Geschichten:Zweifelfelser Zwist – Leichenschmaus mit Leiche IV

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Wehrkloster Sankt Henrica, Baronie Zweiflingen, 4. Rondra 1040 BF:


Es klopfte an der Pforte zum Saal, und noch bevor jemand reagieren konnte öffnete sie sich. Herein traten zwei Männer, noch die leicht staubigen Reisemäntel auf den Schultern; einer mit Hut, der andere ohne. Niemand nahm sie so wirklich zur Kenntnis, war man doch zu sehr damit beschäftigt, sich mit dem Banknachbarn oder Gegenüber an der Tafel auszutauschen oder sich Speis und Trank hinzugeben. Erst als sie durch die Reihen schritte hob der ein oder andere den Kopf, was jedoch anbetrachts der Fremden meist in Kopfschütteln endete.

Leomar von Zweifelfels nahm die Neuankömmlinge nur aus den Augenwinkeln war und war schon versucht, sich anderen Dingen zuzuwenden, als er doch noch einmal genauer hinsah und schließlich seinen Augen kaum glauben mochte. Anders als die meisten anderen im Saal kannte er beide Männer. Leise pfiff er durch die Zähne. “Mit denen war nun wirklich kaum zu rechnen.”

Die Ankömmlinge blickten sich suchend um. Der Blick des Älteren blieb bei Rondriga kurz stehen, als ob er gefunden hatte was er suchte. Neben ihr saßen etwas erhöht, die Gastgeberin Abtissin Rudjahne von Sturmfels und Debreks Mutter Ehrgard von Wetterfels.

„Ehrwürden… Hochgeboren, den Göttern zum Gruße“. Der Mann mittleren Alters wandte sich an die beiden Damen. „Verzeiht unsere Ankunft zu so später Stunde; Giselbert von Streitzig ist mein Name… .“

“Schickt der Baron von Uslenried also seine Lakaien”, mischte sich Leomar lakonisch ein. Sein Namensvetter, der Sohn des gräflichen Seneschalls, wollte schon aufbrausen, doch Giselbert hielt ihn mit einer kurzen Berührung am Arm zurück.

“Das HAUS Streitzig macht Euch in dieser Stunde der Trauer durch meine Person die Aufwartung, und mein Neffe hier” - damit deutete er auf den jungen Leomar - “vertritt seinen Vater, den Seneschall der Grafschaft.” Giselbert sprach diplomatisch, aber bestimmend.

“Es hätte mich auch gewundert, wenn der Kronobrist selbst hier erschienen wäre. Aber wahrscheinlich hat er den Weg von der Front zurück ins schöne Waldstein noch nicht gefunden”, ätzte Leomar und erntete zustimmendes Gelächter der Umstehenden.

Giselbert straffte sich. “Baron Wulf ist gefallen. Vor zwei Tagen war die Grablegung des Baronspaares; ich ersuche aus diesem Grunde höflichst um Euer Verständnis, dass wir erst jetzt erscheinen.” Dabei schwenkte er seinen Blick zu Leomar von Zweifelfels und schien diesen förmlich zu durchbohren.

Das selbstsichere Grinsen des Neerbuscher Kronvogtes fiel diesem gewissermaßen aus dem Gesicht; die Gespräche ringsum verstummten und gingen alsbald in ein Tuscheln über, als sich die Nachricht durch den Raum verbreitete.

Der Baron von Aldenried hatte sich als sofortige Reaktion erhoben, neben ihm seine Frau Jalga, eine Cousine Wulfs. Der Schock stand ihr, wie auch Felan in das Gesicht geschrieben. Der Streitzig war ein Verbündeter gewesen, die Ehe des damals aufstrebenden Schallenbergers mit Jalga auch Zeichen einer Allianz, die sich auch im offiziellen Namen „Schallenberg-Streitzig“ niedergeschlagen hatte, auch wenn Felan diesen Namen selten nutzte. Zwar hatte Felan aufgrund gewisser Umstände sich mit erklärten Gegnern Wulfs, den Zweifelfelsern, arrangiert, aber blieb ihm dennoch verbunden und stellte sich ihm zur Seite, so er konnte. Wie auch damals, als Wulf auch mit Felans Hilfe zu einem der Vertreter des garetischen Marschalls wurde. Dass er jetzt tot war und dass er und vor allem seine Frau es erst so erfuhren, war für ihn schwer zu verdauen. Sein Arm hatte sich wie von selbst um seine Frau gelegt und sie in einer seltenen offen gezeigten Geste der Zuneigung an sich gezogen, während Jalga eine Träne über die Wange rann, die sie schnell mit einem Tuch fortwischte, sie aber trotzdem ansonsten Haltung bewahrte. Dass man selbst sie nicht zur Grablegung eingeladen oder wenigstens benachrichtigt hatte war umso erstaunlicher und würde sicherlich Nachfragen des Barons an die Streitzigs folgen lassen.

Es dauerte nur wenige Momente, da hatte sich Leomar wieder gefasst und seine Augen blitzen hämisch aus tief eingegrabenen Augenhöhlen auf. Wulf war tot … was für eine Nachricht ... was für eine Genugtuung. War es doch der Uslenrieder Baron, der maßgeblich an Leomars Absetzung als Grafschaftstrat beteiligt war. Er schaute sich um. Wie würden die anderen darauf reagieren? Hirschfurten, die Ochsen, der Schallenberger und nicht zuletzt Rondriga. Sie war es gewesen, die für eine Politik der Annäherung der traditionell rivalisierenden Familien eintrat und mit Wulf die Waldesdunkle Allianz schmiedete. Giselbert stand diesem Unterfangen auch nahe wie es hieß. Leomar hielt freilich gar nichts von diesem Bündnis und so hatten sich hinter ihm die Kritiker der neuen Allianz versammelt. Doch was würde nun daraus werden? Wulf war nun tot. Er blickte zu Rondriga herüber, die deutlich blasser geworden war. Sie hatten soeben einen wichtigen Verbündeten verloren und das musste ihr auch bewusst sein.

Es war die Gastgeberin Abtissin Rudjahne von Sturmfels, die sich erhob und als erstes ihre Stimme erhob.

„Hochgeboren Herrschaften, seid willkommen im Haus der Rondra. Im Namen der Geweihtenschaft der donnernden Leunin spreche ich Euch unser Beileid für Euren Verlust aus. In diesen stürmischen Zeiten gibt es wohl keine Familie, ob groß oder klein, ob verfeindet oder verbündet, die keine Opfer zu beklagen habt. Nehmt Platz an unserer Tafel und lasst uns gemeinsam unsere Toten ehren!“

Tuscheln und Geflüster setzte wieder ein, doch noch bevor sich die beiden Gäste an die Tafel platzierten, erhob Rondriga als nächste das Wort.

„Giselbert von Streitzig, habt Dank für Eure Trauerbekundung. Eurer Erscheinen hier, obwohl selber voller Trauer erfüllt, ehrt Euch! Es erscheint mir wie ein Fingerzeig der Götter, dass unsere beiden Familien, die viele Götterläufe in Rivalität, wenn nicht gar Hass gespalten, nun in Trauer vereint sind. So gedenken wir heute nicht nur meinen Bruder Debrek, sondern auch allen anderen Gefallenen die ihr Leben im Kampf gegen den Erzverräter ließen, allen voran Baron Wulf.“

Nimmgalf von Hirschfurten konnte die Nachricht von Wulfs Tod immer noch nicht glauben. Unzählige male waren sie sich auf den großen Festen des Reiches, und auch auf so mancher Tjost begegnet. Wie oft hatten sie gemeinsam im Felde gestanden? Wie oft hatten sie gemeinsam den Feinden des Reiches – sowohl den äußeren als auch den inneren die Stirn geboten? So verband sie ein freundschaftliches Band von gegenseitiger Achtung und Respekt. Sicher, sie waren auch auf gewisse Weise Rivalen gewesen im Ringen um Macht und Einfluss auf Baronsebene, und nicht immer waren sie einer Meinung gewesen, wenn es um die Politik des Königreiches ging. Doch ihn jetzt so völlig unerwartet zu verlieren änderte mit einem Schlag alles. Wer konnte schon sagen, ob es seinem Sohn jemals gelingen würde, angemessen in seine Fußstapfen zu treten? Nimmgalf senkte den Blick und sprach ein stummes Gebet zu Boron, auf dass der Totenrabe ihn und seine Gemahlin sicher in Borons Hallen geleiten möge.