwillinge und...«

»Salvin und Salentin«, fiel sie ihr ins Wort.

Die Geweihte kniff ihre Augen zusammen: »So ist es.«

»Sie sind die Zwillinge der Gutsverwalterin. Ich weiß.« Sie nickte. »Wie geht es meiner Mutter?« Sie versuchte sich aufzusetzen. Die Geweihte half ihr. Schob ihr ein Kissen in den Rücken. Und setzte sich dann wieder. »Hm«, machte sie im Anschluss, »Kennst du ... deinen Namen?«

»Algerte«, die Angesprochene und zog ihre Stirn fragend kraus, »Mein Name ist Algerte Phexlieb von Waldfang. Und mein Vater gab mir den Namen Phexlieb, weil ich im Phex geboren bin. Am Tag des Glücks. Am Tag des Phex. Mutter hielt es erst für einen Scherz, aber es war keiner.«

Erneut nickte die Geweihte nachdenklich.

»Warum bin ich nicht in seinem Tempel?«, wollte sie verwundert wissen, »Ich sollte ihm dienen.«

»Hm«, machte die Geweihte erneut, »Erinnerst du dich an mich?«

Sie zog die Stirn kraus. Musterte die Geweihte kritisch: »Kennen wir uns?«

»Ich bin Peralina Tempeltreu«, stellte sie sich vor, aber Algerte schüttelte nur Kopf. Peralina nickte noch nachdenklicher. »Kannst du mir sagen, wer der Kaiser des Mittelreiches ist?«

»Valpo von Almada

Schutz

»Wer ist der Kaiser?«, wollte Algerte von der Geweihten wissen, nachdem diese sich um ihre Wunde gekümmert und auf die Kante ihres Bettes gesetzt hatte um zu beten.

Die Geweihte hob langsam ihren Kopf, schob mit einer eleganten Bewegung die Kapuze ihrer schwarzen Robe zurück und offenbarte ihr rotes Haar. Sie hob ihren Blick. Jung wirkte ihr Gesicht. Doch ihre blau-grünen Augen offenbarte, dass sie nicht mehr so jung sein konnte. Andächtig faltete sie ihre Hände und legte diese in ihren Schoß. »Es gibt viele«, erwiderte die Geweihte ruhig, »und doch keinen einzigen.«

»Hm«, machte Algerte, »Wie du das sagst.« Sie schüttelte den Kopf. »Dann ist das Reich ohne Herren. Aber du sagt das so, als würde es dich nicht ... im geringsten kümmern.«

»Es kümmert den Ewigen nicht«, erklärte sie langsam nickend, »Und damit kümmert es auch mich nicht. Dem Ewigen schert vieles nicht. Ihm ist gleich, was für Titel wir uns geben, welche Länder wir beanspruchen oder auch nur was wir besitzen. Vor ihm sind wir alle gleich. Ein jeder von uns.« Sie hielt einen Moment inne. »Eines Tages werden wir ihm alle gegenüber treten. Uns alle ereilt dasselbe Schicksal.«

Algerte blickte sie lange an: »Aber das bedeutet ... das heißt ja ... es ist Zeit vergangen, an die ich mich nicht erinnere?«

»Eine Gnade des Herrn des Vergessen«, kam die Antwort der Geweihten prompt, »um die dich viele beneiden.«

»Was willst du mir damit sagen?«

»Gewiss hatte der Ewige einen guten Grund dir das Geschenk des Vergessen zu schenken, denn das ist es, ein Geschenk. Sein Geschenk. Er gewährt es nicht vielen. Und er gewährt es nicht ohne Grund«, langsam nickte sie, »Er hat noch etwas mit dir vor. Du bedeutest ihm etwas.«

»Wird er es mir ... sagen?«, wollte sie wissen, »Wird er mir mitteilen, was er mit mir vorhat? Was ich für ihn tun soll?«

Sie zuckte mit den Schultern: »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer vermag das schon zu sagen? Dem Raben gebührt, was des Raben ist.« Und für die Geweihte war damit alles gesagt.

»Und die Welt dort draußen?«

»Verlasse den Tempel des Ewigen nicht, Algerte«, riet die Geweihte und blickte plötzlich sehr ernst drein, »Der Ewige schützt dich. Er gibt auf dich acht. Aber er kann das nur in seinem Schoß tun. Du musst wissen, die Welt dort draußen ist gefährlich. Auch wir gehen nur hinaus, wenn uns sein Ruf ereilt.« Damit erhob sie sich und wollte bereits das Zimmer verlassen als Algerte noch einmal das Wort ergriff: »Wie ist dein Name?«

»Etilinae«, sie wandte sich zu der anderen um, »Er machte ihn mir zum Geschenk. Wirst auch du sein Geschenk annehmen?«