Geschichten:Machtgeflüster Teil 16

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Leihenbutt, Nacht zum 30. Ingerimm 34 Hal:

Es war entsetzlich. Nimmgalf hatte mit einigem gerechnet aber nicht mit so etwas. Er war in den Keller vorgedrungen und hatte die unterirdischen Kammern durchsucht. Grauenhaftes war dort zu sehen gewesen: Labors, in denen Menschen seziert und ausgenommen wurden, Kammern voll mit Leichen, Räume, die scheinbar für eine Dämonenbeschwörung vorbereitet waren und zuletzt die Große Halle, in der Dutzende von Untoten einfach nur so dastanden und auf Befehle zu warten schienen. Der Magier schien in einem Labor an irgendetwas zu arbeiten. Beißender Qualm lag in der Luft, aber verglichen mit dem widerwärtigen Verwesungsgeruch war er fast schon eine Wohltat. Grüne und rote Flüssigkeiten blubberten in Kolben, Zylindern und Autoklaven. Andere merkwürdige Gerätschaften und Substanzen konnte Nimmgalf nicht einmal identifizieren. Für einen Augenblick überlegte er, einfach hineinzugehen, und den Kerl niederzustrecken, doch wer wüsste schon, welche Maßnahmen er dagegen ergriffen hatte und wie seine Zombies darauf reagieren würden. Zweimal musste Nimmgalf sich vor vorbei schleichenden Untoten verstecken. Dann hatte er genug gesehen.

Als er wieder auf den Burghof trat musste er würgen. Er brauchte eine Weile um den Gestank abzuschütteln. „Ganz ruhig, Nimmgalf! Jetzt nur keine Fehler machen“, dachte er. Ihm war klar, dass Simiona ihn sofort festsetzen lassen würde, wenn er sie damit konfrontieren würde, und die Soldaten gehorchten nur ihr und nicht ihm. Mit diesem Wissen konnte er hier auch nicht normal weiterleben, schon die letzten paar Stunden waren für ihn eine Qual gewesen. Es war nur eine Frage der Zeit bis er sich verplappern würde. Fieberhaft überlegte er. Es gab nur eine Lösung: er musste fliehen.

Fliehen! Aus seiner eigenen Burg. Aber er würde seine Kinder mitnehmen. Zumindest seinen Sohn, das Töchterchen, gerade mal einen Monat alt, würde eine Flucht zu Pferd möglicherweise nicht überstehen. Aber wohin sollte er fliehen? Ihm kam nur ein einziger zumindest vorläufig sicherer Ort in den Sinn. Syrrenholt. Sein Freund und Pfortenritterbruder Erlan von Zankenblatt würde ihm sicherlich für eine Weile Unterschlupf gewähren. Ja, das würde gehen.

Als er die Treppen hinaufging kam ihm noch ein anderer Gedanke. Er blickte auf seinen Schwertgriff. Seine Miene verfinsterte sich. Kurz entschlossen betrat er das Schlafzimmer, die blanke Klinge blitzte im Mondschein auf. Vor Simionas Bett hielt er inne.

Er zögerte.

Nein, er konnte es nicht tun. Und wie sollte er es auch erklären? Wenn er gefasst würde, hätte er damit sein eigenes Leben verwirkt. Fliehen müsste er sowieso. Und irgendwas in seinem Inneren sagte ihm, dass er sie immer noch liebte. Er konnte einfach nicht zuschlagen. Leise bewegte er sich zu dem Raum wo sein Junge schlief. Behutsam nahm er den kleinen Randolf aus seinem Bettchen.

„Papa? Bin müde“, murmelte der Kleine und rieb sich den Schlaf aus den Augen.

Nimmgalf streichelte ihm über das Köpfchen. „Schhht. Leise. Wir wollen die Mama doch nicht wecken. Komm, wir wollen mal zu meinem Pferdchen gehen. Du darfst auch mal mit Papa zusammen drauf reiten.“

Der Kleine schaute erst etwas verdutzt, dann lächelte er. Nimmgalf zog dem Kleinen ein warmes Jäckchen an, setzte ihn dann in ein Bauchtuch, packte noch ein paar Sachen zusammen, darunter eine nicht unerhebliche Menge Gold, und ging dann rasch zum Stall. Er sattelte seinen Hengst Finstermähne, befestigte sein Gepäck und ritt in eine warme Decke gehüllt auf das Burgtor zu.

Die Nachtwachen blickten ihn überrascht an. „Aufmachen! Ich reite aus!“

„Mitten in der Nacht? Weiß die Herrin davon?“ kam die patzige Antwort.

„Das hat euch nicht zu interessieren. Aufmachen! Ich befehle es.“

„Natürlich, Herr. Ich werde mich nur kurz bei der Herrin erkundigen, dass auch alles seine Richtigkeit hat“, antwortete der Korporal. Er wollte gerade an Nimmgalf vorbei gehen, als dieser eine durchgeladene Armbrust auf ihn richtete.

„Ich sagte aufmachen! Sofort!“

Der Korporal hielt inne. Er blickte erst Nimmgalf, und dann seinen Kameraden auf der Mauer an und nickte ihm zu. Der andere öffnete langsam das Burgtor. Immer noch mit der Armbrust zielend ritt Nimmgalf an ihnen vorbei. Kaum war er draußen gab er Finstermähne die Sporen. Der Kleine fing an zu weinen, doch Nimmgalf redete beruhigend auf ihn ein. Er war keine 300 Schritt weit geritten als eine helle Glocke auf den Zinnen erklang. Seine Flucht nach Süden hatte begonnen.