Geschichten:Von Elfen und Wölfen - Prolog

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Prolog


Im Reichsforst, Sommer 1030 BF


Alles war neu, fremd, unbekannt. Tausend Eindrücke stürzten auf ihn herein, die er nicht benennen konnte. Hineingeworfen in eine Welt, die er noch nicht kannte, fiel es seinem jungen Körper schwer, zwischen den vielen Geräuschen, Gerüchen, Geschmacken und Gefühlen zu unterscheiden. Mühsam kroch er vorwärts und suchte die Nähe der Mutter, die Wärme ihres Körpers, den vertrauten Geruch von etwas Bekanntem, dass ihm Schutz verhieß. Liebevoll leckte sie mit ihrer Zunge das Kind ab, reinigte sein Fell, wie sie es zuvor bei seinen Geschwistern getan hatte.

Das knurrende Gefühl im Bauch war auch etwas neues. Instinktiv bewegte er sich vorwärts und fand, wonach er suchte, auch wenn er es nicht hätte benennen können. Er trank, und das Gefühl, dass andere Wesen Hunger nannten, schwand dahin. Doch eine jede Bewegung strengte ihn an, und bald darauf kuschelte er sich neben seinen Geschwistern in die Mulde, in der die Mutter ihnen das Leben geschenkt hatte, schmiegte sich an ihr Fell und schlief ein.  


Die Tage vergingen. Zusammen mit seinen Geschwistern öffnete er alsbald die Augen und tapste auf eigenen Pfoten in die Welt hinaus, zuerst noch langsam, vorsichtig und unbeholfen, nach und nach aber immer schneller und sicherer. Neugierig steckte er die Nase in den Wind und sog die Gerüche des Waldes ein, stellte die Ohren auf, um alles zu erlauschen, was um ihn herum passierte, und jagte Vögeln, Fröschen und Schmeterlingen hinterher, die seinen Weg kreuzten.

Seine Kraft wuchs von Tag zu Tag, und bald entdeckte er, welch wirksame Waffe seine Zähne darstellten, als er in den ersten Herbsttagen seinen ersten Hasen fing. Das Blut seiner Jagdbeute rann warm die Lefzen hinunter und weckte den Jagdtrieb, der von Geburt an in ihm geschlummert hatte, vollends auf. Obwohl er der letztgeborene seines Wurfes war, war er mittlerweile zum größten und stärksten der Geschwister herangewachsen. Silbergrau glänzte sein Fell in den warmen Strahlen der Herbstsonne, als er auf einem Felsen am Rande der Lichtung stand und hinabblickte auf seine Geschwister, die unten im Gras herumtollten. Plötzlich witterte er etwas. Es war ein fremder Geruch, den er noch niemals wahrgenommen hatte, und er wusste nicht recht, ob es nun Gefahr bedeutete oder nicht. Schnell verließ er seinen Platz auf dem Felsen und sprang hinab, blieb jedoch vor der grauen Wand stehen. Behutsamm schnupperte er erneut und spähte in die Richtung, aus welcher der Wind den unbekannten Geruch herbeitrug. Einmal glaubte er eine Bewegung erspäht zu haben, doch so sehr er sich auch anstrengte, er fand den Punkt nicht wieder. So harrte er aus und beobachtete, dabei verschmolz er beinahe mit dem Grau des Felsens.

Wenig später sah er seine Mutter über die Wiese huschen, in eben der Richtung, aus der das Unbekannte sich näherte. Auch sie hatte es gerochen, und sie wirkte beunruhigt. Einige der Geschwister liefen ihr hinterher. Die Unruhe der Mutter hingegen befiehl auch ihn.

Mit einem Male verharrte seine Mutter im Lauf und stürzte zuckend zu Boden. Aus ihrer Flanke ragten plötzlich zwei lange, schmale Äste empor, an deren Spitzen bunte Federn hingen, und nur Augenblicke später traf zwei seiner Geschwister das gleiche Schicksal. Schon wollte er aufspringen, helfen und nach dem Rechten sehen, doch etwas in seinem Inneren hielt ihn zurück. »Du musst leben«, flüsterte ihm eine Stimme ein, flüchtig wie ein Gedanke, doch er hörte darauf, selbst als der Schmerz in seinem Inneren immer größer wurde, als nach und nach alle Geschwister seines Wurfes leblos auf dem Waldboden lagen. Er verharrte weiter, als das große, feingliedrige Wesen aus dem Dickicht traten und sich seiner Familie näherte; seiner toten Familie, wie er sich bewusst wurde. Die wesen waren ohne Fell, nur auf dem Haupt trugen sie lange Mähnen, und ihre Leiber waren mit Dingen verhüllt, die er nicht kannte. In den Händen trugen sie gebogene Stöcke; ihre Ohren waren langezogen wie die eine Hasen, doch sie lagen eng seitlich am Kopf an und liefen in Spitzen aus.

Vorsichtig näherten sich die Wesen den toten Leibern, während er bewegungslos verharrte und beobachtete. Sie zogen die Federstäbe aus den toten Wolfskörpern, warfen sich die Beute über die Schultern und wandten sich ab. Schon wollte er ich bewegen, als sich eines der Wesen noch einmal umdrehte und genau in seine Richtung sah. Es war ihm, als trafen sich ihre Blicke, doch das fremde Wesen schine ihn nicht sehen zu können. So schüttelte es den Kopf, wandte sich abermals um und verschwand im Waldesdickicht.

Er hingegen verharrte noch etwas auf seinem Platz und prägte sich das Gesicht des Wesens ein, dass seine Mutter, seinen Wurf auf dem Gewissen hatte. Dunkle Augen und schwarzes Haar; er würde es nie vergessen.

Wenig später verließ er den Schatten des Felsen und lief in die entgegengesetzte Richtung davon. Doch in einem war er gewiß: Eines Tages würde er Rache nehmen für das, was ihm heute widerfahren war.


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Ron 1030 BF
Erwachen


Prolog 10

Der Graue
Autor: CD