Geschichten:Der Lauf der Zeit - Des einen Leid des anderen Nutzen

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Des einen Leid des anderen Nutzen

Ende Tsa 1034 BF, Kressenburg

Der Anblick war das Jämmerlichste was Ardo seinen Lebtag gesehen hatte. Etwa drei Dutzend abgerissene Gestalten saßen und standen vor dem Stadttor Kressenburgs und schauten ihn mit gebannten Augen an. Die meisten waren Kinder und Alte, die wenigen im besten Alter waren von Krankheit gezeichnet oder anderweitig versehrt. Ihr Anführer Alrik, ein breitschultriger Hüne von über zwei Schritt Größe, stand demütig gebeugt vor dem Baron während er sein Bittgesuch darlegte.

„Wir flehen Euch an, Herr! Bitte schickt uns nicht auch fort! Wir sind am Ende unserer Kräfte und wissen nicht mehr wohin wir uns noch wenden sollen. Überall stoßen wir auf verriegelte Türen und verschlossene Herzen. Seit man uns vertrieben hat behandelt man uns wie Aussätzige oder Verbrecher, doch niemand hier hat jemals etwas Böses getan. Wären die Zeiten anders wären wir noch bei unseren Lieben in Hartsteen doch die Not hat uns zu Heimatlosen gemacht.“

Neben Ardo stand sein Vogt Phexian und schüttelte auf seinen Blick hin kurz den Kopf. Der Sprecher der Flüchtlinge sah die Geste und Verzweiflung trat in seine Augen.

„Wir wollen keine Almosen, Herr! Wir wollen uns unser Brot verdienen wie wir es immer getan haben. Wir können den Acker bestellen, das Korn einbringen, Vieh hüten und Bäume fällen. Wo immer ihr uns brauchen könnt, Herr, wir wissen ein Tagwerk zu verrichten.“

„Ihr alle seid schwach und krank, Mann. Wie wollt ihr schaffen was du so vollmundig versprichst? Könnt keinen Schritt mehr gehen aber das Feld bestellen wollt ihr? Das kann ich kaum glauben.“

Alrik straffte sich und richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. Sein Blick war hart und fest und ließ keinen Zweifel an der Redlichkeit seiner Worte.

„Wir werden schaffen was wir müssen und was die Götter und Ihr uns abverlangt. Herr, wir haben nichts als das nackte Leben und die Kleidung am Körper. Wir stehen vor Euch fast wie die Göttin Tsa uns schuf. Aber wir können und wollen uns mit unserer Hände Arbeit ein ehrliches den Göttern gefälliges Leben aufbauen, damit wir wenigstens dereinst in Alveran wieder mit denen vereint sein können die wir zurücklassen mussten.“

Die einfachen und ehrlichen Worte rührten eine Saite in Ardo. Er dachte an seine Mutter und daran, was sie in dieser Situation wohl von ihm erwartet hätte. Auch im Blick seines Vogtes erkannte er das Mitgefühl und der junge Baron wusste, dass Phexian diese Leute ebenso ungern fortgejagt hätte wie er.

Nur wo sollten sie hin? Der Winter war gerade erst vorbei und die Lager in allen Dörfern fast leer. Einzeln hätte Ardo die Flüchtlinge sicherlich irgendwo unterbekommen wo sie mit durchgefüttert würden bis sie wieder bei Kräften wären. Aber er hatte das Gefühl, dass es den Durchhaltewillen dieser kleinen Gemeinschaft gänzlich brechen würde, wenn er sie über die Baronie verstreute. Wo und wie konnten sie ihm aber als Masse von Nutzen sein?

Greifenwehr.“ Der alte Vogt neben ihm sagte nur dieses eine Wort, so als hätte er seine Gedanken in die selbe Richtung kreisen lassen wie Ardo. „Dort wird es in Zukunft viel zu tun geben und wenn sie zur Zeit auch nicht zu viel taugen, so haben die meisten von ihnen doch zwei gesunde Augen. Schick sie nach Greifenwehr und lass sie ankommen. Um alles weitere kümmere ich mich.“

„Du hast mal wieder recht. So könnten sie uns nützlich sein.“ Der Baron nickte anerkennend und trat einen Schritt vor zwischen die Hartsteener Flüchtlinge. „Hört zu! Euer Schicksal dauert mich und die Gebote der Herrin Travia gebieten mir Milde zu zeigen. Darum werde ich euch gestatten vier Tage auszuruhen und wieder zu Kräften zu kommen. Man wird euch einige Kammern zuweisen und ihr sollt ausreichend zu Essen erhalten. Danach wird einer meiner Ritter zu euch kommen und euch einige Meilen weiter südwärts führen, zu einem kleinen Weiler der eure neue Heimat sein wird. Ihr werdet dort die Felder bestellen, die Abgaben entrichten und auch sonst tun was ich an Frondiensten von euch verlange. Ich erwarte harte, praiosgefällige Arbeit von euch. Dafür gewähre ich euch meinen Schutz und werde für eure Sicherheit Sorge tragen. Nehmt ihr mein Angebot an?“

Alrik sah sich kurz unter seinen Leuten um, von denen sich nun jene die es konnten erhoben, dann trat er wieder vor den Baron und neigte erneut demütig sein Haupt. „Wir werden alles tun was Ihr von uns verlangt Herr. Was Ihr uns geben wollt ist mehr als wir je zu hoffen gewagt haben. Möge die Herrin Travia Euch dafür segnen.“

„Dann sei es so.“ Ardo klatschte in die Hände und sah zu seinem Vogt hinüber. „Phexian, weise ihnen eine Scheune vor der Mauer zu wo sie die Tage schlafen können und lasse Brot aus der Burgküche kommen. Dann bitte Ihro Gnaden Fürchtelind ob sie sich den Menschen annehmen kann. Ich will keine Krankheiten in der Stadt haben. In vier Tagen soll Kasimir sie dann nach Greifenwehr bringen. Dort können sie sogleich bei den Bauarbeiten mithelfen.“