Geschichten:Aus dem Reich der Natter - Teil 1

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Anfang Travia 1028BF


St. Ucurien, ein kleines Dorf mit Kloster und Ucuri-Schrein im Südwesten der Baronie Nettersquell.


Müde kratzte Bruder Bernadus die letzten Reste aus dem Kessel, füllte es zu dem anderen Brei in eine Schale und gab sie dann dem ausgehungerten Kind mit dem dankbaren Blick in den Augen. Ein weiterer Flüchtling aus Darpatien, der nun hier im Kloster von St. Ucurien Schutz suchte. Wie viele andere war es auf dem Weg nach Gareth oder in den Süden, wo die zwölfgöttliche Ordnung noch Bestand hatte.

Mit einem schweren Seufzer ließ er sich auf einem Schemel in der Ecke der Küche nieder, und betrachtete versonnen seinen stattlichen Bauch. Nur das Hungergefühl in ihm wollte nicht recht zu dem Anblick passen. Was war nur aus ihnen und der Welt geworden. Vom Osten näherte sich die Finsternis und reichte inzwischen bis an die goldene Zitadelle von Gareth. Das Königshaus war am Boden, doch das wunderte ihn nicht sonderlich. Man musste sich doch nur einmal die Herrschaften ansehen, welche die Lande verwalteten, allein schon hier in Nettersquell. Schlimmer noch wog die Zerstörung der Stadt des Lichtes. Ihr Vorsteher hatte einen Schlaganfall erlitten, als er davon erfuhr. Nun war die kleine Gemeinschaft aus Laienbrüder zu Ehren Ucuri führungslos und hoffnungslos uneins in Bezug auf ihre Zukunft. Die Brüder Praiodan und Servantes wollten von ihrem alten sorglosen Leben nicht lassen, Praios und Ucuri mit Gesängen zu ehren und ein genüssliches Leben zu führen. Die Narren hatten nicht begriffen, dass sich die Zeiten geändert hatten. Bruder Norbes und er wiederum sahen darin eine Prüfung. Es galt nun, sich von dem alten Lotterleben zu lösen, und jenen zu helfen, die vor der Finsternis flohen.

So verteilten sie die Vorräte des Klosters unter den Flüchtlingen. Ihr Vorsteher Garano, dessen halber Körper nun gelähmt war, siechte in der Kapelle dahin, und betete unablässig um Gnade für seine Sünden.

Angewidert spukte Bernadus aus. Oh ja, ihr Vorsteher hatte allen Grund, um sein Seelenheil zu beten. Er hatte es zuweilen schlimm getrieben. Die Bauern des Dorfes zu ungerechtfertigter Fron gezwungen, und dafür war er sogar dem Baron, dieser falschen Natter, gefügig gewesen. Er hatte dessen Intrigen gegen einen anderen Adeligen aus dem Eslamsgrund unterstützt. Was sollte es? Ein Teil der Einwohner des Dorfes waren geflohen. Nur wenige Alte und jene, die Grund und Boden besaßen, waren geblieben, und sie, die Brüder, zu Ehren des heiligen Ucuri. Wie lange noch würden sie hier aushalten können? Immerhin sicherten die Männer des Barons im Norden die Straße und die Städte Praioslob und Nattergrund. Doch konnte das die Plünderer und Untoten, von denen die Flüchtlinge erzählten, wirklich aufhalten? Um das Umland kümmerte sich der Herr Baron nicht, auch nicht um die Flüchtlinge. Hingegen versuchte er den Schollenzwang durchzusetzen. Doch in den abseits gelegenen Dörfern waren viele der Einwohner auf der Flucht. Und die meisten von ihnen kamen an St. Ucurien vorbei.

Das Wiehern von Pferden riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Verwundert sah er auf. So spät in der Nacht konnte dies kaum etwas Gutes verheißen. Er nahm eine eiserne Pfanne als Waffe und näherte sich vorsichtig der Hintertür zum Hof. Das Kind starrte ihn entsetzt und mit großen Augen an und begann zu zittern. Mit einem Ruck öffnete er die Tür, die Pfanne zum Schlag erhoben, doch niemand lauerte davor. Über die Mauer des Klosters drang roter Schein. Bei Praios, das Dorf brannte. Nun hörte er auch deutlich die Schreie und Rufe von Mensch und Tier. Er hastete um die Ecke und spähte zum Tor. Wegen der Flüchtlinge hatten sie darauf verzichtet, es zu schließen. Nun kam der Feind. Er sah, wie eine Rotte von Söldnern in den Hof eindrang, schwer gerüstet und bewaffnet. Und er erkannte die Farben: Schwarz und Rot! Die Borbaradianer waren gekommen, Praios möge ihnen beistehen! Aus dem Haupthaus eilte ihnen Bruder Servantes entgegen, die Hände in deutlicher Geste über dem Kopf erhoben - und wurde mit nur einem Hieb durch ein großes Schwert getötet. Ein Söldner bellte Befehle, und die Marodeure begannen, sich zu verteilen. Zwei näherten sich nun auch dem kleinen Hof zur Küche.

Bernadus eilte zurück. Nun galt es, das eigene Leben zu retten. Das Kind zitterte am ganzen Leib. Er packte es am Handgelenk, deutete ihm an zu schweigen und zog es mit sich. Durch die Küche kam er in den Waschraum. Von dort wollte er versuchen, unbemerkt in die Räucherkammer vorzudringen, von der eine Tür in den Kräutergarten führte. Dort gab es ein kleines Mauertürchen, durch das er und das Kind in die Nacht entkommen konnten.

Er hastete durch die Dunkelheit, das Kind hinter sich herziehend. Von überall hörte er Getrampel und Gejohle. Diese unheilige Schar plünderte das Kloster. Kurz bevor sie den Gang zur Räucherkammer ereichten, geschah es: Das Kind stolperte im Dunkeln über einen Eimer und riss im Sturz eine metallene Waschschale um. Es schepperte höllisch laut, und zu alledem begann das Kind zu weinen.

Vergeblich versuchte Bruder Bernadus es zu beruhigen. Da wurde auch schon die Tür zum Schlafraum aufgestoßen. Einer dieser mordenden Bestien betrat den Waschraum, eine Fackel in der Linken und ein blutiges Schwert in seiner Rechten. Er schwenkte die Fackel, und alsbald erreichte ihr Schein die beiden Flüchtenden. Bruder Bernadus warf die Pfanne, und - bei Praios- er traf! Dem Unhold fiel die Fackel mit einem lästerlichen Fluch aus der Hand. Dies war die Gelegenheit. Er schnappte sich das Kind und rannte zur Räucherkammer. Schwer ging sein Atem, solcherlei Anstrengungen war er nicht gewohnt. Hinter ihm schrie der Söldner nach seinen Spießgefährten. Ein seltsam vertrauter Dialekt, almadanisch vielleicht, dachte noch Bernadus, als er endlich in der Räucherkammer stand. Er lies das Kind los und verriegelte die Tür von innen. Der Duft von Speck und Schinken hing noch immer in der längst leeren Kammer. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen, und für einen Augenblick vergaß er beinahe die tödliche Gefahr. Doch schon hämmerte es gegen die Tür, und das Fluchen war nun allzu deutlich zu hören. Sie mussten weiter! Er eilte durch die Kammer und kam zur Gartentür. Hinter ihm krachte es schon. Es würde nicht lange dauern, bis die Söldner durchbrachen. Er erreichte die kleine Pforte und zog. Bei allen Zwölfen, sie war verschlossen. Verdammt sei Bruder Praiodan! Dieser Missgönner hatte die Tür abgeschlossen, damit sich niemand an den Vorräten zu schaffen machte. Das Poltern in seinem Rücken verriet ihm, dass die Feinde nun den Raum betraten. Das Kind schrie vor Angst und rannte zur Tür, die zu den Vorratskammern führte. Bernadus schnappte sich den schweren Schürhaken neben dem Ofen. So billig wollte er sein Leben nicht verkaufen.

Zwei Söldner näherten sich im grinsend. Ihre Schwerter wiegten sie spielend in ihren Händen. Er hörte ein lautes Quieken aus dem Gang und dann einen dumpfen Schlag. Bruder Bernadus wusste, was dies bedeutete. Mit Tränen in den Augen dachte er an das Kind. Verfluchte Almadaner, ach nein Borbaradianer! Verwirrt und zornerfüllt hob er den Schürhaken und griff an. Neun Herzschläge später war er tot.



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Texte der Hauptreihe:
K1. Teil 1
K2. Teil 2
K3. Teil 3
5. Tra 1028 BF
Teil 1


Kapitel 1

Teil 2