Geschichten:Die Tränen der Ruchins - Die Kralle auf Grafenhatz

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Unweit der Burg Yossenfels, Rahja 996 BF

Der Trupp hatte an einem großen Gehöft halt gemacht. Die Pferde – gut vier Dutzend – waren im Hof und in der großen Scheune für die Rast untergebracht. Lange wollte der Trupp nicht bleiben, hatte dessen Befehlshaber verkündet. Dieser war ein schlanker, ernster, junger Mann mit dunklem Teint und rabenschwarzen Locken. Schon jetzt furchten sich zwei Falten von den Nasenflügeln hinab durch das schmale Gesicht, zu wenig Fett. Seine Begleiter machten dies vollkommen wett: Vier wuchtige, ausladende Männer strotzten vor Kraft und glänzten schweißig mit ihren roten Köpfen. Die vier waren schwer gerüstet und bewaffnet und soffen das Wasser aus Tonkrügen, als wären sie Kamele am Ende einer Reise durch die Khom.

»Was für ein Fatzke!«, entrüstete sich der roteste der vier Bullen und wischte sich den Schweiß aus seinem rotblonden Bart.

»Hat bekommen, was er verdient«, brummte der Ritter zur Linken aus einem vierkantigen Schädel, der robust genug aussah, um darauf ein Haus zu errichten. »Hab ihn mit der ›Kralle‹ gestreichelt, jetzt wird er sich immer an uns erinnern.«

»Achtung, Gold rückt an«, raunte der Bulle zur Rechten, dessen Statur sich auch ein Oger nicht geschämt hätte. In der Tat näherten sich zwei Praios-Geweihte der Fünfer-Gruppe, die am großen Hoftor zu dem Vierseitenhof im Schatten gestanden hatte. Der jüngere Geweihte hatte offensichtlich die Weihe noch nicht lange, doch trug er schon zwei Sphärenkugeln. Der ältere hingegen hatte nicht nur drei Sphärenkugeln, sondern trug auch die im Sonnenlicht unverschämt glänzende Spange der Heiligen Inquisition. Eboreus Rindern war auf eine asketische Art dürr und besaß einen Zinken zum Holzspalten. Seine Augen warn leicht gerötet, was womöglich vom Starren in die Sonne kam. Seine Haut jedenfalls war tief gebräunt und wies ein paar dunkle Verfärbungen an den Schläfen auf – irgendeine schlimme Krankheit, schien es. Rindern hatte den Spottnamen »Rindvieh« erhalten, allerdings lag die Betonung auf dem Viehischen, denn menschlich war sein Umgang mit Ketzern nicht zu nennen. Sein Begleiter, der junge Yacuban von Creutz-Hebenstreyt, hatte Flecken auf der Robe, wo er das Blut des Bauern ausgewaschen hatte.

»Hochwohlgeboren, der Bauer ist geheilt«, sprach Rindern, noch ehe er angekommen war. »Der wird keinen mehr belehren, dass er freier Bauer sei und mit ›Herr‹ angesprochen werden wolle!« Rindern hustete ungesund und stellte sich dann zu der Gruppe.

Hochwohlgeboren Timshal Paligan von Perricum machte den Praioten in der Runde Platz, wobei der ogerhafte Ritter Bernhelm von Wetterfels noch weiter wegrückte, als es nötig gewesen wäre. »Das ist gut zu wissen«, erwiderte Paligan, ohne allzuviel Interesse zu heucheln.

»Wann wird die Kundschaft ankommen?«, fragte Rindern.

»Aldaria informierte uns, dass sie heute gen Dornensee aufbrechen würden. Wenn sie zu einer vernünftigen Zeit in Eslamsgrund aufgebrochen sein, müssten sie bald hier sein. Habt Ihr Euch damit abgefunden, dass wir sie hier erwarten?« Timshal sah den Inquisitor nur kurz an, als er sprach.

»Ja, ist ja kein richtiger Hinterhalt. Hinterhalte sind dem Götterfürsten nicht wohlgefällig. Sippenwies wird damit auch noch klar kommen, ist noch jung. Und gehorsam.« Wieder hustete Rindern kränklich.

»Warum eigentlich?«, fragte Falkwin von Goyern, dessen graues Haar an seinem Schädel klebte wie Efeu an der Mauer. »Jäger stellen doch auch Fallen auf. Und Krieger nutzen Finten als Fallen.« Der Ritter aus Reichsforst war ein bekannter Turnierreiter und fehlte überdies auf keiner Wolfshatz.

»Das mag für andere Götter und deren Diener gelten«, gab der junge Yacuban schnell zurück. »Wir begnügen uns aber nicht mit dem einfachen Weg, sondern nur dem geraden, offenen und richtigen!«

»Aha«, brummte Rondrigan von Ruchin, der mit dem Krallenhandschuh, erneut.

Doch noch ehe sich die Gesellschaft erneut in die Haare kriegen konnte, rief ein Späher vom Dachboden in den Hof: »Reiter im Westen! Ein halbes Dutzend!«

»Dann mal los. Sieggewiß, ich lasse Euch das Kommando über die Festnahme. Nehmt die Ritter und Reisigen und haltet Euch bereit. Denkt daran: Der Kanzler und der Staatsrat wollen sie lebend – auf Wunsch des Kaisers. Ruchin: Haltet die Kralle im Zaum! Hochwürden: Ihr wartet am besten hier, bis wir die Herrschaften eingefangen haben.« Auf Graf Timshals Befehl kam nun Leben in die Truppe: Ritter und Reisige saßen auf, Wimpel wurden aufgesteckt, Schwerter gezogen, dann preschten die Ritter, die Gardisten der Löwengarde, die Sonnenlegionäre und die Bogenschützen der Goldenen Lanze aus dem Hof auf den Weg unterhalb von Yossenfels.

Die Reisenden hatten den Wald, aus dem sie gekommen waren, schon fast eine halbe Meile hinter sich gelassen, so dass sie auf freiem Feld waren, als sich die Reiter aus dem Gehöft auf die Ebene ergossen. Die kaiserlichen Farben waren gut zu erkennen, weshalb die Reisenden sofort wussten, was die Stunde geschlagen hatte.

Ein junger Geweihter versuchte mit einem Packpferd nach Norden auszubrechen, wo ein Hain Schutz versprach, ein Pärchen – sie mit Säugling – wendete die Pferde und versuchte, den Weg zurück zu schaffen.

Die Kavalkade der heranrückenden Reiterei war schreckenerregend. Die Hufe donnerten, die Banner knatterten, die Rüstungen schepperten. Und die Reiter waren schnell und bestens ausgebildet. Drei Reiter unter Ritter Ruchins Führung fingen den Geweihten im Norden noch vor dem Hain ab, drei Ritter unter Ritter Falkwins Führung das Paar. Die anderen kreisten die Reisegesellschaft ein, die abgesessen war. Zwei zerrissen Papiere und stopften sie sich in den Mund, einer stand aufrecht und sah den Reitern entgegen.

Als die Reiter zur Ruhe gekommen waren und erste Reisige abstiegen, um die Gesuchten festzunehmen, baute sich jener, der sich kaum gerührt hatte, auf und übertönte den Lärm: »Wer wagt es, die Waffe zu erheben gegen mich, den Grafen dieser Lande? Gegen mich, einen Mitmenschen ohne Waffen, ohne Arg und ohne böse Absichten? Wer wagt es, unseren Lauf aufzuhalten und Geweihte zu misshandeln? Wer wagt es? Der trete vor und verantworte sich vor mir! Ich bin Yesatan von Eslamsgrund

Ritter Bernhelm von Wetterfels war abgestiegen und trat zu Yesatan. Doch noch ehe er die Hand so richtig zum Schlag heben konnte, hielt ihn der Ruf Graf Timshals zurück: »Nicht, Wetterfels!« Graf Timshal lenkte sein Ross nach vorne und sprach dann von oben herab, während ringsum die Reisigen Menschen und Pferde dingfest machten:»Yesatan von Eslamsgrund, Graf von Eslamsgrund! Auf Befehl Seiner kaiserlichen Majestät Hal von Gareth nehme ich Euch in Gewahrsam. Euch wird vorgeworfen, Aufruhr zu betreiben und an den Grundfesten der Zwölfgöttlichen Ordnung zu hämmern! Mit diesen Urkunden des Reichserzkanzlers Answin von Rabenmund und des garetischen Staatsrates Udalbert von Schellenpfort bin ich, Timshal Paligan, Graf von Perricum, ermächtigt, Euch und Eure Begleiter festzunehmen und nach Gareth zu verbringen, wo Euch der Prozess gemacht werden wird.«

Yesatan lachte kurz auf. Er war ein schöner Mann mit ebenmäßigen Zügen und einem glatten Gesicht. Er trug schlichte Kleidung, die ihn nicht von seinen Trossknechten unterschied. Nur seine Hände waren zu fein, um jemals hart gearbeitet haben zu können. »Ihr nehmt mich fest? Seid Ihr sicher, dass Ihr aus Eslamsgrund herauskommen werdet? Die freien Bauern dieser Lande werden es nicht dulden, dass Ihr mir Böses antut!«

»Das werdet Ihr noch sehen«, dröhnte Wetterfels. »Marschallin Nella von Streitzig ist mit der Löwengarde in Eslamsgrund – und die wird mit den Bauern schon fertig!«

»Ist gut jetzt«, befahl Graf Timshal, »zum Gehöft zurück. Dann geben wir Yesatan und die Geweihten den Praioten und nehmen sie alle mit.«

Die beiden Begleiter Graf Yesatans hatte man gebunden und sie daran gehindert, noch weitere Exemplare einer Streitschrift zu fressen, die als Flugblatt in die Welt getragen werden sollte: ›Von der Freiheit eines Zwölfgöttergläubigen‹. Übles Zeug. Übel wurde den beiden auch, dem Sohn Yesatans, Seginhardt, und dem Nandus-Geweihten Roban Elmenbarth, die später kotzten wie Perricumer Seesöldner am Morgen nach der Sauftour.

Ritter Falkwin brachte das Ehepaar zurück: des Grafen jüngere Schwester Rondriane nebst Gatten und Neugeborener. Der Gatte versuchte, sich klein zu machen und auszusehen, als wäre er nicht da. Denn Alrik von Ruchin hatte seinen Bruder schon gesehen, der den ausgebüxten Geweihten eingefangen hatte. Nur ungern wollte er die ›Kralle‹ in der eigenen Familie zu spüren bekommen …

Jener Ritter Ruchin brachte nun den Hesinde-Geweihten zurück zum Trupp, der im Schritt zum Gehöft zurück ritt. Dabei konnte Ruchin mit dem Lachen nicht an sich halten: »Schaut ihn Euch an, hahaha! Diesen Hesindepinsel kenne ich schon lange! Den hat die Kralle doch vor Jahren – hahaha – schon gestreichelt! Hahaha!« Seine Gnaden Landfried Tintensetzer konnte freilich nicht mitlachen. Erstens befanden sich auf seinem Packpferdes jede Menge verbotener Druckwerke aus dem Hause Andermann. Und zweitens trug er die Narben der ›Kralle‹ in seinem bleichen Gesicht; nie würde Landfried diesen Tag auf der Ruchinsburg vergessen. Das Gelächter des groben Ritters erstarb erst, als dieser seinen Bruder unter den Gefangenen erblicke …



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12. Rah 996 BF zur mittäglichen Efferdstunde
Die Kralle auf Grafenhatz
Die Legende vom Tränenwasser


Kapitel 4

Autor: BB