Geschichten:Kressenburger Stadtgeflüster - Efferds Ungemach

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Efferds Ungemach

Ende Efferd 1034 BF, Auf der Kressenburg

Ardos Blicke schweiften sorgenvoll den Burgberg hinab bis vor die Tore des Ortes, dem praioswärts große Felder vorgelagert waren. Im trüben Licht der Morgensonne sah er dutzende Bauern, die damit beschäftigt waren, die vom Sturm niedergedrückten Ähren aufzulesen, um zu retten, was noch zu retten war. Allein sie waren zu langsam. Von Osten her näherten sich bereits die nächsten regenschweren Wolkenbänke. Wohl ein halbes Stundenglas mochte ihnen noch bleiben, bevor die nächsten Regengüsse bevorstanden.

"Man möchte meinen, die Hexe aus Eslamsroden hat ihre Hände hier im Spiel." Grimmig drehte der Baron sich zu Phexian um, der wie immer hinter seinem Arbeitstisch saß und noch die Schäden notierte, die man bei der morgendlichen Begehung der Felder festgestellt hatte.

"Hüte dich davor, die Diener der Zwölfe zu beleidigen, mein Junge!" Mahnend hob der alte Vogt den Zeigefinger, wie er es zu Ardos Knappenzeiten stets getan hatte. "Gleichwohl kann ich nicht umhin zu gestehen, dass mir der Gedanke auch schon kam. Dein Vetter Greifwin schreibt, dass die Unwetter in Eslamsroden noch viel heftiger gewütet haben als bei uns. Bedenke allerdings auch, dass diese Wolken aus dem Osten kommen. Wer von uns mag schon wissen, welche Mächte sie erst aufgehalten haben, um sie nun mit aller Macht zu uns zu treiben. Aber der Launische kann auch einfach Lust gehabt haben, seine Gaben besonders reichlich auf unsere Ländereien zu ergießen, nachdem er uns zuvor vernachlässigt hat."

"Den ganzen Rondra war es heiß und trocken wie in der Khom und jetzt ertrinken wir, wenn wir mit offenem Mund zu lange gen Alveran schauen! Das kann doch kein Zufall sein. Ausgerechnet zur Ernte!" Die Stimme des jungen Barons klang verzweifelt, wenn er seine Miene auch gut genug unter Kontrolle hatte, um dort keine Spur davon sichtbar werden zu lassen. "Wenn wir doch nur ein paar Wochen eher angefangen hätten zu ernten. Dann hätte man das Meiste retten können."

"Du weißt genau, warum wir das nicht getan haben, Ardo. Das Korn war völlig ausgedorrt und hat noch ein wenig Regen gebraucht. Dass der nun gleich so reich kommt, dass es die Felder wegspült, damit konnte keiner rechnen. Außerdem waren viele der jungen Mädels und Burschen noch bei dir im Landwehrlager als die Stürme anfingen. Hättest du sie ein paar Tage weniger gedrillt und eher heim geschickt, hätte man eher anfangen können, das Korn von den Feldern zu holen."

"Mache mir deswegen keine Vorwürfe, Phexian. Ich habe lediglich die Befehle des Meisters der Mark ausgeführt. Ja, ich habe die Zeit ausgereizt: Aber es ist meine Aufgabe, die südlichen Landwehren bis zum Frühjahr in bestmöglicher Verfassung zu haben, und bei Praios, diese Aufgabe werde ich erfüllen!."

"Gemach, mein Junge. Es sollte keine Schuldzuweisung sein, denn auch du hast ja nicht wissen können, welches Ausmaß diese Regenfälle haben würden. Es macht ohnehin wenig Sinn, vergossener Milch nachzutrauern. Lass uns lieber überlegen, wie wir mit den zu erwartenden Ernteausfällen zurecht kommen."

Ardo setzte sich endlich auf den Hocker seinem Vogt gegenüber und drehte leicht den Hals, um die für ihn auf dem Kopf stehenden Zahlen leichter lesen zu können. "Soweit ich heute früh auf dem Feld gesehen habe und dem hier entnehme, sollten sich die Verluste bisher in einem erträglichen Rahmen bewegen. Unsere größte Sorge ist wohl, dass uns das Korn wegen des vielen Regens auf den Feldern vergammelt, wenn wir es länger stehen lassen."

"Ja, selbst wenn es sofort aufhören würde zu regnen, so ist die Erde doch so durchgeweicht und nass, dass es Tage dauern würde, bis die Felder wieder trocken sind. Bis dahin ist längst alles angeschimmelt. Was wir nicht in den nächsten zwei Tagen von den Feldern holen können, ist für uns verloren und kann genausogut untergepflügt werden."

"Zwei Tage sind aber zu wenig, oder? Selbst wenn ich alle Zwerge und Bergleute aus den Minen und Schmieden und die Köhler von ihren Meilern weghole und die Nächte durcharbeiten lasse, so werden wir doch nicht alles retten können." Resignierend ließ der Baron die Schultern sinken.

"So ist es. Ich gehe davon aus, dass wir etwa ein Viertel der Ernte verlieren werden. Das bedeutet, dass wir wieder einmal zukaufen müssen. Allerdings dürften die Preise gesalzen sein, denn in den anderen Baronien sieht es ja kaum besser aus. Dazu kommt, dass wir im kommenden Praios ein größeres Fest ausrichten wollen, wenn du dich erinnern magst." Phexian wusste, dass der Baron nur ungerne an den bevorstehenden Traviabund dachte, sah sich aber gezwungen, ihn jetzt doch einmal auf die anstehenden Kosten hinzuweisen. "Und Greifwin hat es noch härter erwischt als uns. Er wird es also ebenfalls schwer haben, seinen Teil zu den Feierlichkeiten beizutragen. Vielleicht haben die Hexenhainer etwas mehr Glück gehabt, dann kannst du das neue Abkommen mit Gerbald gleich einmal nutzen. Ein erneuter Besuch beim Svellter wäre mir sehr ungenehm aber wohl notwendig, wenn der Reiffenberger nichts entbehren kann."

Der Keilholtzer ignorierte die zur Sprache gebrachte Hochzeit geflissentlich und richtet seinen Zorn gegen den Greifenfurter Kaufmann. "Ich wette, dieser Aasgeier hat bereits seine Lakaien losgejagt, um von Beldenhag bis Zalgo die Ernteüberschüsse zu guten Preisen aufzukaufen, um sie uns dann für den doppelten Preis anzubieten. Dieser Pfeffersack macht mich noch wahnsinnig!" Wütend schlug Ardo mit der Faust auf den massiven Eichentisch, musste aber gleich erkennen, dass er damit nichts erreichte, als dass ihm die Hand schmerzte.

"Du dürftest mit deiner Einschätzung durchaus Recht haben, mein Junge. Eventuell müssen wir uns deshalb überlegen, ob wir uns nicht auch über die Mark hinaus nach Einkaufsmöglichkeiten umschauen. In Waldstein gab es noch nie viel zu holen, aber der Kosch ist nicht so weit weg und auch deine Verbindungen nach Weiden könnten sich hier vielleicht einmal als nützlich erweisen. Ich werde sehen, was sich anderweitig machen lässt. Es wurmt mich genau wie dich, dass wir gegen den Svellter und seine Praktiken keine Handhabe besitzen. Absprachen wie zwischen dir und Greifwin oder Gerbald sind im Moment unser einziger Schutz dagegen. Wir sollten ernsthaft überlegen, auch mit den anderen Baronen solche Abmachungen zu treffen."

"Das mit Greifwin und Gerbald funktioniert doch bloß, weil wir Dinge haben, die sie brauchen können. In Quastenbroich, Hasenfeld oder Königsgau bräuchte ich dagegen mit Holz und Kohle gar nicht erst ankommen. Außerdem kann ich die Preise vom Svellter bei weitem nicht mitgehen. Mit Eslamsroden und Hexenhain habe ich Absprachen unter Freunden getroffen, aber mit den anderen verbindet mich nichts. Warum sollten sie also auf gutes Geld verzichten?"

"Natürlich verbindet euch etwas!" Phexian war ernshaft aufgebracht über die Mutlosigkeit seines ehemaligen Knappen. "Ihr seid allesamt von Stand und Barone. Was mehr braucht es, um gegen eine Krämerseele wie den Svellter zusammenzustehen?"

"Offensichtlich braucht es mehr", gab Ardo zurück, "denn bisher kocht jeder sein eigenes Süppchen. Ich gebe zu, das spielt den Pfeffersäcken natürlich in die Karten. Zumal es teils wenig Gemeinsamkeiten und auch einige Antipatien im märkischen Adel gibt. Wir sind nicht so einig, wie wir es sein sollten, um ein starkes Schild des Reiches zu sein und zu bleiben."

"Dann sollte man etwas an dieser Situation ändern, meinst du nicht auch?"

"Doch wo willst du anfangen..."

Lautes Prasseln unterbrach den Baron, der sich erschrocken zum noch immer geöffneten Fenster umsah. Taubeneigroße Hagelkörner schlugen gegen den Fenstersims und die hölzernen Fensterläden und, als er ans Fenster trat, um es zu schließen, sah er seine Bauern in Eile von den Feldern in ihre Hütten flüchten, die Arme zum Schutz über den Köpfen verschränkt.

"Sanctus Praios, steh uns bei, oh Götterfürst," flüsterte er leise, ohne seinen Blick von dem Schauspiel abwenden zu können. Erst als ihn ein Hagelkorn schmerzhaft an der Schläfe traf, schloss er die Läden und trat zurück an den Tisch.

Phexian hatte unterdessen mit unbewegter Miene weitere Zahlen notiert und sah seinen Baron nun mit unergründlichem Blick an. "Hatte ich gesagt, wir verlieren ein Viertel der Ernte?" Ardo nickte nur stumm. "Rechne lieber mit der Hälfte, mein Junge."