Geschichten:Auch in Zukunft kräftig zubeißen

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Neu-Gareth, 20. Ingerimm 1042 BF

Der garetische Oberzollmeister – seit dem Antritt des neuen Cantzlers häufig im Königreich unterwegs als eine Art garetisches „Auge der Kammer“ und Prüfer diverser Schatullen zahlungsunwilliger Adliger – besah sich die filigranen Kunstwerke in der Auslage Hardane Blattlers. Vor ihrer Werkstatt hatte sie in den Schatten einige Beweise ihrer Kunstfertigkeit gestellt: meisterlich ornamentierte Trinkgefäße aus dem Horn des Wollnashorns, wie floral gewachsene Brieföffner aus Trollbein, zierlich geschnitzte und lebendig wirkende Broschen aus Walbein. In jedem Stück zeigte sich die Meisterschaft der Beinschneiderin, die für ihre geschickten Hände und lebensechten Kunstwerke bekannt war – ob aus Hörnern oder Knochen – selbst Elfenbein soll sie bearbeiten, das echte, nicht das von den Dickhäutern.

Stolzenfurt-Quandt gab sich einen Ruck und nuschelte zu seinem Begleiter, dem Leuenant Olbert von Droiß, der die Bedeckung von zehn Reisigen befahl, er möge draußen warten.

Drinnen herrschte im vorderen Teil der Werkstatt ein angenehmes Licht, in dem weitere Exponate der Beinschneiderkunst zu besichtigen – und zu erwerben – waren. Im hinteren Teil aber öffnete sich die Decke zu einem ohne Dreieck, das den größten Teil des Tages das Sonnenlicht aufnahm und über die weiß gekalkten Wände und weiße Tücher diffus im eigentlichen Arbeitsbereich verteilte. Hell, aber nicht grell, wie eine Handwerkerin es bei ihrer Arbeit benötigt, sofern sie nicht im Hof im direkten Sonnenschein werkelte. Hier bearbeite Meisterin Blattler soeben einen Pfeifenkopf mit praiotischen Zeichen und Mustern – offenbar eine Auftragsarbeit eines Rauchers aus der Stadt des Lichtes. Als Stolzenfurt-Quandt sic näherte, gab Blattler das Werkstück ihrem Gehilfen und kam dem Kunden entgegen.

„Ah, Meisterin, hier bin ich wieder. Ist meine Bestellung fertig?“ Stolzenfurt-Quandt reichte der Handwerkerin über die Standesgrenze hinweg die Hand, weil er sich einbildete, dass diese feinen, edlen Hände von Simia gesegnet sein und geeignet sein mussten, sein eigenes Geschick zu erhöhen.

„Gewiss, Wohlgeboren. Es ist fertig und sieht – wenn ich mir das Lob erlauben darf – großartig aus. Sehr natürlich. Habt Ihr Euren Teil erledigt?“ Blattler wischte sich die Hände an einem Linnentuch ab und hob ein schönes Kästchen aus einem Regal, um es zu öffnen und vor dem Kunden auf den Tisch zu stellen.

„Natürlich“, antwortete Stolzenfurt-Qunadt breit grinsend und entblößte seinen nackten Gaumen, der keinen seiner schwarz-schmerzenden Zähne mehr enthielt. „Alle weg. Nun zeigt doch einmal.“

Blattler hob ein künstliches Gebiss aus der Schatulle und hielt es ins Licht: „Wie Ihr seht, Wohlgeboren: ganz natürlich. Ich habe Euch Zähne mit ebenmäßiger Verteilung gefertigt. Fest und robust, aber auch schön anzusehen. Wenn Ihr sie einsetzt, schmiert etwas von jener Paste unter den Halteknochen. Das sollte für den Tag reichen, und Ihr könnt sogar zubeißen. Nur vielleicht keine grünen Äpfel mehr.“

Der Oberzollmeister nahm das Gebiss vorsichtig in die Hand und hob es ans Auge, besah es sich von allen Seiten. Er brummte gefällig. Dann runzelte er die Brauen. „Was ist das hier?“ nuschelte er mit feuchtem Ton. „Diese Verfärbung hier? Und hier auch!“

„Das, Wohlgeboren, ist der Kniff der Meisterin, wenn ich es so sagen darf.“ Blattler grinste, als ob sie jemals ernsthaft gefragt hätte, ob sie etwas sagen dürfe. „Ich habe mir erlaubt, Eure perfekten neuen Zähne ein wenig altern zu lassen. Ich sage mal: Patina.“

„Patina?“

„Gewiss. Ihr wolltet doch ein möglichst natürliches Gebiss, auch damit nicht Alrik und Sturmfels sogleich sehen,d ass es nicht echt ist. Deshalb habe ich alle Zähne leicht eingefärbt, hier und da Gebrauchsspuren imitiert und die eine oder andere Stelle gezaubert. Der Vorteil dieser Patina ist: Sie tut nicht weh.“ Die Blattler hüstelte ein Lachen, in das Stolzenfurt-Qundt einstimmte.

„Genial. Ja, dann will ich das gute Stück mal anprobieren!“ Beim Einsetzen der künstlichen Zähne half die Blattler, auch beim Verteilen der Haltepaste auf der künstlichen Kauleiste, und vollbrachte dabei ein weiteres Kunststück, nämlich die Miene nicht zu verziehen, während sie dem hässlichen Männlein in den Mund fasste. „Sitzt es?“

Der Gefragte riss den Mund mehrmals auf und zu, grimassierte überdeutlich, aber ließ sich beschwichtigen: Das Gefühl der Fremdheit werde sich geben. Schon bald werde er ohne seine Zähne nicht mehr sein wollen. Sie würden ihm mehr ans Herz wachsen als seine alten, die ihn auch so gequält hätten.

Stolzenfurt-Quandt bleckte die Zähne und betrachtete sich im Spiegel. „Erstaunlich echt. Und die sind wirklich bruchfest?“

„Wie die echten, Wohlgeboren,. Gefertigt aus den Stoßzähnen eines alanfanischen Elefanten. Teuer, aber erstklassige Ware. Von Meisterinhand bearbeitet.“

Zum Abschied gaben sich Kunde und Handwerkerin noch einmal die Hände, nachdem eine bemerkenswerte Summe blanken Goldes den Besitzer gewechselt hatte. Die Blattler sah ihrem Kunden zufrieden hinterher, der sich nun anschickte, mit seinen Wachhunden den nächsten Adligen zu belästigen, der die kreative Buchführung weniger gut verstand als der königliche Oberzollmeister. Dann wandte sie sich wieder ihrem Gehilfen zu: „Und, Zirkan? Ist sie schon da?“

„Ja, Meisterin.“ Zirkan ging seiner Meisterin voraus. „Hier.“

„Oh ja, wie schön. Gut erhalten, sehr ebenmäßig. Die habt Ihr gut gepflegt, Frau von Sankt Parinor!“ Sie tätschelte der Ritterin von Sankt Parinor die Schulter. „Zirkan, jetzt sorgfältig arbeiten! Dann kann sie weiter zum Boronanger.“