Geschichten:Sechs Legenden - Ein verschlüsselter Brief

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Geschrieben am 17. Rahja 1039 BF in Raschtulswall
 
 
 
 
Commilitone E.,

ich habe in den letzten Tagen einige dieser schönen Sommernächte auf dem Rücken liegend auf einem kühlen Felsen des Walls verbracht und den Himmel über Garetien beobachtet. Während die Kaiserin gegen den Erzverräter zieht, bahnt sich dort oben eine beeindruckende Konstellation an, die die kleingeistigen wieder übersehen.

Zuersteinmal sehen wir offensichtlich den Hund des Krieges, dass heißt, die Sternbilder Hund und Schwert begleiten sich für eine Weile. Jeder weiß, dass diese Konstellation auf blutige Schlachten hinweist, aber was wollen wir bei der Rückeroberung Tobriens auch anderes erwarten?

Währenddessen wird Uthars Pforte zu Beginn des neuen Jahres am Nordhimmel untergehen. Du erinnerst Dich hoffentlich dass in diesen zwei Wochen die Toten noch einmal gerufen werden können.

Spannend ist diese Konstellation aber erst, wenn man sieht, das Nandus und Kor in Konjunktion in der Sternenleere stehen werden - Nandus vor Kor - und diese in der zweiten Praioswoche wieder verlassen. Das deutet auf eine Warnung oder ein Wissen um die Zerstörung hin und verdeckt den Streit um selbige. Fühlst Du Dich in Deinem Hader mit dem Adel angesprochen?

Es ist aber eben nicht die Konjunktion beider Wandelsterne, die mich so begeistert, sondern dass wenig später (ich denke in der Nacht des 9. oder 10.) beide in der Leere eine Linie hinüber zur Marbo im Delphin am Osthimmel bilden, welche durch den Kaiserstern begleitet wird. Marbo im Delphin bedeutet eine Beendigung von Zeiten, der Kaiserstern steht hier wohl für die Kaiserstadt.

Liest man jetzt die Gesamtkonstellation richtig, so bin ich mir sicher, dass wir diese Nacht nutzen können, um mit den Verstorbenen der Garether Friedhöfe zu kommunizieren, und das im Einklang mit dem göttlichen Willen, wie mir scheint.

Nun lüftet sich auch das Rätsel um die sechs Garether Heldinnen, das mir das himmlische Einhorn mit auf den Weg gegeben hat, als es mich auf meine Reise in das Herz des alten Kontinents geschickt hat. Lasse nach Sancta Ancilla schicken, um das Manuskript mit der Sammlung ihrer Legenden nach Eslamsgrund holen, um es bei Andermann drucken zu lassen und die Früchte unserer langen Forschung dem erwachenden Geist derjenigen zu überlassen, die um die Bedeutung der gerechten Herrschaft wissen.

Ich hoffe sehr, Commilitone E., dass Du die sechs Tränen aus Onyx mit nach Eslamsgrund bringen konntest, die ich Dir einst aus Thalusa mitbrachte, denn jetzt wo sich das Rätsel zu lösen beginnt, erscheinen diese immer wieder vor meinem inneren Auge. Sechs Tränen, sechs Helden, sechs Gräber - das könnte der Schlüssel zu Korgond sein!


Möge Phex uns beide in diesen schwierigen Zeiten verbergen, möge Hesinde unsere Feinde mit Weisheit und Verstand segnen, und möge ihr Sohn Nandus beides zu Rätsel und Lösung vereinen!
 
 
 
 
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Postscriptum: Ich sende diese Nachricht durch einen geflügelten Boten, der Herr sandte mir in dieser Einöde eine gebildete und äußerst charmante tulamidische Magierin, die mir dabei zu Hilfe war.


Elmenbarth war drauf und dran, die in Wachstafeln geritzten, dechiffrierten Nachrichten und Texte rüber in die Küche zu bringen und damit dem einzigen Feuer zu überantworten, dass im Sommer im Tempel brannte. Er hatte schon immer ein exzellentes Gedächtnis gehabt, und was nicht schriftlich existierte, konnten die engstirnigen Häschers des Cantzler nicht gegen ihn benutzen. Er legte sie dann aber doch zurück auf den Schreibtisch und machte das, was sein alter Lehrmeister ein "Gedankenexperiment" nannte.

Die Indizien am Schriftstück deutete daraufhin, dass dessen Inhalt nicht mehr geheim war. Das Siegel war zwar kunstvoll wieder zusammengesetzt worden, aber das kleine Haar, dass das Einhorn wie immer darin verborgen hatte, war vom Siegelbrecher unbemerkt zerbrochen.

Oder sollte er von der Siegelbrecherin sprechen? Marwan war der Welt manchmal recht entrückt, aber Elmenbarth kannte nicht so viele Magierinnen im Wall, die mit solcherart geflügelten Boten aushelfen konnte. Sie und ihre Verbündeten hatte also bereits Kenntnis. Und sie würden diese nutzen, zu ihrem eigenen Vorteil und um die Parteiungen von Cantzler und Kirche weiter auseinanderzutreiben. Gerade jetzt, wo Herrschaft und Weisheit an einem Strang ziehen würden.

Käme er der Siegelbrecherin zuvor, müsste er den Tempel in der Reichsstadt zwar ebenfalls gegen die Wut der Dummköpfe rüsten, könnte aber, wie seinerzeit in Ancilla, den zu Unrecht verfolgten Lehrer geben, der das Mysterium der Vergangenheit nur zu gerne selbst mit denen teilt, die eigentlich seine Feinde sind.

Marwan würde das nicht verstehen, aber aus seinem selbstgewählten Exil heraus könnte er das auch nicht mehr rechtzeitig verhindern. Auch wenn Marwan Nandus' Wege klarer sah als irgendjemand anders, waren seine Schritte auf diesen doch oft seltsam ungelenkt. Würden sie mit Marwans Sicht und Elmenbarths Bewegungsdrang das Ziel erst erreichen, würde Marwan schon verstehen. Er hatte auch Ancilla verstanden, als der Plan aufgegangen war - auch wenn er ihm die Opferung der Kirche in Garetien nie ganz verzeihen würde.

Und genau wie bei Ancilla wären die Onyxtränen verteilt in den Händen der Richtigen sicherer aufgehoben, als sie dort zu lassen, wo sie im Moment verborgen lagen.

Was, wenn diese Richtigen nicht zu den Gräbern gingen? Was, wenn sie dem göttlichen Atem der Sterne nicht vestrauten? Was, wenn sie die Tränen in die Bleikammern würfen? Natürlich hätte der Plan Risiken, aber die Alternative wäre viel schmerzhafter.

Er hatte sich entschieden - wie bei den meisten schwierigen Entscheidungen, hatte ihm der Herr bereits zu Beginn die richtige Intuition mitgegeben.

"Palinai!", sprach er in die Stille und die Novizin zuckte zusammen, "Schreib das hier ins Reine, den Brief sechsfach, den Rest je einfach. Und schick nach dem Vogtvikar. Ich brauche sechs sehr vertrauenswürdige Boten."


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Rah 1039 BF
Ein verschlüsselter Brief


Kapitel 1

Grimhilda von Korgond
Autor: VS