Geschichten:Zwingsteiner Brachenhatz – Götterdienst

Aus GaretienWiki
Version vom 29. April 2019, 20:41 Uhr von Hartsteen (D | B)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Burg Zwingstein, 25. Boron, früh am Morgen


Nebel lagen über den Wiesen, den Hügeln, dem Wald. Kälte kroch hinein in die müden Glieder, müde vom Wein, müde von den harten Arbeiten der vorangegangenen Monde. Nicht fern sang eine Lerche ihr Lied. Die Jagdgesellschaft hatte sich versammelt und wartete auf die eröffnenden Worte der Geweihten.

Die drei Geweihten, die den Götterdienst heute zelebrierten, waren seine Ehrwürden Wilbur von Eichstein, ihre Gnaden Nurinai ni Rian und seine Gnaden Alvar von Krauzung. Alle drei traten nach vorne und deuteten eine kurze Verbeugung an in Richtung der versammelten Brachenwächter.


Praios


Dann trat Wilbur von Eichstein, der Geweihte des Praios, nach vorne und stimmte einen klassischen Choral zur Morgenandacht an:

»Sol aureus in Alveran stat Coelus semper illuminat Arx in aeternum Contra infernum Vigilat.«

Dann schlug er mit beiden Händen die große Sonnenscheibe und erhob seine Stimme:

»Verehrter Gastgeber, Reichsjunker Zerber von Mersingen auf Zwingstein, verehrte Reichsjunkerin Yasinthe von Brachenhag zu Brachentor.

Geschätzte Reichsritter Nibelwulf von Alst zu Silkwacht, Leubrecht von Vairningen zu Neu-Auenwacht, Aldur von Eichstein zu Vulpershain, Ailsa ni Rian zu Praiosborn, Irida von Gryffingk zu Parinorswacht und Madaia von Alding zu Splitterwacht.

Werte Ritter Korwin von Orkenwall zu Gramfelden, Hane von der Aue zu Ostbrisken, Gerron von Trutzenfels zu Moosbrisken und Gerwin von Hirschenweide zu Uilshof.

Ihr alle, Reichsjunker, Reichsritter oder Ritter, seid doch geeint durch eure Aufgabe: Zu schützen und zu bewachen die Brache und zu bezwingen das Übel, das aus ihr droht.

Die Gefahren der Brache werdet ihr, sofern nicht schon geschehen, in den nächsten sieben Tagen kennenlernen. Ihr werdet aufbrechen in die Brache. Ihr werdet jagen und hoffentlich nicht selber gejagt werden. Und so die Götter auf eurer Seite stehen, werdet ihr zurückkehren. Stärke werdet ihr benötigen gegen die körperlichen, aber auch die geistigen Gefahren. Doch zaget nicht. Der Götterfürst wird seine Hände schützend über euch halten denn am Ende der Dunkelheit erstrahlt stets doch wieder das Licht.

Und darum sprecht mir nach, um Mut zu finden und die Zweifel zu vertreiben:

Herr PRAIOS! In deinem Licht schreite ich, deinen Willen verkünde ich! Solange mein Herz schlägt, werde ich nicht wanken! Es SEI!«

Mit einer erneut segnenden Geste des Götterfürsten trat er dann zurück und nickte der Borongeweihten zu.



Boron


Nurinai ni Rían trat einen Schritt nach vorne und wandte sich mit weicher, aber deutlich hörbarer Stimme an die Versammelten.

»Ich will Euch ein Gleichnis erzählen«, hob sie an. »Es war einmal ein Mann, der hatte Frau und Kinder verloren, Brüder und Schwestern, Mutter und Vater. Er hatte niemanden mehr auf dem ganzen Dererund, an den er sich wenden konnte und war somit ganz allein. Voller Kummer, Leid und Schmerz kam er zu mir und berichtete von einem Traum, der ihn jede Nacht auf‘s Neue plagte – immer und immer wieder und den er, so sehr er sich auch mühte, einfach nicht verstehen konnte:

‘Ich gehe durch eine Wiese mit hohem Gras. Es ist so hoch, dass es mir bis zu meinen Knien reicht und dort, wo ich gegangen bin, habe ich deutlich sichtbare Spuren hinterlassen. Und ich sehe so wie mein ganzes Leben an mir vorbeizieht, von Beginn an:

Als ich geboren werde, da trägt stets einer der zwölf Götter mich – ich sehe zwölf Spuren im Gras. Als ich Laufen lerne, da geht stets einer hinter mir – ich sehe zwölf Spuren im Gras. Im Kindesalter, da gehen sie schützend vor mir und ich folge ihnen – ich sehe zwölf Spuren im Gras. Als ich heirate, da tanzen sie freudig mit mir – das ganze Gras wird niedergetrampelt; fortan gehen sie hinter mir und ich sehe wieder zwölf Spuren im Gras. Als meine Kinder geboren werden, da weinen sie mit mir vor Glück – das Gras ist feucht und erneut sehe ich zwölf Spuren im Gras. Die ganze Zeit sind die Zwölfe an meiner Seite, doch dann, dann als ich alles was mir Lieb und Teuer war verliere, da bin ich plötzlich allein. Ganz allein. Da ist nur noch eine Spur im hohen Gras zu sehen. Eine einzige.‘«

Sie hielt einen Moment inne: »‘Warum‘, so fragte er mich, ‘Haben sie mich verlassen, als ich sie am meisten brauchte? Warum?‘«

Nurinai machte eine Pause.

»Ich erwiderte ihm: ‘Dort, wo Du nur eine einzige Spur sehen kannst, beschirmen sie Dich - nach hinten in die Vergangenheit, nach vorne in die Zukunft, auf dass Du in der Gegenwart verweilen kannst, so lange Du es brauchst. Und ist Deine Not gar so groß, dass Du keinen einzigen Schritt mehr tun kannst, weil Dir schlicht die Kraft dazu fehlt, dann tragen sie Dich. Tragen Dich so lange und weit, bis Du wieder aus eigener Kraft gehen kannst. Schau Dir Deine Fußsohlen an und Du wirst sehen, dass dies die Wahrheit ist, denn sie sind sauber und trocken.‘«

Wieder schwieg sie einige Augenblicke, wandte sich dann aber an die Versammelten: »Vergesst auch Ihr nie, dass die Götter stets an Eurer Seite sind, ganz gleich wie groß die Schrecken und Eure Nöte da draußen auch sein werden.«

»Heilige Etilia«, rief sie die Boron-Heilige an, »erfülle uns mit Hoffnung und Zuversicht, vertreibe Zweifel und Angst und führe uns wieder aus der Brache heraus.«

Sie trat einen Schritt zurück.



Firun


Alvar von Krauzung kniete auf dem Boden und hatte ein kleines Feuer entzündet, über dem er in einem Tiegel einen braunen Sud kochte, der beißend stank. Schweigend beobachteten die Adligen jeden seiner bedächtigen Handgriffe, nicht jeder konnte einordnen, was der Firun-Geweihte gerade tat. Nach einer Weile schaute der Geweihte auf und blies kräftig in das Feuer, so dass es kurz aufflackert und verlosch. Mit einem verrußten Stück Holz rührte er die Masse noch einige Male um, bis sie langsam zähflüssiger wurde und schließlich zu einer Paste gerann. Dann wandte er sich an die wartenden Adligen.

»Der Weiße Jäger wird an diesem Tag seinen Blick auf uns richten. Diese Jagd führen wir aus in seinem Namen und ihm zu Ehren. Niemand bittet den Grimmigen um etwas, denn seine Aufgabe ist es nicht, Euch diese Jagd, die Eure Jagd ist, abzunehmen oder auch nur einfacher zu machen.. Wer sich auf die Jagd begibt, will töten. Eine Existenz auslöschen. Etwas vernichten, was vorher auf Dere wandelte. Es spielt keine Rolle, ob es sich um ein Tier handelt, dessen Tod einen Zweck für uns erfüllt, oder eine verfluchte Wesenheit, die wir zurückwerfen müssen in die Abgründe, aus denen sie entstiegen ist. Unter Seinem Blick beweist sich der Jäger. Nur darauf kommt es an.«

Mit seinem Zeigefinger tunkte Alvar von Krauzung in die Paste und ging einen Schritt auf Zerber von Mersingen zu, dem er damit einen großen Fleck auf die Stirn drückte. Nacheinander tat er dies bei jedem Teilnehmer der Jagd. Dabei sagte er:

»Dieses Mittel überdeckt Euren Körpergeruch. Es gibt genügend Dinge in der Brache, die es auf Euch abgesehen haben. Vieles wartet auf den Geruch des Lebens, um es hinterrücks ins Verderben zu reißen. Vor diesen habt Ihr nun einen gewissen Schutz. Mehr auch nicht. Scharfe Augen werden Euch verfolgen und warten, bis Ihr unachtsam seid. Scharfe Ohren werden jeden Eurer Schritte lauschen und Euch verfolgen, ohne dass Ihr sie bemerken könnt. Die Brache spürt Euch und je mehr Ihr sie reizt, desto stärker wird sie versuchen Euch zu vernichten. Und irgendwann, wenn Ihr sie nicht rechtzeitig wieder verlasst, wird sie Euch vernichten. Seid daher stets bereit abzulassen von Eurem Jagdopfer und haltet Euch einen sicheren Rückweg frei.«

Er hatte die Runde gemacht und alle Stirne mit einem Mal versehen, als er vor Korwin von Orkenwall stand und innehielt. Einen langen Moment schaute er dem Ritter von Gramfelden tief in die Augen und schien abwesend zu sein. Ein leichter Schauder lief Korwin über den Rücken. Dann aber drückte Alvar von Krauzung auch ihm ein Mal auf die Stirn. Danach jedoch beugte er sich zu Korwin und flüsterte ihm rasch ins Ohr: »Vertraut dem Schmetterling.«

Anschließend kehrte er zu den anderen beiden Geweihten zurück. Dort tauschte er den Tiegel gegen seinen Jagdbogen.

»Lassen wir die Götter entscheiden«, hob Nurinai ni Rían an, »wen sie für den Schutz über den Bund der Brachenwächter bestellen.«

»So sei es!«, bekräftigte Wilbur.

Dann nahm der kaiserliche Jagdhüter seinen Jagdbogen, zog einen langen weißen Pfeil aus seinem Köcher und ließ ihn in hohem Bogen tief hinein in die Nebel der Dämonenbrache fliegen.

»Die Jagd ist eröffnet.«





 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Koenigreich Garetien.svg   Wappen Kaisermark Gareth.svg   Wappen Kaiserlich Gerbaldsmark.svg   Wappen Brachenwaechter.svg   Wappen Junkertum Zwingstein.svg  
 Burg.svg
 
25. Bor 1042 BF 06:00:00 Uhr
Götterdienst
Tag 1


Kapitel 19

Gramfelden 25. Bor. 1042