Geschichten:Im Schatten des Walls - Unter Harpienschwingen: Unterschied zwischen den Versionen

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 59: Zeile 59:
|Teil=
|Teil=
|Datum=01.06.1048
|Datum=01.06.1048
|Zeit=
|Zeit=12:00
|Autor={{Briefspieler|Benutzer:Treumunde|Treumunde}}
|Autor={{Briefspieler|Benutzer:Treumunde|Treumunde}}
|Logo=Wappen Baronie Weissbarun.svg
|Logo=Wappen Baronie Weissbarun.svg

Aktuelle Version vom 4. September 2025, 09:42 Uhr

Der frühe Morgen hatte das Gebirge in blasses Gold getaucht, als Ritter Amatus von Waltern und sein junger Schüler Leomir von Ochs den schmalen Gebirgspfad entlangstiegen. Mehre Tage hatten sie bereits im Wall verbracht.

Über ihnen zogen lange Schatten zwischen grauen Felszinnen und krummen Wacholderbüschen dahin, und das Licht der aufgehenden Sonne legte sich weich über die Gesteinsflanken.

Leomirs Stirn glänzte vom Aufstieg, Schweiß rann in dünnen Spuren über sein Gesicht. Sein Blick schweifte unablässig über Geröllfelder und krüppelige Bäume.

„Ruhig, Junge“, sagte Amatus mit tiefer Stimme, als er stehen blieb und das Panorama auf sich wirken ließ. „Im Gebirge zwingt dir die Natur ihren Rhythmus auf. Lerne, mit ihm zu atmen, nicht gegen ihn.“

Leomir nickte schweigend und folgte Amatus’ Fingerzeig auf eine schmale Schneise, wo sich frische Abdrücke in der feuchten Erde zeigten. Zweizehige Hufe hatten sich tief eingegraben. „Gemsen. Mindestens drei, vielleicht mehr“, murmelte der Ritter. „Sie halten sich in den höheren Lagen. Wir folgen der Fährte.“

Noch ehe sie sich jedoch wieder in Bewegung setzen konnten, wurde die Stille jäh zerrissen. Ein spitzer, gellender Schrei hallte von den Felswänden wider, gefolgt von einem zweiten, noch schärferen.

„Deckung!“ zischte Amatus augenblicklich, packte Leomir am Kragen und zog ihn unter eine niedrige Felsüberhang.

Drei Schatten kreisten über den Grat. Große Schwingen, halb Federn, halb Leder, zogen Zickzacklinien durch den Himmel. Die Körper der Kreaturen waren weiblich geformt, aber ihre Gesichter waren verzerrt, vogelartig, mit Krallen an Händen wie Füßen.

„Harpyien“, knurrte Amatus. „Verflucht. Die Brut hat hier oben ein Nest.“

Leomir kauerte zitternd an den Fels gelehnt, während die fliegenden Schrecken über ihnen kreisten. Der Wind, den ihre Schwingen erzeugten, ließ Staub über den Hang tanzen.

„Was tun wir?“, flüsterte der Knabe.

„Warten. Solange sie kein Opfer erspähen, bleiben sie meist auf Abstand.“

Etliche Minuten vergingen, während die Harpyien mit kreischenden Rufen ihre Runden zogen. Doch schließlich verloren sie offenbar das Interesse und zogen weiter gen Osten. Nur langsam wagten sich Amatus und Leomir wieder hervor.

„Du siehst“, meinte der Ritter belehrend, „die Berge lehren Geduld oder sie bestrafen dich.“

Sie setzten ihren Weg fort, nun noch vorsichtiger, und erreichten eine schmale Felsterrasse, wo Amatus dem Knaben die Unterschiede zwischen den stacheligen Kiefern und zwergwüchsigen Bäumen erklärte. Sie fanden frische Spuren von Mardern, sahen eine Smaragdotter durch das Geröll huschen, und Amatus deutete auf essbare Wurzeln der Rashtulsknolle, die unter flachen Steinen wuchsen.

Am frühen Nachmittag entdeckten sie die Gemsen erneut. Drei Tiere, hoch oben an einer schroffen Klippe. Mit viel Geschick kletterten sie an die Flanke heran. Die letzten Schritte, über losen Schiefer und krümelnden Sandstein, waren gefährlich. Sie spähten die Tiere aus und schließlich gelang es Amatus, ein Tier mit einem Pfeil zu erlegen. Der Aufprall hallte dumpf durch das Tal.

Freudestrahlend drehten sie sich um und da geschah es.

Ein Stein unter Amatus’ Stiefel gab nach. Der Ritter verlor das Gleichgewicht, ruderte mit den Armen, versuchte sich an einem Strauch zu klammern. Vergeblich. Mit einem gellenden Schrei stürzte er über die Kante. Geröll folgte ihm im freien Fall. „Amatus!“ schrie Leomir.

Seine Stimme hallte durch die Schlucht. Auf einem schmalen Vorsprung, gut zehn Schritt unterhalb, lag der Ritter reglos. Leomir zögerte nicht lange. Geübt von den vergangenen Kletterstunden seilte er sich ab, bis er den Verletzten erreichte. Blut rann über Amatus’ Stirn. Der rechte Arm war unnatürlich verdreht, das Bein eingeklemmt.

„Du musst Hilfe holen...“, keuchte Amatus, doch Leomir schüttelte den Kopf.

„Ich lasse Dich nicht allein.“

In der Ferne sahen sie eine Bewegung. Auf einem benachbarten Hang, kaum sichtbar zwischen Felsen und Geröll, stand ein alter Mann, hochgewachsen und hager, mit kupferfarbener Haut und in Felle gehüllt. Neben ihm ein Mädchen, das eine Hand auf das Fell eines majestätischen Berglöwen legte. Der Mann hob einen geschnitzten Stab, auf dessen Spitze Federn und Knochen baumelten.

„Ein Ferkinaschamane...“ murmelte Amatus benommen. „Bei den Zwölfen, was sucht der hier...?“

Leomir starrte hinüber, unfähig sich zu rühren. Die Angst hatte ihn übermannt.




 Gebirge.svg
 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Perricum.svg  
 Wappen Baronie Weissbarun.svg
 
Texte der Hauptreihe:
1. Hes 1048 BF 12:00:00 Uhr
Unter Harpienschwingen


Kapitel 1

Ay Nurenuram!
Autor: Treumunde