Geschichten:Schimpf und Schande - Teil 2

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2. Keine Ehre dem Ehrlosen

Reichsstadt Hirschfurt, Ende Hesinde 1033 BF


Zwölf Tage waren seit dem Vorfall vergangen, der Coswin die Ereignisse von Leihenbutt wieder deutlich ins Gedächtnis gebracht hatte. Zwölf Tage, in denen er darüber nachgedacht hatte, wie er selber seinem Ziel näherkommen konnte, den persönlichen Einfluß zu mehren und seinen eigenen Stand zu stärken, den anderer Adliger hingegen zu schwächen. Und in diesen zwölf Tagen hatte er einen Plan gefasst, den er nunmehr in die Tat umzusetzen gedachte. Innerlich feilte er schon seit einigen Tagen an den Worten, um sie wohlgesetzt zu Papier bringen zu lassen und ja keinen Schnitzer in den Formulierungen zu haben, die den Empfänger zu einem anderen als dem von ihm, Coswin, gewünschten Handeln zu bringen. Und er war sich sicher, dass seine Worte wohl verstand würden.

Nun also stand Meister Jendor, sein Schreiber, gewappnet mit Federkiel, Tintenfaß und Pergament am Schreibpult und wartete geduldig, dass sein Dienstherr mit dem Diktat beginnen möge.

Coswin von Streitzig, der noch nachdenklich einige Male in der Amtsstube auf- und abgegangen war, ließ sich hinter dem Schreibtisch auf dem Lehnstuhl nieder. »Dann wollen wir es mal angehen. Und wie immer verlase ich mich auf Euch: Zu niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen; es reicht, wenn man erst nach der Entscheidung aus Gareth davon erfährt. Wir wollen dem Baron von Leihenbutt in seinen letzten Tage zu ebenda nicht auch noch die Zeit in die Hände spielen.«

Der Schreiber nickte und zeigte eine verschwörerische Miene. »Dann lasst hören; ich bin bereit.« Er tauchte die Feder in das Tintenfass.

Der Grafschaftsrat lehnte sich in seinem Lehnstuhl zurück. Dann begann er das Diktat, mit welchem er den ihm gebührenden Einfluß auf die Waldsteiner Lande auszuüben gedachte.


»Exzellenz,


Wir entbieten Euch Gruß aus dem Waldsteinschen. Leider müssen Wir Euch zugleich mit einer Angelegenheit behelligen, die Uns schwer auf der Seele lastet, welchselbige Wir selbstens hingegen nicht ohne Verstoß gegen die praiosgewollte zwölfgöttliche Ordnung zu bereinigen imstande sind. Es ist der Königin und darob Euer Aufgabe, darüber zu befinden, was Wir Euch vortragen müssen und ein Urteil zu fällen, wie fürderhin mit der Angelegenheit zu verfahren sei.


Wisset, dass es Lehensdinge sind, welche zu regeln Unserem Stand nicht obliegen und daher wohlweislich an die Königin heranzutragen sind, als derer Erster Rat ich Euch nun davon berichten will.

Sicherlich ist Euch die Baronie Leihenbutt ein Begriff, insbesondere aber jener des königlichen Vasalls jener Lande, welcher darüber herrschet: der Baron Nimmgalf von Hirschfurten. Vermutlich ist Euch ebenso zu Gehör gelangt, dass es dorten vor geraumer Zeit zu Aufständen finsterer Mächte gekommen war, die obgleich des Schreckens aus jenen Landen, die der Volksmund heuer Wildermark heißt, wenig offenbar wurden. Vernehmet, dass hinter all jenem Unheil des Barons Gemahlin als Drahtzieherin gestanden hat, welche schließlich als Dienerin des Dreizehnten – Unheilig! – enttarnt ward.

Wisset ferner, dass seine Hochgeboren von Hirschfurten, besessen von vermeintlichen Verpflichtungen, die Lehendingen aber nachrangig sind, darob das ihm zu Lehen gegebene Land auf das Gröbste vernachlässigt hat, bis es schließlich gar so weit kam, dass er sich zur Erfüllung seiner Lehenspflichten nur noch mit Hilfe der Schwerter des Waldsteiner Adels imstande sah.

Dies ist nun weit über ein Jahr her, dass die Lande Leihenbutt vom Bösen befreit warden, und dennoch schert sich Baron Leihenbutt keinen Deut um jenes Lehen, welches seine Vorfahren wohlwollend aus Eurer Hand erhalten haben und ihm im Erbwege zuteil ward.

Nun erreicht und Klage von Unseren wie Euren Vasallen im Waldsteinschen, dass zu Leihenbutt noch immer keine dem Götterfürsten gefällige Ordnung herrsche. Weder weile seine Hochgeboren vor Ort als vielmehr im Stammland seiner Familie, der Baronie Hirschfurten im Reichsforster Land seiner Hochwohlgeboren Danos von Luring, noch hat er bislang einen Vogt bestallt, an seiner Statt dorten zu Leihenbutt für Ordnung und Sicherheit zu sorgen und in seinem Namen die Amtsgeschäfte zu führen, welche die Verwaltung eines Lehens mit sich bringen.


Dieses ungebührliche Verhalten ist eine Schande für den Adel Garetiens, im speziellen für Waldsteiner Lande. Leider obliegt es jedoch nicht Uns, seine Hochgeboren von Hirschfurten für seine Verfehlungen zur Rechenschaft zu ziehen. Nimmgalf von Hirschfurten allein ist verantwortlich für das Unbill, dass zu Leihenbutt geschah, und es erscheint Uns angebracht, wenn er dafür büßen muß. Er hat Schande gebracht über Euer Königreich, über die Grafschaft, die Uns durch Euch zum Lehen gegeben ist, ja Schande über das Haus Hirschfurten, dessen Oberhaupt er sich nennet, und schlussendlich Schande und schwere Schuld über sich selbst.


Als wohlmeinenden Rat eines getreuen Vasallen empfehlen wir Euch daher, nach Kenntnis Unserer Worte abzuwägen, ob die Lande Hirschfurten nicht besser den Händen eines anderen Eurer Vasallen anvertraut werden sollten, der noch dazu aus einem treu zu Euch stehenden Hause stammt. Erinnert Euch nur der Taten des früheren Reichserztruchsessen Ungolf, welche ebenfalls dem Haus Hirschfurten zuzuschreiben sind und Eurem Reich schon einmal wenig zuträglich waren. Wir vertrauen darauf, dass Ihr zu einer weisen Entscheidung kommen werdet, die der zwölfgöttlichen Ordnung wohlgefällig ist.


Ergebenst,

im Namen ihrer Hochwohlgeboren Allechandriel Quellentanz,

der Gräfin zu Waldstein,


Coswin von Streitzig j.H.,

Grafschaftsrat zu Waldstein.«


Coswin schwieg einen Moment. »Lest noch einmal vor. Ich will sichergehen, dass ich nicht etwas entscheidendes übersehen habe.« Der Schreiber tat wie geheißen. Zufrieden lehnte Coswin sich zurück, faltete die Hände und dachte noch einmal über die Worte nach, die er seinem Sekretarius diktiert hatte.

»Nun, ich denke, dass dieser Brief beim Schroeckh auf fruchtbaren Boden fallen wird. Macht mir eine saubere Abschrift, dann will ich gegenzeichnen und siegeln. Und dann sorgt dafür, dass die Depesche von einem vertrauenswürdigen Boten nach Gareth getragen wird. Es wird Zeit, dass die Dinge hier wieder ins Rechte Lot kommen!