Geschichten:Rabenhorster Gespräche - Tafelspitz

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Vorsichtig stieg er die ausgetretenen steinernen Stufen hinauf. Vor sich hörte er das leise Klirren der Schlüssel, mehr Laute würde die vor ihm gehende Gestalt nicht von sich geben. Endlich erreichten sie das richtige Stockwerk und bewegten sich den langen Gang entlang, wie schon so oft die letzten Wochen.

"Glauben Sie mir, mein Freund, für ein echtes Tafelspitz benötigen Sie die allerbesten Zutaten. Da dürfen Sie keinesfalls etwas Anderes verwenden als den Meerrettich aus der Altenau, vorzugsweise den Eslamsrodener Wurz oder den Dunkelsfarner Kren. Und am besten mischen Sie ihn zusätzlich mit fein geriebenen Äpfeln aus der Breitenau, der Donfanger Parmäne oder der Hexenhainer Renette, im Verhältnis eins zu eins, vielleicht mit einem Schuss frischer Sahne. Und denken Sie daran, dass die Zubereitung des Fonds, in dem Sie den Tafelspitz kochen, von allerhöchster Bedeutung ist. Nur die allerbesten Zutaten garantieren eine annehmbare Qualität. Achten Sie auf Königsgauer Rüben, Kressenburger Stangensellerie und vor allem Zalgoer Karotten, wohlgemerkt die kleinen, zarten."

Er schüttelte den unwillkommenen Gedanken - Erinnerungen an vorhergehende Besuche - ab und beobachtete, wie die mit einem weißen Gewand mit schwarzem Boronsrad gekleidete Gestalt vorsichtig den Schlüssel in das überdimensionierte Schloss schob, umdrehte und anschließend mit einiger Mühe den riesigen Riegel wegschob, um dann die schwere, eichene Bohlentür aufzuziehen. "Und dazu Kartüffeln aus Weiden: Balihoher Rote, Tralloper Braune oder, wenn Sie ganz viel Glück und einen gut sortierten Gemüsehändler haben, Moosgrunder Blaue! Vorsichtig im simmernden Wasser gar gekocht, so dass sie gerade noch bissfest sind, und mit ein klein wenig Petersilie bestreut, herrlich! Oder aber, wie meine selige Mutter dies zu tun pflegte, nach dem Kochen halbiert und in ein wenig Butterschmalz geröstet. Und niemals dürfen Sie die Schale wegschneiden. Dadurch verlieren sie ihr ganzes Aroma. Oh. Und denken Sie an die Prise Muskat!"

Ein kurzer Blickwechsel, ein zögerndes Nicken, dann trat er in den hohen, engen Raum. Der Noionite ging an ihm vorbei zu dem kleinen Tisch am schmalen, hoch angebrachten Fenster, und löste der dort sitzenden Gestalt vorsichtig den Knebel. Er selbst setzte sich auf den Stuhl, dem Gefangenen gegenüber.

"Ah", die sanfte, ausdrucksstarke Stimme mit dem eigenartig distinguierten Tonfall begrüßte ihn wie ein samtener Regen, "da seid Ihr ja wieder. Und? Habt Ihr mittlerweile über meine Frage nachgedacht?"

Er zuckte ein wenig zusammen, bemüht, sich durch die freundliche und offene Sprechstimme seines Gegenübers nicht gefangen nehmen zu lassen… "Aber die größte Sorgfalt müsst Ihr natürlich dem Tafelspitz selbst widmen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn Ihr das falsche Stück Fleisch verwendet oder, noch schlimmer, wenn Ihr bei seiner Zubereitung einen Fehler macht. Das Fleisch sollte von makelloser Schönheit sein, fein marmoriert, mit nur dünnen Fettadern durchwachsen, dafür aber im gesamten Fleischstück. Am besten achtet Ihr darauf, dass es aus dem unteren Filet oder dem tiefen Rücken herausgelöst wurde. Je trainierter und jünger, desto zarter. Und achten Sie auf das Geschlecht. Das weibliche Gesäß neigt leider schon sehr früh zum Fettansatz, was dem Fleische abträglich ist. Ich bevorzuge für mein Tafelspitz vierzehnjährige Knaben oder Mägde mit knabenhaftem Äußeren." "Ihre Frage?"

Das Lächeln war gutmütig vergebend, in der Stimme schwang eine leichte Belustigung: "Die Frage, ob nach den Geboten Eurer Herrin der Mensch nicht eine dem Tier gleichberechtigte Kreatur sei. Und natürlich damit die Frage, was dies für den Verzehr desselben bedeutet."


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Texte der Hauptreihe:
K2. Bries
14. Bor 1038 BF zur abendlichen Hesindestunde
Tafelspitz


Kapitel 1

Bries
Autor: Wertlingen