Geschichten:Erlenstamm nach dem Höllenwaller Durchmarsch - Teil 3

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Leise schloss Alissa die Tür zur kleinen Bibliothek. Mit Hilfe ihrer Kerze suchte sie den Raum nach einer Lampe ab. Sie ging an mehreren kleinen Tischen vorbei, auf denen noch die Kerzenstummel der letzten Leser klebten. Alissa hatte Glück. Auf dem vorletzten Tisch, an dem sie vorbei kam, stand eine kleine Tranlampe, die jemand dort vergessen hatte. Alissa hob die Lampe an, um festzustellen, ob sie noch ein Weilchen brennen würde. Die kleine Tranlampe war recht schwer. Alissa erkannte, dass erst vor kurzem jemand hier gewesen sein musste und noch einmal wiederkommen wollte, denn sonst hätte die Person die Lampe schon unlängst wieder mitgenommen.

Alissa entzündete die Lampe mit Hilfe ihrer Kerze und gleich tauchte das Licht der Tranlampe die kleine Bibliothek in einen warmen Schein. Alissa ließ sich auf den Stuhl, der an dem Tisch stand, nieder, stütze die Ellbogen auf die Tischplatte und legte ihr Kinn auf ihre Handflächen. Sie blickte auf das Leuchten der kleinen Tranlampe und seufzte. Es war eine ganze Menge, was sie aus dem Gespräch zwischen ihrer Tante und dessen Sekretarius mitbekommen hatte.

"Greifdane soll also Major der Truppen werden.", sagte Alissa zu sich selbst. Sie war davon überzeugt, dass das ein Fehler sein könnte. Für Alissa war es ohne Zweifel, dass Greifdane diese Macht ausnutzen würde. Greifdane könnte auf die Idee kommen, in die angrenzenden Baronien einzumarschieren und sich dort zu holen, was ihr ihrer Meinung nach zustand. Das würde Alissa verhindern müssen! Sie traute Greifdane keinen Steinwurf weit über den Weg und ihrer Aufgabe war nun, die Baronin davon zu überzeugen, dass Greifdane nicht zu trauen sei.

Jetzt war nur die Frage, wie sie das am besten anstellen sollte. Seit dem Tod ihrer Mutter Imina hielt sich Alissa sehr häufig in der Nähe ihrer Tante auf. Die Baronin war dadurch für Alissa wie eine Mutter geworden. Alissa war sich jedoch nicht ganz sicher, ob ihre Tante der gleichen Ansicht war. Alissa war ihrer Tante auf jeden Fall etwas schuldig und mit ihrer Treue würde Alissa ihr jeden Tag beweisen, dass sie die ganze Mühe wert war und noch immer ist.

Alissa erinnerte sich an jene Nacht, als sie mit ihrer Tante in dem Schankraum stand und bereit war, ihr Leben für das ihrer Tante zu geben. Alissa meinte das damals ernst und sie würde es jeder Zeit, wenn es nötig wäre, umsetzen!

Alissa war sich nur nicht sicher, ob sie ohne weiteres einfach so ein offenes Wort an ihre Tante richten konnte. Nun, sie würde zugeben müssen, dass sie das Gespräch ihrer Tante mit dem Sekretarius mit angehört hatte, aber sie hoffte darauf, dass die Baronin nachsichtig sein würde.

In diesem Gespräch würde Alissa auch darauf zu sprechen kommen müssen, welche Pläne ihre Tante mit ihr selbst hatte. Falls die Baronin ihre Pläne tatsächlich so umsetzen wollen würde, müsste Alissa eine Menge Verantwortung übernehmen müssen. Sie war sich jedoch nicht sicher, ob sie dieser Herausforderung gewachsen sein würde.

Bei diesem Gedanken wurden ihr die Knie weich und sie begann, an den Fingernägeln einer Hand zu knabbern. Alissa war schon überrascht, dass ihre Tante sie für solch wichtige Aufgaben, wie das Richteramt oder als Emissärin einsetzten wollte. Nur zweifelte Alissa selbst an ihren Fähigkeiten. Ihre Gedanken kreisten die ganze Zeit um die Pläne ihrer Tante und das machte sie immer unruhiger. Der Versuch, ein Buch zum Einschlafen zu finden, war kläglich gescheitert.

Alissa stand auf und ging zu einem der kleinen Fenster der Bibliothek und sah, dass es bereits anfing zu dämmern. Sie erschrak darüber, wie viel Zeit sie in der Bibliothek verbracht hatte.

Da jedoch ein anstrengender Tag auf sie wartete, sollte sie wenigstens noch ein paar Stunden geschlafen haben, damit sie nicht völlig übermüdet vom Pferd fallen würde.

Alissa löschte also das Licht der kleinen Tranlampe, nahm wieder ihre Kerze und verließ die Bibliothek.

Auf dem Rückweg zu ihrem Schlafzimmer fiel ihr plötzlich auf, dass sie völlig vergessen hatte, sich etwas an die Füße zu ziehen und sie nun kalte Füße hatte.

In ihrem Schlafzimmer angekommen, suchte Alissa ihre dicken Wollsocken und ihr wollenes Schultertuch aus der Truhe am Fußende ihres Bettes. Sie streifte sich die Socken über und legte sich das Tuch über die Schultern. Dann legte sie sich hin, zog die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch und rollte sich zusammen. Von der nun doch stärker werdenden Müdigkeit, schlief sie ein.

Plötzlich hörte Alissa eine Stimme. Diese Stimme war ihr merkwürdig vertraut, doch hatte sie sie lange nicht gehört. Sie musste erst ihre Gedanken ordnen, bis ihr einfiel, woher sie diese Stimme kannte.

"Alissa!", sagte die Stimme leise. Alissa konnte kaum fassen, wenn sie auf einmal vor sich sah: Es war ihre verstorbene Mutter Imina.

"M-m-mutter", stotterte Alissa, "wie kann das sein?"

"Mein Kind", sprach ihre Mutter und nahm Alissas Hand. "Deine Tante wird Dich in der Zukunft brauchen."

"Wie, sie wird mich brauchen? Was meinst Du damit, Mutter?"

"Alissa, besinne Dich auf Deine Herkunft. Du wurdest in eine Familie hineingeboren, deren Aufgabe es ist, über eine Baronie zu herrschen. Dies ist zwar die Aufgabe meiner Schwester, aber sie wird Dich dafür brauchen."

"Mutter, was meinst Du?" Alissa war so verwirrt, ihre Mutter zu sehen, dass sie nicht verstand, was Imina von ihr wollte.

"Mein Kind, geh Deiner Tante zur Hand. Hilf ihr, so gut es geht. Nimm die Aufgaben, die sie Dir zugedacht hat, mit Freude und dankbar an. Bedenke, sie war für Dich da, nun sei Du für sie da."

Alissa nickte und hatte Tränen in den Augen. Sie hatte das Gesicht ihrer geliebten Mutter schon fast vergessen, aber nun sie sie ihre Mutter leibhaftig vor sich.

"Ja, Mutter, ich werde tun, was ich kann.", sagte Alissa mit erstickter Stimme und fiel ihrer Mutter um den Hals.

"Und Kind, vergib Deiner Schwester. Sie hatte es nie leicht und beneidete Dich immer sehr. Aber bedenke, ihr seid eine Familie! Blut ist immer dicker als Wasser. Früher oder später werdet ihr einander brauchen!"

"Ja, Mutter, aber..." Alissa konnte den Satz nicht beenden.

"Und richte Deiner Tante einen Gruß von mir aus. Sag ihr, dass es ihrem Sohn gut gehe. Er wird gut behütet und es geht ihm gut. Der Kleine ist wirklich ein Prachtkerl."

"Mutter, ich...", wollte Alissa sagen, doch sie brachte nicht die Worte zusammen.

"Mein liebes Kind, ich muss nun gehen. Denke daran, was ich Dir gesagt habe. Ich wache über Dich, Deine Schwester und Deine Tante. Lebe wohl!"

"NEIN, Mutter, GEH NICHT!!!", rief Alissa, doch sie wachte von ihren eigenen Worten auf.

Tränenüberströmt saß sie aufrecht im Bett und schluchzte. Es war nur ein Traum. Doch Alissa war davon überzeugt, dass dieser Traum eine Bedeutung haben musste. Nicht umsonst würde der Herr Boron ihr einen solchen Traum schenken.

Alissa wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sah aus dem Fenster. Sie wusste nicht genau, wie lange sie geschlafen hatte, jedoch war es hell geworden. Sie stand auf, zog ihr Nachthemd über den Kopf und fing an, sich mit Hilfe der Wasserschüssel auf dem Tisch zu waschen.

Als sie fertig war, zog sie ihre Reitkleidung an, denn sie wusste ja bereits, was heute auf sie zukommen würde.

Sie richtete ihre Haare und begab sich in den großen Saal, wo sie frühstücken würde.

Alissa beeilte sich etwas, damit sie so schnell wie möglich dort sein und ihre Tante abfangen könnte. Sie flog förmlich die Treppen hinunter und als sie unten ankam, stieß sie fast mit dem Sekretarius zusammen.

"Guten Morgen, werter Herr Sekretarius!", rief sie und schlängelte sich an ihm vorbei. Alissa lief weiter und kam erst in dem großen Saal zum stehen, in dem sie ihre Tante antraf. Diese war gerade dabei, mit dem Hauptmann der Truppen ein Gespräch zu führen.

"Guten Morgen, liebste Tante", sagte Alissa und deutete einen Knicks an, "Guten Morgen, werter Hauptmann." Diesem nickte sie nur zu.

"Liebste Tante," begann Alissa, "bitte verzeiht mir mein Benehmen. Ich unterbreche Euch sehr ungern, da Ihr bestimmt wichtige Dinge zu besprechen habt, jedoch würde ich gern ein Wort an Euch richten, welches für mich sehr wichtig ist. Habt Ihr einen Moment Zeit für Eure Nichte?"