Geschichten:Einer, um Haffax zu schlagen – Kein Zurück

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Burg Greifenklaue zu Uslenried, Mitte Boron 1035 BF

»Hier haben wir den Gegner nun fast in die Zange genommen. Wie geht es weiter?«

Tybalt von Bärenau blickte ein wenig scheu zu seinem Schwertvater auf, bevor er antwortete. »Dann können die Reiter dort über die Flanke angreifen und dem Feind den Rückweg abschneiden.« Zögerlich setzt er hinzu: »Oder?«

»Ganz recht, mein Junge.« Wulf legte seinem Pagen die Hand auf die Schulter.

»Und was ist mit den Bogenschützen dort?« rief Firjan dazwischen und hob eine der Figuren hoch, die er aus dem Kästchen entnommen hatte und die sein Vater nicht mit auf dem Tisch aufgestellt hatte, der das Schlachtfeld simulierte.

»Die brauchen wir eben nicht«, erwiderte Wulf lächelnd. Sein jüngster Sproß hatte unbedingt dabei sein wollen, als er seinem Pagen einmal mehr die Grundzüge taktischen Vorgehens nahebrachte – allerdings wohl weniger aus Interesse an der Materie, sondern vielmehr, um mit den geschnitzten Figuren zu spielen, die der Baron von Uslenried für strategische Planungen zu nutzen pflegte.

»Wenn wir die Bogenschützen gehabt hätten, hätte man sie dort platzieren können«, fuhr Tybalt fort und deutete auf eine Ecke des simulierten Schlachtfeldes.

»Besser wäre es dort«, erwiderte Wulf und zeigte auf eine andere Stelle, »denn dort besteht nicht die Gefahr, dass sie versehentlich unsere Fußkämpfer erwischen, wenn diese vorwärts stürmen.«

Tybalt, etwas enttäuscht, zog eine Fluppe. »Hm…«, macht er mißmutig.

»Gräme Dich nicht; schließlich bist Du hier, um genau diese Feinheiten zu erlernen, nicht wahr?« Der Baron gab sich versöhnlich. »Las uns eine andere Aufstellung probieren.« Er griff nach den Figuren und baute sie am Tischrand auf.

Just wollte er die ersten Reiter auf der Fläche positionieren, als sich die Türe zur Hohen Halle öffnete und Gerban von Hallerstein hereintrat – ohne zuvor anzuklopfen. Wulf drehte sich um, und traute seinen Augen nicht; er hätte jemanden vom Gesinde erwartet, aber beileibe nicht seinen ehemaligen Knappen, der nach seit seinem Ritterschlag vor gut drei Jahren auf das Gut seines Vaters zurückgekehrt war. Gemessenen Schrittes trat der junge Ritter näher, und nun erst bemerkte Wulf, dass Gerban sich ein wenig verändert hatte. Er ließ sich nun einen Bart stehen, ähnlich wie er selbst, und wirkte nicht mehr so jung, wie Wulf ihn in Erinnerung hatte. Gerban schlug die Faust auf die Brust. »Die Zwölfe zum Gruße, Euer Hochgeboren!«

Wulf reichte ihm die Hand. »Willkommen zurück, Gerban. Du bist lange nicht hier gewesen.« In diesem Augenblick erkannte Wulf, dass er sich Gerban gegenüber noch immer wie zu einem Knappen verhielt. »Verzeiht mir, aber da gingen die Erinnerungen mit mir durch. Seid mir also willkommen an der Stätte Euer Knappenschaft, Hoher Herr«, korrigierte er sich selbst, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen.

»Es sei Euch verziehen, Euer Hochgeboren«, entgegnete Gerban, ebenso ein Grinsen auf den Lippen. Auch sein Schwertvater war schließlich nicht unfehlbar.

»Was führt Euch her?« Der Baron war neugierig, schließlich hatte er Gerban seit dessen Heimkehr nur auf den Turnieren gesehen, aber kaum ein Wort mit ihm gewechselt.

»Das Große Kabinett, oder besser gesagt, die dort stattfindende Wahl des Marschalls für das geeinte Banner des alten Garetiens. Ihr werdet Euch doch um jenes Amt bemühen, nicht wahr?« Gerban brachte es fertig, die Frage wie eine Feststellung klingen zu lassen; ein rhetorischer Zug, den er noch zu Knappenzeiten nicht an den Tag gelegt hätte.

Wulf seufzte. »Warum um alles in der Welt liegt mir eigentlich in den vergangenen Wochen jeder damit in den Ohren?«

»Weil es eine logische Konsequenz ist«, entgegnete Gerban.

Der Baron stutzte. »Sagst Du das von Dir aus oder haben es andere so gesagt?« fragte er dann, nicht merkend, dass er die förmliche Anrede schon wieder vergaß.

Gerban druckste herum. »Nun, ja … Genaugenommen sowohl als auch. Ihr habt etliche Schlachten geschlagen; denkt nur an Puleth und dass Ihr es ward, der das Heer von dort nach Gareth geführt hat. Oder an die Rubinbrüder. Oder den Greifenzug.« Seine Stimme war leiser, unsicherer geworden.

»Also hat man Dich geschickt. Wer steckt dahinter?« fragte Wulf unruhig und grübelte, ob er sich darüber nun freuen oder ärgern sollte.

Gerban blickte betreten zu Boden. »Seht selbst«, sagte er dann und bedeutete Wulf, ihm zu folgen.

Der junge Ritter führte den Baron aus der Hohen Halle hinaus, die Kinder folgten ihnen ungefragt. Wulf stellte keine weiteren Fragen und trottete fast gedankenverloren hinterher. Als Gerban die Tür hinaus auf die Freitreppe des Palas öffnete war er froh, dass er dicke Kleider und Umhang trug, denn es war kühl. Also traten sie hinaus, und der Anblick verschlug ihm den Atem.

»Was soll das?« fragte er.

»Wonach sieht es denn aus?« entgegnete Gerban.

Unten im Burghof standen nebeneinander aufgereiht die Waldsteiner parat, mit denen er manche Schlacht geschlagen hatte. Die Wappenröcke, die Schabracken der Schlachtrösser und die Banner der Lehen und Familien verwandelten den ansonsten grauen Tag in ein Gemenge bunter Farben. Gleich rechterhand, nahe dem Burgtor, hatten sich die Ritter seines Hauses aufgereiht; Godelind, seine Heermeisterin, stand vor ihnen und und grinste vergnügt ob seines Gesichtsausdrucks. Hinter ihr, hoch zu Ross, hielt sein Vetter Garwin das Banner des jüngeren Hauses Streitzig empor. Gleich daneben wehte das Banner der Rallerquells, und Junker Konnar warf seinem Baron einen aufmunternden Blick zu. Neben ihm stand Rondirai von Breitenbach, dahinter erkannte Wulf die Farben aus Usla.

Sein Blick schweifte weiter. Er erkannte Arnulf von Weißenstein mit seinen Kindern, Simond von Schennich-Muchsen, das Banner der Falkenwinds, den früheren Baron von Linara und jetzigen Junker Irberod von Leustein. Neben dem Silzer Landvogt Vallbart von Falkenwind erblickte er Jorris von Alka nebst seiner rondrageweihten Schwester, weiterhin Kronritterin Corelia von Persenburg.

Der nächste im Bunde war Gebhardt von Hallerstein, der einst wie sein Sohn Gerban die Knappenzeit hier auf Burg Greifenklaue verbracht hatte, daneben Borbert von Auweiler und – Wulf glaubte seinen Augen nicht zu trauen – dessen Schwester Tysta, die Gemahlin des ewig aufsässigen Junkers von Hasenwaldeck. Es folgten Trautmann von Hoxforst, dessen grimmiges Gesicht darauf hindeutete, dass er vor allem seinen Lehnsherrn Hilbert von Hartsteen hier vertrat, an seiner Seite der Junker Waldreich Firudan von Rossreut, mit einer Abordnung der Rossreuter Schwanenreiter, daneben Alrik Herdan von Prailind, ein leichtes Lächeln auf den Lippen tragend, den zeitweiligen Landvogt Leihenbutts Rondred von Derrelsbach und dann das Banner der Grafschaft in den Händen Torias von Treuenbrücks.

Wulf ahnte, was der Aufzug zu bedeuten hatte. Eine neuerlicher Blick zu Konnar und Godelind, die ihm noch einmal zunickten, bestätigte die unausgesprochene Frage. Als zugleich schließlich auch noch Jessa al Tern und Cern von Aschenfeld, gefolgt von einem Rudel der Waldstein Wölfe durch das Burgtor traten wußte er, dass es kein zurück mehr gab: Der nächste Marschall sollte ein Waldsteiner sein – Er.

Seit dem Gespräch mit Godelind vor einigen Wochen hatte er immer wieder darüber nachgedacht, insbesondere, nachdem er endlich selbst schriftliche Kunde vom bevorstehenden Großen Kabinette zu Auenwacht bekommen hatte. Sicherlich sah er sich dazu imstande, dieses Amt auszufüllen, doch er hatte daran gezweifelt, ob er die nötigen Unterstützung gewinnen würde. Auch wenn Godelind diesbezüglich guter Dinge war, galt das noch lange nicht für ihn selber. Dieser Aufzug hingegen war deutlich und das Signal, dass er nicht auf verlorenem Posten stehen würde, wenn er sich um das Amt bemühte.

Noch vor einem halben Jahr hätte er erwartet, dass Danos von Luring jene Ehre zuteil werden würde, wenn es hart auf hart käme; doch Danos war fort. Er, Wulf, war weitaus weniger ritterlich als der Graf von Reichsforst, der die Ereignisse von Mühlingen stets verurteilt hatte und die wie ein dunkler Schatten über seiner Vergangenheit lagen. Mühlingen war aber auch etwas, in dessen Schatten er niemals wieder stehen wollte, schon gar nicht unter dem Kommando des Blutigen Ugo. Wie man es auch drehen und wenden konnte: Die einzige Chance, Dinge so zu lenken, wie er sie für richtig hielt, war, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Die Ritter unten im Burghof waren nur der Beginn dessen, was vor ihm, vor ihnen allen, dem gesamten Reich lag: Die endgültige Vernichtung der dunklen Horden. Die Untoten und Dämonen, die ihnen bei der Schlacht im Blutmoor wie auch in Puleth gegenüber gestanden hatten, kamen ihm wieder in den Sinn; solche Schrecken mochten das Heer wieder erwarten, wenn nicht gar schlimmeres. Die Pläne, die er in den vergangenen Tagen für den Fall der Fälle geschmiedet hatte, wurden mit einem Male konkret. Nicht Rondras Ehre und Praios‘ Gerechtigkeit würden die Schlacht gegen Haffax entscheiden, sondern Phexens List und die Gewalt des Blutigen Schnitters. Dies mochte für viele, die sich die ritterlichen und rondragefälligen Tugenden auf die Fahnen geschrieben hatten, nur schwer vorstellbar sein; für Wulf hingegen war es die einzig erfolgversprechende Chance auf den Sieg. Er war bereit, diese Bürde zu tragen.

»Seid mir willkommen auf Burg Greifenklaue, ihr Edlen Waldsteins«, begann er mit fester Stimme zu sprechen. »Ich ahne, aus welchem Grunde Ihr hier erschienen seid und Danke Euch dafür. Ich weiß, dass Ihr eine Antwort von mir erwartet, und diese Antwort ist Ja. So Ihr es wünscht, werde ich Euch in die Schlacht führen.«

Noch bevor er den letzten Satz vollends zuende gesprochen hatte, ertönten die erster Hoch-Rufe unter den versammelten, bis schließlich alle einstimmten.

Wulf beugte sich zu Tybalt hinunter. »Lauf in die Küche hinunter, man soll Bier, Brot und Schmalz in der Hohen Halle auffahren, auf dass wir unsere Gäste bewirten können, und das Gesinde soll sich eilen.«

Der Junge nickte eifrig und eilte davon. Wulf hingegen hob die Arme, bis die Rufe verstummt waren. »So bitte ich Euch herein; ich denke, wir haben viel zu bereden!«


GG&P-Con 2012 Garetien-, Greifenfurt- und Perricum-Con 2012


Dieser Artikel verweist auf die Handlung des GG&P-Cons 2012.