Geschichten:Das Schweigen im Walde I: Feuersbrunst - Teil 14

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Erinnerungen XI – Frohe Kunde seltener Natur

Uslenried, Anfang Travia 1028 BF

Ein weißes Ross preschte durch das Burgtor herein, und der Jüngling, der darauf ritt, sprang aus dem Sattel und eilte die Stufen zum Palas hinauf, nachdem er einem verdutzen Knecht ohne weitere Worte die Zügel in die Hand gedrückt hatte. Er stürmte durch die Tür hinein in die Burg, sah sich suchend um und rief einer vorbeieilenden Magd zu: „Wo ist Wulf? Wo ist der Baron?“

Die Magd, noch völlig verdattert, brauchte einen Augenblick, um sich zu fangen und wies den Neuankömmling schließlich zur Schreibstube. Jener eilte mit einem Wort des Dankes auf den Lippen weiter und stürmte alsbald, noch während er anklopfte, durch die Tür der barönlichen Kanzlei.

Meister Datierlich, der erste Schreiber des Barons, war gerade damit beschäftigt, einen Brief aufzusetzen, erschrak ob des Gepolters aber so sehr, dass er zusammenzuckte, mit dem Ärmel an einer Ecke seine Pultes hängen blieb und ob der Erschütterung schließlich das Tintenfässchen umkippte, welches zum Glück nahezu gelehrt war, so dass nur wenig Farbe auf das Pergament lief. Nichts desto trotz konnte man diese Blatt nun nicht mehr verwenden, wie der Gelehrte ob der eigenen Tollpatschigkeit leicht angesäuert bemerkte.

Baron Wulf, der seinem Schreiber gerade diktiert hatte, war nicht minder überrascht, als er den Besucher gewahrte. „Falk!“, rief er erstaunt aus. „Wo kommst Du so eilig her?“ Normalerweise widmete sich der Junge in der Kaiserstadt den höfischen Dingen, und nebenbei gelangte durch ihn so manche Kunde aus eingeweihten Kreisen an den barönlichen Hof. Wenn Falk nun aber selber gereist kam, musste es wahrlich einen guten Grund dafür geben.

„Aus Gareth“, erwiderte der Angesprochene, „und ich habe frohe Kunde! Sie lebt!“ Falk von Streitzig j.H., Sohn des Edlen und bekannten Barden Geldar von Zweistetten, war noch völlig außer Atem.

„Wer lebt?“ fragte Wulf mit zitternder Stimme, ahnend und hoffend, was Falk gleich aussprechen würde.

„Die König, Rohaja, sie lebt und ist zurückgekommen“, sprudelte es aus Falk heraus. „Ich habe sie selbst gesehen, als sie zum Volk gesprochen hat und habe mich auf den Weg gemacht, sobald ich es bewerkstelligen konnte. Ist das nicht großartig?“ fragte er strahlend. Wulf spürte den Puls in seinem Inneren rasen. „Wahrhaftig, das ist die beste Nachricht seit Wochen!“ Vergessen war der Brief; Wulf eilte hinfort, die frohe Kunde zu den Seinen weiterzutragen, während Falk sich alsbald wieder von dannen machte und nach Streitzensfeld ritt, um auch dort seinem Vater und den übrigen Anverwandten zu berichten.

Der zweite Besuch wenige Tage später kam weniger aufgeregt daher, was nicht zuletzt daran liegen mochten, dass die hochgewachsene Frau eine Fremde in Uslenried war. Tiranee Schattentanz fühlte sich ohnehin in nahezu jeder Umgebung fremd, abgesehen von der Einsamkeit der Wälder. In ihren Andern floss menschliches und elfisches Blut, und der Zufall hatte es gewollt, dass sie irgendwann in die Dienste der Gräfin Allechandriel Quellentanz gelangt war, die sie als Kind zweier Welten kurzerhand zur gräflichen Jagdmeisterin bestallt hatte. Mit Ausnahme des Titels und einer gewissen theoretischen Verantwortung hatte sich für Tiranee dadurch eigentlich nichts geändert, wenngleich das Salär aus der gräflichen Kasse zuweilen in der Menschenwelt das Auskommen erleichterte.

Nun jedoch durchschritt Tiranee mit einem flauen Gefühl im Bauch die Tore der Stadt Uslenried und arbeitete sich durch das Treiben in den Straßen hinauf zur Burg, in welcher es sicherlich ebenso grau und kalt sein würde wie in den meisten menschlichen Behausungen. Doch die Pflicht gebot ihr, diesen Weg zu gehen, auch wenn er nicht sonderlich behagte. Die städtischen Gerüche, die ihre Nase umwehten, unterschieden sich so sehr von den des Waldes, dass sie mehrfach die Nase rümpfte; einmal musste sie gar aufkommende Übelkeit und Würgereiz unterdrücken. Entsprechend missmutig durchschritt sie schließlich das Burgtor von Burggreifenklaue, nachdem sie den Wachen Namen und Begehr genannt hatte und folgte dem gewiesenen Weg, der sie über den Burghof zu den Treppen des Haupthauses führen sollte. Im gleichen Augeblick jedoch trat der Wulf selbst aus der Türe hinaus, um hinunter in den Burghof zu gehen; am Vormittag hatte der Schmied sein Schlachtross neu beschlagen, und er wollte sich selbst von der Arbeit überzeugen. Als er die Jägerin erblickte, die in typischer Elfenkleidung gewandet war, stutzte er und dachte im ersten Augenblick, die Gräfin habe sich nach Burg Silz verlaufen, was aber ganz allein kaum angehen mochte. Dennoch war der Anblick eines Spitzohrs in der heimatlichen Burg selten genug. So ging er der Elfe entgegen, und am Fuße der Treppe begegneten sich die beiden.

»Sanya bah«, begrüßte Wulf die Angekommene in ihrer eigenen Sprache, welche er in Grundzügen sprach.

»Sanya bah«, entgegnete die Elfe den Gruß deutlich überrascht, hatte sie doch eine derartige Begrüßung nicht erwartet. Dennoch bediente sie sich für ihre weitere Antwort der Sprache ihres menschlichen Vaters. »Mein Name ist Tiranee Schattentanz, und ich suche den Kriegsherrn Allechandriels, von dem es heißt, er sei hier anzutreffen«, trug sie ihr Anliegen vor.

Wulf schmunzelte. »Wenn ihr damit den Obristen der Grafschaft Waldstein meint, über die Gräfin Allechandriel Quellentanz herrscht, so habt ihr Glück; ich bin es. Wulf von Streitzig j.H. zur Greifenklaue lautet mein Name. Und wenn es Euch leichter fällt, dann nennt mich ruhig Wulf«, erwiderte er lächelnd. Die Zeit, da Albrax von Waldstein Graf gewesen war hatte ihn gelehrt, dass es beim Umgang mit den alten Völkern der Elfen und Zwerge zuweilen leichter war, sich deren Namenskonventionen anzupassen; der Zwergengraf hatte ihn anfänglich gern als Wulf, Sohn des Rondragan gerufen, und dabei war es außerhalb des höfischen Parketts auch geblieben.

»Wie ihr mögt«, entgegnete sie ihm, »doch als Jagdmeisterin der hohen Herrin Allechandriel will ich mich bemühen, den üblichen Gepflogenheiten ihrer Herrschaft nachzukommen«. Wulf zog die Augenbrauen hoch. Gräfliche Jagdmeisterin? War hier doch etwas im Busche? »Ich bringe Euch Kunde aus den Landen im Wald, die die Menschen Silz nennen. Dort gibt es ein Heim der Gänsegöttin Travia, welches unlängst von jenen angegriffen wurde, die ihr wohl die Rubinbrüder nennt.«

Wulf pfiff leise durch die Zähne. Das waren ja ganz interessante Neuigkeiten! Zwar hatte es immer wieder einmal Berichte von Überfällen gegeben, die man der Borbaradianersekte zuschrieb, aber das sie nun selbst vor einem Kloster nicht halt machten, war etwas neues. »Ihr meint das Kloster Gansbach?« vergewisserte er sich.

Tiranee nickte. »Ja, so nennt es sich. Ich kam zufällig des Weges, als es geschah, mitten in der Nacht. So versuchte ich zu helfen und schickte meine Pfeile aus, von denen einige trafen und hielt es für richtig, nach dem rechten zu sehen. Die Heimesmutter nannte dann den Namen der Angreifer und verfluchte sie bei allen guten Göttern, denn sie haben wohl schon viel Schaden über das Land gebracht.«

»Das kann man wohl sagen. Und weiter?« Ein kleiner Überfall mochte die Elfe sicher nicht bis hierher getrieben haben.

»Ich bin den Spuren gefolgt, welche die Angreifer auf ihrer Flucht hinterlassen haben. Sie endeten in einem Sumpf, den ihr und wir das Blutmoor nennen. Irgendwo dort verstecken sie sich, denn ihre Spuren führten nicht wieder heraus.«

»Und nun seid ihr gekommen, mir dies zu berichten?« Wulf war noch völlig in der Überraschung gefangen, dass der Sieg über die Sektierer wieder in greifbare Nähe gerückt war.

Die Jagdmeisterin nickte erneut. »Herrin Allechandriel weilt in den Wäldern, und unter den Menschen heißt es, ihr würdet für die Herrschaft die Schwerter anführen. An wen hätte ich mich sonst wenden sollen?« frage sie, und Scheu und die Unsicherheit, einen Fehler begangen zu haben, sprachen aus ihren Augen.

»Damit habt ihr recht getan. Es ist an der Zeit, das Böse ein für alle Mal aus dem Forst zu vertreiben. Ich werde mich darum kümmern und Danke Euch.«

Tiranee atmete leise tief ein; die Unsicherheit in ihrem inneren legte sich etwas. Schon wollte sie einen Abschiedsgruß sprechen und sich zum gehen wenden, da sprach der Baron weiter. »Ich werde allerdings Eure Hilfe brauchen. Ihr seid diejenige, die den weit besser kennt als ich und die übrigen Schwerter Allechandriel, die ich führe. Treff mich und die übrigen Streiter in einem Mond am Gänsekloster; dort werden wir uns versammeln und tun, was nötig ist, um die Finsternis zu vertreiben.«

»Ich werde da sein«, sagte sie leise. Dan hob sie die Hand zum Gruß, wandte sich ab und huschte von dannen. Wulf sah ihr überrascht hinterher; dass er ihr nicht einmal ein Auffüllen des Vorratsbeutels hatte anbieten können.

Die Begutachtung der neuen Hufeisen bei seinem Schlachtross war schnell vergessen, nun hieß es handeln. Wulf eilte zurück in die Burg und stieß in der Tür zur Schreibstube um ein Haar mit seinem Schreiber Meister Datierlich zusammen, welcher die Kammer just verlassen wollte. Schnell bugsierte Wulf den dicklichen Gelehrten zurück in die Stube und hob zu sprechen an, welche Kunde zu den Verbündeten und den Vasallen der Gräfin getragen werden sollte.

Datierlich schrieb die halbe Nacht lang, und mit nahender Dämmerung verließen die Boten am Morgen eilends die Burg, um die Depeschen zuzustellen.