Geschichten:Blutschwester – Das heilige Schwert

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Das Heilige Schwert

Im Ehrenfelder Trollgrab, am 6. Boron 1039 BF, nach Mitternacht


Es war, als wenn sie durch grauen Nebel glitten; sie hatten das Gefühl, gleichzeitig zu gehen, zu stehen und zu fallen; dann lichtete sich der Nebel und machte der Finsternis Platz, doch nur einen Herzschlag später erleuchtete das Licht von neun Fackeln die Kaverne.

Sie standen vor dem Stein, nicht am Eingang der Kaverne, wie es zuvor immer der Fall gewesen war; alles war still. Lange sahen sie sich in die Augen, dann senkten sie den Blick hinab, dorthin, wo sich vor gefühlten Äonen ihr Blut vermischt hatte.

Die Lache aus rotem Lebenssaft war noch da, obwohl sie beide etwas anderes erwartet hatten; doch das Blut befand sich nicht auf dem Stein, sondern in der Blutrinne eines altertümlich anmutenden Schwerts, welches auf dem Steinblock ruhte. Griff und Parierstangen waren aus geschwärztem Stahl; die breite Klinge hingegen war nicht gerade, sondern leicht gewellt. An jeder Seite bildeten die sich so vier Zacken, zusammen mit der Schwertspitze waren es neun. Das Blut – ihr vereintes Blut – wurde in der Rinne weniger und weniger, bis es völlig verschwunden war; ganz so, als hätte die Klinge es aufgesogen.

»Blutschwester« flüsterte Wulf ehrfürchtig. Er streckte die Hand aus, griff nach der Klinge; vorsichtig berührte er sie. Sie fühlte sich warm an, und vertraut. Er hob das Schwert, wog es in der Hand; trat einen Schritt zurück und vollführte ein paar Streiche in der Luft. Dann umfasste er die Klinge und ließ seine Hand daran hinabgleiten, und die gezackte Schneide ritzte seine Haut. Rotes Blut quoll heraus, doch tropfte nicht zu Boden; die Klinge sog es auf. Und Wulf fühlte wie, sich tief in seinem Inneren ein heiliges Band zur Essenz der Klinge hin streckte und ihre Schicksale aneinander knüpfe. Und er verstand.

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Sinya bekam von alledem nichts mit. Ihr Blick war auf dem Stein verharrt, als Wulf des Schwert genommen hatte, und unter der Stelle, wo sich Klinge und Parierstangen kreuzten war ein glitzernder Stein verblieben, in welchem sich der Fackelschein sternengleich brach. Es war ein Kristall wie jener, den sie als Auge aus dem Sternbild des Drachen entfernt hatte, als sie vor Äonen die Sternbilder in der Kaverne gelegt hatte. Sie streckte die Hand vor; behutsam ergriff sie den Kristall. Und sie verstand.

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Sie sahen sich an. Bilder durchwehten ihren Geist, fern und unwirklich, dennoch vertraut; doch viel zu schnell, als das sie alles wirklich in Worte zu fassen vermocht hätten. Vorsichtig verstaute Sinya den Kristall in ihrer Gürteltasche. Wulf umfasste den Schwertgriff mit der Linken; dann reichte er Sinya die Hand, und mit zartem Griff umschlossen sich ihre Finger.

Und der Schleier, der sie vor den Augen ihrer Begleiter verborgen hatte, fiel.


Die Zeit verging. Die schillernde Blase waberte weiter vor sich hin, und nichts wies darauf hin, was darin vor sich gehen mochte. Befand sich das Baronspaar überhaupt im Inneren der Blase? Oder war jene vielmehr nur ein Tor? Jessa wusste es nicht, war unschlüssig, was sie glauben sollte. Larena, Areana und Alcara hatten mit wenigen Worten zu erklären versucht, was das Phänomen alles bedeuten konnte, doch Jessa war es ziemlich gleich. Nach wie vor war sie irritiert, dass ausgerechnet ihre zufällige Berührung das Tor geöffnet hatte; denn weder das innere, soweit es nicht ohnehin von der Blase verdeckt war, noch das äußere des Trollgrabes erinnerten an einen dem Blutigen Schnitter geweihten Ort. Andererseits konnte niemand abschätzen, wie alt das Bauwerk wirklich war, und anhand der Beschaffenheit des Bauwerks erschien nicht einmal mehr sicher, ob es trollischen Ursprungs war. Als ihr das Warten zu lang wurde ließ sie sich an einer Säule im Schneidersitz nieder, legte ihren Nachtwind in den Schoß und versenkte sich in Meditation.

Kilea von Hagenau-Ehrenfeldt erging es ähnlich. Für ihren Geschmack wohnte dem Ort zuviel Magie inne, auch wenn dies noch nicht bewiesen war. Mehrfach umrundete die praiosgeweihte Bannstrahlerin die wabernde Blase, bis sie es nicht mehr in der Kaverne aushielt und das Gefühl bekam, keine Luft mehr zu bekommen. Also verließ sie die Kaverne durch das Tor, schritt den Gang entlang und stieg die Leiter empor. Unter dem Nachthimmel holte sie erleichtert tief Atem und atmete die kühle Nachtluft ein.

Die drei Gelehrten hingegen untersuchten die Kaverne auf ihre Weise mit eher wissenschftlichem Ansatz. Während Hofmagierin Alcara das Geheimnis des Ortes auf magische Weise zu ergründen versuchte, fertigte Larena eine Grundrissskizze des Raumes an, derweil Areana Bellenthor eifrig Notizen in ihr Buch der Schlange schrieb.

Dann, nach Stunden – es musste weit nach Mitternacht sein – wurde das Wabern der Blase mit einem Mal langsamer. Dann zog sie sich etwas zusammen, wurde durchscheinend, breitete sich sodann ruckartig aus. Dabei wurde sie glasklar und zerplatze mit einem leisen ‚plopp‘.

Jessa schreckte aus ihrer Trance auf, als die Blase sich ausdehnte. Sie wollte zurückrutschen, doch in ihrem Rücken befand sich eine der Säulen, die das Innere Rund der Kaverne vom äußeren Gang trennte. Sie spürte Panik in sich aufsteigen, fürchtete, dass die Blase sie verschlingen könnte – doch einen Finger breit vor ihr löste sich die Blase auf und gab den Blick die Mitte der Kaverne frei. Dort befand sich ein Steinblock, und vor jenem stand ihr Schüler und Soldherr, Hand in Hand mit seiner Gemahlin. In der anderen Hand hielt er ein leicht gezackte Klinge.

Jessa sprang auf. Inzwischen hatten auch die drei anderen Frauen bemerkt, dass das Phänomen verschwunden war und eilten auf die Mitte des Runds zu. »Was ist passiert?« Es war – natürlich – Larena, die ihre Neugier kaum zügeln konnte.

»Das kann man kaum in Worte fassen. Eingebungen, Visionen, Traumbilder, so könnte man es wohl benennen«, erwiderte Sinya, und Wulf nickte zustimmend. »Und was ist das da?« Larena wies auf das Schwert.

Jessa sah ihren Glaubensbruder fragend an; Wulf nickte kaum merklich. Dann streckte er ihr die Waffe entgegen.

Jessa trat einen Schritt vor und berührte die Klinge mit den Fingerspitzen. »Blutschwester«, hauchte sie ehrfurchtsvoll.

»Blutschwester? Ist es wahr?« Larena, die sonst wenig beeindruckte, sah die Waffe ehrfurchtsvoll an.

»Eines der acht Schwerter der Goldenen Au. Dem Kor geweiht, ist es nicht so?« Areana zitierte das wenige, was sie über das Schwert wussten.

»Also hast Du gefunden, wonach Du gesucht hast. Kors Klinge, verborgen im Herzen Garetiens.«

»Wir haben es gefunden«, korrigierte Wulf. »Wenn es denn wirklich Blutschwester ist. Es ist eine Heilige Klinge des Herrn der Schlachten, soviel steht außer Frage - doch niemand weiß heuer wahrhaftig, wie Blutschwester ausgesehen hat. Also können wir es nur vermuten, doch solange wir nicht mehr wissen, gehe ich davon aus, das dies hier ist, was wir annehmen.«

»Aber irgendwie ist es schon ein denkwürdiger Zufall, gerade an diesem Ort, den Ihr als Ort der Heerschau auserkoren habt, findet Ihr nicht auch?« Areana, die Hesindegeweihte, sah nachdenklich auf Wulf, dann auf das Schwert.

»Ich verstehe es noch nicht, doch ich denke, wir«, er warf Sinya einen Blick zu, »konnten es nur gemeinsam finden, auch wenn mir die Gründe noch nicht ganz klar sind. Ich kann es nicht beschreiben, aber ich glaube, ich sollte es finden.«

»Und der Stein dort? Ist das einer dieser legendenumwobenen Altäre?« Wieder war es Larena, die fragte.

Wulf zuckte mit den Schultern. »Das kann sein, muss es aber nicht. Vielleicht werden wir es eines Tages erfahren. Doch eines ist sicher: Dieser Ort ist wahrhaft der rechte Ort, wie es uns schon die Kunst der Geomantie und alles Wissen gewiesen hat. Wir stehen vor einer Schlacht, und eines der lange verschollenen Schwerter des Königreiches, dem Herrn der Schlachten geweiht, wurde uns an diesem Ort zurückgegeben. Wenn ihr mich fragt, ist dies ein gutes Omen.«

Die Versammelten nickten einmütig. Sinya, die noch immer die Hand ihres Gemahls hielt, drückte diese leicht; die Finger der anderen Hand hingegen formte sie zum Fuchskopf und zeichnete damit, unbemerkt von den Augen der Anderen, das Zeichen Phexens.



6. Bor 1039 BF zur nächtlichen Praiosstunde
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Sternenpfad
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Himmelsfeuer
Autor: CD