Geschichten:Blutige Spuren - Gebotene Eile

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Hirschfurt, Travia 33 Hal

Hauptmann Kolran von Treuenbrück überquerte die Brücke im schnellen Trab, und wenig später passierte er das Stadttor von Hirschfurt. Eilig preschte er dem Grafenpalas entgegen, welches oberhalb des Marktplatzes gelegen war. Er erwartete nicht wirklich, die Gräfin dort antreffen zu können – sie mochte wie üblich auf Burg Silz weilen oder gar inmitten des Reichsforstes unterwegs sein – und hoffte nur, dass man ihm ob der Papiere, die man ihm zu Gareth ausgehändigt hatte, bei seiner Mission behilflich sein würde. Er hatte es vorgezogen, alleine loszureiten und den Umweg über Hirschfurt in Kauf zu nehmen, um sich dort einige Soldaten zuteilen zu lassen, anstelle von Gareth aus mit einem ganzen Trupp loszuziehen. Es kam sehr darauf an, dass die Schuldigen nicht vorzeitig erfuhren, dass ihr Komplott aufgeflogen war, und so war er sehr darauf bedacht, Eile walten zu lassen. Er hoffte zwar, dass die Kunde aus Darpatien nicht allzuschnell in die hintersten Winkel Garetiens gelangte, aber wer mochte schon wissen, ob da nicht doch der Zufall mit ins Spiel kommen würde.

Am Grafenpalas angekommen sprang Kolran aus dem Sattel, drückte einem Bediensteten die Zügel in die Hand und eilte mit schnellen Schritten in das Gebäude.

Im inneren des Gebäudes verlangsamte er seine Schritte auf ein angemessenes Maß, und dennoch stieß er hinter einer Ecke mit dem Marktvogt Hirschfurts zusammen – derart unglücklich, dass jenem ein Stapel Dokumente aus der Hand glitt und sich auf dem Boden ausbreitete, was ein lautes Gekeife nach sich zog. Ohnehin hatte Marktvogt Karlovatz von Sonderlingen nicht nur den Ruf, kauzig zu sein, nein, er wirkte auch so. Seine hagere, beinahe dürre Gestalt ließen ihn klein und zerbrechlich wirken, doch diesen Makel machte er durch Arroganz, Jähzorn und lautes Geschrei mehr als wett. Nun bekam Kolran die Wutanfälle des Marktvogtes am eigenen Leibe mit. Während er sich mühte, den herumfuchtelnden Armen des Marktvogtes zu entgehen, sammelte er dessen Papiere wieder ein, wobei er einige entschuldigende Worte sprach und sich nach getanem Werk auf den weiteren Weg machte, derweil von Sonderlingen noch immer vor sich hin fluchte.

Kolran war bereits einmal im Grafenpalas gewesen, und so fand er die Amtsstube des Grafschaftsrates Lubomir von Storchenhain umgehend, ohne auch nur einmal fragen zu müssen. Umso erstaunter war er, dort nicht den greisen Kanzler der Grafschaft vorzufinden, sondern einen etwa kräftigen Mann mittleren Alters mit dunklem Vollbart. Jener blickte von den Dokumenten, die er gerade studierte, auf und starrte den Ankömmling ungehalten an.

»Die Zwölfe mit Euch«, grüßte Kolran, nachdem er seine Überraschung überwunden hatte.

»Auch mit Euch«, entgegnete der Mann hinter dem Schreibtisch. »Es sei die Frage erlaubt, wer seid Ihr?«

»Hauptmann Kolran von Treuenbrück«, antwortete der Gefragte, wobei er in eine militärisch korrekte Haltung einnahm und sich mühte, auch formell zu klingen. »Man schickt mich in einer dringenden Angelegenheit aus Gareth«, erläuterte er sein hiersein. »Und mit wem habe ich die Ehre? Ich erwartete Grafschaftsrat von Storchenhain anzutreffen!«

»Da müsst Ihr wohl mit mir vorlieb nehmen. Unser guter Lubomir hat schon seit mehr denn einem Jahr kein Bein mehr in dieses Gebäude gesetzt, seit ihn die Alterssieche ans Bett fesselt. So nehme ich denn als sein Stellvertreter derweil im Auftrage der Gräfin die Amtsgeschäfte war. Coswin von Streitzig, mein Name«, stellte er sich vor und setzte seufzend hinzu, »jüngeren Hauses, wohlgemerkt. Ich bin gräflicher Vogt ihrer Hochwohlgeboren der Gräfin hier zu Hirschfurt.«

Kolran schluckte. Ausgerechnet ein Streitzig! Das mochte die ganze Sache unnötig verkomplizieren, zumal man gerade den Angehörigen des jüngeren Hauses Streitzig aller gelegentlichen Streitigkeiten zum Trotz eine enge Verbundenheit untereinander nachsagte, gerade hier im Waldsteinschen. Doch er hatte einen Auftrag zu erfüllen.

Der Vogt hingegen schien seinen Auftritt und die Unsicherheit des Hauptmannes, die er sehr wohl bemerkt hatte, zu genießen. »So sprecht schon, was ist Euer Begehr? Meine Zeit ist begrenzt. Und es scheint ja wahrlich wichtig zu sein, wenn man Euch anstelle eines einfachen Boten entsendet!«

Kolran spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg und beeilte sich, sein Anliegen vorzutragen. »Es handelt sich um eine äußerst heikle Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet, so dass ich der Eile wegen ohne große Begleitung aufgebrochen bin, um erst hier einige Mann Bedeckung hinzu zu nehmen. Eine Angelegenheit von Mord und Reichsverrat duldet keine Aufschub, wie ihr verstehen werdet.«

Coswin zog interessiert die rechte Augenbraue hoch. »Und damit schickt man Euch zu mir?«

Der Hauptmann räusperte sich, bevor er fortfuhr. »Nun, es ist zunächst eine innergaretische Angelegenheit, müsst Ihr wissen. Seine Exzellenz der Staatsrat wünscht, kein allzu großes Aufsehen zu erregen, weshalb auf Reichstruppen nicht zurückgegriffen werden solle. Er ersucht Euch hiermit, mir gräfliche Soldaten an die Seite zu stellen.« Er überreichte Coswin die Dokumente, die der Staatsrat zu diesem Zwecke hatte ausfertigen lassen.

Der Vogt zögerte einen Moment, ehe er das Schreiben entgegen nahm und das Siegel brach. »Und wo ist der Übeltäter?« fragte er beiläufig, als er die Zeilen überflog.

Kolran von Treuenbrück schluckte. »Zu Uslenried«, sagte er mit belegter Stimme.

In Coswins Augen blitze es. Schon immer hatte er etwas gegen die Familienführung gehabt, und innerlich frohlockte er, dass es Wulf nun an den Kragen gehen sollte. Der junge Baron hatte ja schon des öfteren ziemlich im Schlamassel gesteckt, und aus so einer Sache konnte er sich gewiß nicht so leicht herauswinden.

»Seid unbesorgt«, sagte er, ohne das Schreiben zuende zu lesen. »Ich werde Euch zehn Mann Bedeckung an die Seite stellen. Möge der Her Praios Gerechtigkeit walten lassen!« Damit erhob er sich und bedeutete Kolran, ihm zu folgen, und der Hauptmann holte erleichtert Luft.

Wenig später verließen elf gerüstete Reiter in den Farben Garetiens die Stadt und machten sich auf den Weg in die benachbarte Baronie, um ihre Befehle auszuführen.