Geschichten:Prinzessin Rohaja zur Königin Garetiens gekrönt

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Prinzessin Rohaja zur Königin Garetiens gekrönt!

Heuer war Gareth wieder fast wie ehedem: Ein ausgelassener Schmelztiegel dessen, was das Reich Rauls des Großen an Völkern und Kulturen, Gesinnungen und Absichten, Menschen und anderen, Adel wie Bürgern zu bieten hat. Ende Rahja feierten die kaiserlichen Zwillinge ihr dreizehntes Tsafest und bereiteten sich auf das vor, worauf sich auch der Rest der Stadt einstellte: Die Krönung der Königin, der Thronfolgerin des Mittelreiches.

Massenhaft waren die Gäste und Schaulustigen dieses Ereignisses angereist, massenhaft aber auch jene, die am Kaiserturnier teilzunehmen gedachten, dem ersten nach der Schlacht an der Trollpforte, dem ersten seit Beendigung der gefährlichsten Phase des Krieges gegen den Daimonenmeister und seine Schergen. Zwar waren es viele, die sich diesem Spiele zu Ehren Rondras und der Krone Rauls als Zuschauer oder Teilnehmer anzuschließen gedachten, eben weil ein neues Zeitalter angebrochen zu sein schien, doch waren es auch wieder wenige, da viele – ach, zu viele! – auf den Schlachtfeldern geblieben sind. König Brin ist nur der vornehmste dieser vielen.

Am 29. Tage des Tsa begann das Krönungszeremoniell, so wie es seit Jahrhunderten beginnt, wenn ein König Garetiens gekrönt werden soll. Stets übrigens sollte es so sein, daß der König Garetien dermaleinst Kaiser des Reiches wird. So verfügte es schon Raul der Große, dem noch zu Lebzeiten sein Sohn Debrek als König über das Herz des Reiches nachgefolgt ist. Und so tragen seit Anbeginn des Raulschen Reiches die Könige Garetiens jene Krone Prinz Debreks, die Raul ihm fertigen ließ – und nun war es zum ersten Male eine Frau, deren Haupt die Debrekskrone schmücken sollte!

Um eben jene zu holen von Burg Rudes Schild in der Mark Ochsenblut just bei Gareth, wo auch des ganzen Reiches Kleinodien sicher verwahrt werden, brachen die Garether Burggrafen, das sogenannte “Zedernkabinett” auf, begleitet von wachsamen Gardisten des Regimentes “Goldene Lanze” sowie einer Abordnung des Sonnentempels und einigen kundigen Schaulustigen, die den Beginn des Zeremoniells nicht verpassen wollten.

“Was kommt Ihr zu holen?” frug dann auch Burggraf Ardo vom Eberstamm, der Hüter der Kleinodien die zeremoniellen Worte vor den Toren der mächtigen Trutzburg Rudes Schild. Und Burggraf Oldebor von Weyringhaus – der erste unter den Burggrafen – sprach: “Des Prinzen Debreks Krone holen wir für das königliche Haupt und das Heilige Öl!” –– “So hat Garetien einen neuen König ... (Hier verhaspelte sich Burggraf Ardo kurz) ... Königin!” –– “So wird es sein, mit der Gnade Praios’ des Erhabenen und unter dem Schutze Phex’ des Listigen!”

In großer Prozession schlossen sich nun die Frauen und Mannen des Ochsenbluters denen des Zedernkabinetts an (die Krone und die Kleinodien ruhten bereits wohlverwahrt in einer geschlossenen Sänfte), und die ersten Jubelrufe schollen ihnen nach auf dem Weg nach Gareth, das sie am Abend des 30. Rahja erreichten.

Zu derselben Zeit drückte Königin Emer, des Reiches Regentin, ihrer älteren Tochter einen liebevollen Kuß auf die Stirn und entließ sie mit sanften Worten. Rohaja umarmte noch ihre Schwester Yppolita, fing das verschmitzte Zwinkern ihres Urgroßonkels Storko auf und folgte dann dem Hofgeweihten des Praios Arrius von Wulffen in den Thronsaal der Neuen Residenz, wo sie von den Würdenträger der andern zwölfgöttlichen Kulte erwartet wurden. Unter dieser Bedeckung würde Prinzessin Rohaja die kommenden sechs Nächte verbringen, im strengen Gebet mit allen Zwölfgöttern, um Heil und Segen flehend, den Namenlosen Tagen trotzend, wie es schon vor ihr so viele Prinzen getan.

Am hohen Tor der Sonne stand die Prinzessin, gekleidet in das schlichte Gewand der Heiligen Ardare, jener Hochgeweihten der Rondra in Gareth, die íhr Leben im Kampf um den Tempel ließ, als die Priesterkaiser über die Schwelle der Geschichte krochen und die heutzutage vor Unehre und Verrat schützt. Damit zeigte das Haus Gareth schon bei der Krönung Brins vor achtzehn Jahren, daß sich die Könige Garetiens nicht nur auf Praios und Phex verlassen, sondern – ob der schlimmen Vorzeichen einst und der noch schlimmeren Ereignisse nun – auch Rondras Segen wünschen. Die Praioskirche sieht’s mit Magengrimmen.

Nicht zaghaft, wie man meinen könnte, sondern energisch pochte Prinzessin Rohaja an einen der offenstehenden Torflügel des Sonnentores. Von drinnen scholl’s: “Wer begehrt Einlaß in die Halle des Götterfürsten?” – “Ich bin es, die Nachfolgende, und ich komme in Demut!” Dann erst betrat sie das Innere des Tempels durch die Halle des Himmels.

In der Halle der Zwölfgöttlichen Lande des Sonnentempels zu Gareth daselbt rief Rohaja zu jeder Stund’ einen anderen Gotte an, wie der Zeiger der Sonnenuhr in der runden Halle von der Apsis des Praios zur Rondraapsis wandernd, von dort zur Altarnische Efferds und so weiter, bis sie nach der Rahjaapsis wieder beim Götterfürsten angelangt war. Die fünf verfluchten Tage bereitete sich Rohaja dieserart auf ihr schweres Amt vor – das erste nur in einer langen Reihe. Doch was über dieses Ritual hinaus geschah im Tempel der Sonne am Grabe Rauls des Großen, das wissen wir nicht. Vielleicht spendete ja sogar der Bote des Lichtes, Hilberian Praiofold III. Heliodan der zukünftigen Regentin des Mittelreiches seinen Segen?

Die Sommersonnenwende war da! Erster Tag des Mondes Praios, Sonnenfest, Beginn des Kaiserturniers (das Reichsregentin Emer später am Tage eröffnen würde) und die Krönung daselbst.

Im Morgengrauen – Königinnen stehen früh auf, und die es werden wollen noch früher – geleiteten die nämlichen zwölf Geweihten aller Zwölf Götter die Kronprinzessin aus dem Sonnentempel. Nicht weniger edle Damen und Herren als die Grafen Garetiens bildeten ihre Eskorte. Im Tross schritten Barone und Edle der sechs Grafschaften, alle herausgeputzt vom Scheitel bis zur Sohle, angetan im blinkenden Küraß und mit prunkvollen Waffen. (Nicht wenige jedoch trugen noch einen Arm in der Schlinge, zogen ein Bein nach oder versteckten ein wehes Auge unter der Klappe; Tribute waren dies an den Sieg vor der Trollpforte.)

Und nicht nur diese hohen Damen und Herren folgten ihr, sondern halb Gareth schien an der Angbarer Reichsstraße zu stehen, die direkt am Sonnentempel vorbeiführt, begierig, die Prinzessin zu schauen. Die Bürgerinnen und Bürger waren regelrecht aufgekratzt, voller Vorfreude und Ungestüm, warfen ihre Hüte schwungvoll in die Luft, verneigten sich ehrerbietig und skandierten jubelnde Rufe. Hätten nicht die Gardisten der Panthergarde für Platz gesorgt, der Zug hätte kaum passieren können. Zwischen den garetischen Grafen und den Geweihten der Zwölfe schritt Rohaja, hocherhobenen Hauptes. Ein knappes Lächeln umspielte ihre Lippen, und nur wer genau hinschaute, erkannte, daß diese vor Aufregung und Unsicherheit fest zusammengepreßt waren. Wen auch immer man in Gareth fragen wird, er könnte bestätigen, daß die Thronfolgerin einen Anblick bot wie die himmlische Leuin in zartem Alter. “Ganz die Mutter”, bekräftigten die einen. “Ein stolzs Kinn – wie auch der Vater es hatte”, unterstrichen die anderen. Und so geht es fort, denn die Herzen der Garether sind ihrer Königin an diesem Morgen zugeflogen. Umso leichter, als Hoffnung und Zuversicht nottun in diesen Tagen, da der König so heldenhaft gefallen.

Das Ziel des Krönungszuges war der Praiostempel der Stadt Gareth, denn im Tempel der Sonne werden nur Kaiser und Boten des Lichtes gekrönt. Die Priesterkaiser-Noralec-Sakrale im Herzen der Stadt steht auf den Fundamenten jenes Templs, in dem die Könige Garetiens zuvor schon gekrönt worden sind, ist heute aber in seinem Ucurianischen Stil prächtiger und imposanter – und für den Feinsinnigen ein wenig zu pompös. Im Tempel aber erwartete die Prinzessin eine höchst illustre Schar von Adeligen: was auch immer Rang und Namen hatte in Garetien und nicht schon seit dem frühen Morgen dabei war, harrte hier der zukünftigen Königin. Aber wohl auch die Mutter selbst, Reichsregentin Emer von Gareth gleich vorn beim Throne, wie auch der Rest der königlichen Familie: Schwester Yppolita, der stolze Urgroßonkel und die Großmutter Alara Paligan, die Schwarze Witwe. Darüberhinaus gaben sich – von der Trollpforte kommend und der Burg Mersingen – zahlreiche Hochadelige anderer Provinzen die Ehre, als fürnehmster unter ihnen Herzog Jast Gorsam vom Großen Fluß von den Nordmarken mit seinem Sohne, Reichserzkanzler Hartuwal. Der ganze Hofstaat stand auch versammelt: Reichserztruchseß Fingorn von Mersingen, der schöne Graf Orsino von Falkenhag, Haushofmeisterin Argiope Paligan und viele weitere. Zuletzt hatte es eine solche Versammlung hoher Adeliger zum großen Hoftage und zur Reichsbehüterkrönung Brins gegeben!

Als Rohaja an der Schwelle des Tempels verhielt, wandten sich aller Augen ihr zu. Die sie begleitenden Grafen nahmen hinter ihr Stellung, die Geweihten hingegen strebten in zwei Riegen dem Throne zu, denn dort erwartete sie der Wahrer der Ordnung Mittellande, der ehrenwerte Pagol Greifax von Gratenfels. Als Rohaja die Reihen der Adeligen abschritt, stockte manchem der Atem. Doch noch standen sie, noch war sie Prinzessin. Dann beugte sie das Knie vor der mächtigen Statue des Götterfürsten und seines Dieners, der daraufhin mit goldenen Worten die Krönungsmesse anfing. Mahnend richtete Pagol Greifax das Wort an die Prinzessin wiewohl an alle anderen, das Recht und den Frieden zu bewahren, wie Praios es befahl, die Fährnisse dieser Tage nicht zu fürchten, sondern standhaft und wacker zu bleiben, ein Vorbild den Menschen im Lande. Wie es auch Brin gewesen, der Heldenkönig, der Reichsbehüter, an den gedenkend Pagol seine Predigt schloss, um mit der eigentlichen Krönung zu beginnen. Praios’ Antlitz stand nun hoch am Himmel, denn es war Mittagsstund.

Nun traten auch die Garether Burggrafen herbei, die Insignien Garetiens bringend: Die Debrekskrone, den Fuchsmantel, das Schwert Hagrondriar (das seit Jahrzehnten kein König mehr getragen), die güldene Kette Menzelsband (die Kaiser Menzel schaffen ließ, um das Band zwischen König und Land zu symbolisieren, an das der König gelegt wird) und schließlich das Heilige Salböl.

Und unter gurvanischen Gesängen wurde Rohja von den zwölf Geweihten an Stirne, Schulter und Brustbein zur Königin gesalbt, der blau-gelbe Mantel, mit roten Füchsen über und über bestickt, wurde ihr umgelegt, das Schwert Hagrondriar umgürtet. Deklamierend dann legte der Wahrer der Ordnung der Prinzessin das Menzelsband um den Hals und setzte Ihr die Krone Prinz Debreks auf das Haupt: “Bei Praios dem Erhabenen, bei der Leuin Rondra, bei Herrn Phex dem Listenreichen und den Anderen der Zwölfe, Rohaja, nehme hin die Krone Garetiens, die Dir, obwohl von unwürdigen, jedoch geweihten Händen auf das Haupt gesetzt wird, und wisse, daß sie die Herrlichkeit der Heiligung und ein Werk der Tapferkeit vorstelle, ja daß Du teilhaftig werdest am Plane der Götter, dem inwendig wir die Hirten und Regenten der Seelen sind, dem in auswendigen Sachen aber Du eine wahre Dienerin der Götter und bei allen Widrigkeiten eine tapfere Beschützerin der Deinen und der Kirchen der Zwölfe und des Dir von den Göttern verliehenen Reiches sein sollest; auch durch das Amt unseres Segens, das wir anstatt und mit Zustimmung der anderen Zwölfe verrichten, verbleibest Du geneigt zu ersprießlicher Handhabung des anvertrauten Regimentes und zu nützlicher Regierung, damit Du unter den berühmten Kämpfern mit den Edelsteinen der Tugend gezieret und mit der Belohnung des zwölfgöttlichen Segens ohne Eid frohlocken mögest! Allmächtiger Herr Praios! Da Du Rohaja erwähltest, der Krone Garetiens wert zu sein, bitten wir, daß sie zum Heile des Königreiches und aller guten Menschen Deiner Huld stets gewiß sei!”

Und da verneigten sich die hohen Adligen und fielen auf die Knie vor Rohaja, der Königin!

Während in der Alten Residenz und in den Gassen Gareths ein rauschendes Fest gefeiert wurde, während Reichsregentin Prinzessin Emer – nun nicht länger Königin – das Kaiserturnier eröffnete, nahm Rohaja die Glück- und Segenswünsche zuerst ihrer Schwester und dann der langen Reihe von Adeligen entgegen und benahm sich so recht königlich, daß auch dem letzten Griesgram ein Herz aufging. Bald allerdings verließ die Königin den Ball, der wohl noch bis in die Morgenstunden währte, denn früh am anderen Tag brach sie mit ihrer Schwester, zwanzig Gardisten der Panthergarde und unter Begleitung der beiden Prinzessinnen jüngst zum Geburtstag geschenkten weißen Olporter auf, die Kronen Almadas, des Koschs und Darpatiens zu empfangen. Den Lehnseid entgegenzunehmn ward der Erste Königliche Rat Garetiens beauftragt und befugt, Königin Emer hingegen konnte wegen des Turniers in der Stadt und der dringenden Geschäfte einer Reichsregentin der Prinzessin und der Königin nichts als ihre mütterliche Liebe und ihren Segen mitgeben.