Geschichten:Wir schnitzen uns eine Spielfigur

Aus GaretienWiki
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„Ja!“, rief Morena, als ihr Übungsschwert auf Marnions wattierten Oberarm klatschte. „das zeckt!“, rief sie übermütig, trat einen Schritt zurück und wischte sich die schweißnasse schwarze Locke aus der Stirn. Ihr Grinsen hatte etwas Siegesbewusstes, ihre Augen blitzten angriffslustig. „Willst du nochmal verdroschen werden?“

„Bewahre, Morena“, wiegelte Marnion mit einer sanften Geste ab. „Die Knappen denken sonst noch, ich hätte gar nichts drauf. Dabei bist du einfach besser als die meisten!“

Morena quittierte das Lob mit einem selbstbewussten Nicken. Sie war wirklich besser als die meisten. Denn sie arbeitete hart an sich. Allerdings dämmerte ihr, dass sie Marnions Herz wohl nicht gewinnen würde, wenn sie ihm immer und immer wieder blaue Flecken verpasste. Sei‘s drum. Er hatte es verdient. Immerhin tanzte er wie ein Tanzbär nach der Pfeife dieser verwöhnten Junivera. Pff!

Ein langes Gesicht betrat den Fechtplatz mit der Aura alles verwelkender Langweile: Orelbert von Eschenrod, des Hofes Seneschall.

„Domna Morena?“, fragt er mit kalkrieselnder Stimme.

„Hier bin ich“, winkte Morena ihm etwas außer Atem zu – überflüssigerweise, denn er hatte sie ja direkt angesehen.

„Domna Morena, Seine Hochwohlgeboren wünscht Euch zu sprechen. Sofort.“

„Sofort?“ Morena war alarmiert. Der Markvogt war üblicherweise höflich und korrekt und verlangte von seinen Leuten zwar vollen Einsatz, aber nicht so … plötzlich. „Ich bin ein wenig verschwitzt.“

Leuenwald wrf einen abschätzigen Blick kommentierte das Offensichtliche aber nicht. „Es wird gehen. Kommt.“

Kurz darauf trat Morena im Übungsgewand und mit am Kopf klebenden Haare, aber geröteten Wangen den Audienzsaal des Schlosses, der von der Sonne des frühen Nachmittags glänzend erhellt war. Für einen späten Tsa wirkte der Raum schon fast frühlingshaft – aber Sonnentor hatte nicht umsonst seinen Licht verheißenden Namen. Auf einer der Wartebänke neben dem Gang zur Empore saß Barnhelm von Rabenmund, ihr Dienstherr, hinter ihm einige seiner unvermeidlichen Begleiter, im Gespräch mit zwei vor ihm stehenden Gästen. Sie brauchten sich nicht umzudrehen, Morena erkannte Schwester und Bruder sofort.

Als Morena auf die Gruppe zutrat, erhob sich Barnhelm und streckte seine Hausritterin beide Hände entgegen, als wollte er ihr in der Schale seiner Hände Wasser reichen. Mit einer sehr ernsten und irgendwie majestätischen Geste fasste der Markvogt Morenas verschwitze Recht:

„Morena, Eure Geschwister sind hier, um Euch eine schlechte Nachricht zu bringen. Ich dachte, Ihr wolltet es sofort erfahren. Domna Turike?“ Rabenmund nahm eine Hand und wies einladend zu Morenas Schwester, deren sonst so strahlenden Augen gerötet waren. Auch Bospers sonst so gelangweiltes Gesicht zeigte Spuren von Tränen.

Morena machte sich von Rabenmund los. „Was ist los?“

Mutter ist gestorben“, sagte Turike, während Tränen ihre Stimme erstickten. Sie umarmte ihre Schwester. Morena versteifte sich.

„Wann?“

„Gestern“, antwortete Bosper. „ich war noch am Abend zuvor auf Herzgrund gewesen. Da beklagte sie sich über Mattigkeit und Schwindel. Nachts dann hat sie wohl geschrien und um sich geschlagen. Die Diener haben einen Medicus gerufen, doch nachts hat sich keiner nach Meilersgrund getraut. Am Morgen dann war zu spät. Der Medicus meinte, es sei ein Blutsturz gewesen. Oder sie hat etwas Falsches gegessen. Jedenfalls … Wir haben sie in den Boron-Tempel von Gareth bringen lassen, wo sie für die Beisetzung vorbereitet wird. Der Rat der Stadt hat die Beisetzung in der Ahnenmauer auf dem Gut verboten, wie du weißt, weshalb sie auf dem Boron-Anger bestattet werden wird.“

Morena hörte gar nicht richtig zu. Die Nachricht hatte sie vollkommen überrascht, mit dem Tod der Mutter hatte sie noch lange nicht gerechnet. Das Verhältnis der beiden war nicht gut gewesen, denn Morena hatte es stets als erbärmlich bezeichnet, dass ihre Mutter sich damit abgefunden hatte, Mieten zu kassieren und Marktrechte zu überwachen. Morena hatte mehr vor im Leben. Turike – die war wie die Mutter, aber Morena? Sie wollte höher hinaus, wollte sich beweisen, wollte sich eine Stellung und ein Amt erobern. Und nun? Nun erbte sie Herzgrund … Es fühlte sich an, als müsste sie sich gleich in den Schatten der Ahnenmauer legen und den Rest ihres Lebens begraben.

„Morena?“, fragte Turike mit tränenverschmiertem Blick. „Du musst unbedingt nach Herzgrund kommen, um die Angelegenheiten zu regeln.“

„Alles hängt ja jetzt von dir ab, Morena, du bist die Erbin“, setzte Bosper nach.

„Scheiße“, sagte Morena und meinte es auch. „Scheiße, Scheiße, Scheiße! Wieso? Ich kann nicht! Ich kann hier nicht weg!“ Sie drehte sich hilfesuchend zu Rabenmund um. „Hochwohlgeboren?“

„Ihr müsst tun, was Ihr tun müsst, Morena“, riet Rabenmund mit sonorem Timbre. Morena ließ den Kopf hängen, ein Fluch auf ihre Mutter lag ihr auf der Zunge, als Rabenmund fortfuhr: „Dazu gehört, Eure Mutter zu ehren und Euren teil beizutragen, um ihrer Seele die Reise über das Nirgendmeer und die Ankunft in den Zwölfgöttlichen Paradiesen zu erleichtern. Betet, opfert. das müsst Ihr tun, und ich stelle Euch hierfür selbstverständlich frei.“ Rabenmund machte ein Kunstpause. „Erben hingegen müsst Ihr nicht.“

Die Köpfe der Geschwister ruckten gleichzeitig nach oben und starrten den Markvogt an.

„Wie? Ich bin nun mal die Erbin …“ Morena wirkte ein wenig hilflos – ein seltener Anblick.

„Nur, wenn Ihr das Erbe antreten wollt. Ihr könnt es auch ausschlagen, um einem jüngeren Geschwister Herzgrund zu überlassen.“ Wieder legte er ein Kunstpause ein. „Das tätet Ihr freilich nicht ohne Grund. Und für die Stellung als Hausritterin an einem kleinen Grafenhof schon einmal gar nicht.“

„Natürlich nicht“, pflichtete Bosper dem Markvogt bei.

„Aber vielleicht gibt es ja andere Positionen oder Lehen, die eine solche Entscheidung rechtfertigen würden? Immerhin seid ihr eigentlich auch schon lange genug Ritterin an meinem Hof gewesen und habt Euch die Sporen verdeint.“ Rabenmunds Stimme hatte etwas sehr Verführerisches angenommen. „Hättet Ihr denn überhaupt Interesse an einer solchen Konstellation?“

Während es hinter Morenas Gesicht gut sichtbar arbeitete, leckte sich Turike unbewusst die Lippen: Hier bot sich auf einmal die Chance auf ein Lehen und ein gesichertes Auskommen für sich und ihre Kinder – nachdem ihr Gatte mit seinem Anspruch auf das Junkertum Fuchswalden vorerst gescheitert war und seiner Mutter den Vortritt lassen musste.

„Ich …“, Morena getraute sich nicht, das Offensichtlich auszusprechen. Aber die Anwesenden kannten sie gut genug, um zu wissen, wohin ihr Ehrgeiz sie trieb.

„Was hätten wir denn derzeit?“, fragte Rabenmund hinter sich. Grothan Spalotin beugte sich vor. „Zwei Pfalzgrafschaften sind vakant.“

Rabenmund schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Außerdem stehen hinter beiden Erben, die nicht zu verachten sind. Aber diese Erben, wenn sie erben, sind jung und unerfahren. Vielleicht könnte unsere gute Morena hier einen wichtigen Part übernehmen?“

„Ei, gewiss, Hochwohlgeboren“, eilte sich Spalotin, „wir hatten unlängst über diesen Leckerbissen im Schlundgau gesprochen. Eine einträgliche Vogtei, Junkersrang, nah am Pfalzgrafenstuhl.“

„Wie klingt das?“, wandte sich Rabenmund wider an Morena. Die zögerte. „Na, entscheidet nicht gleich, besprecht Euch mit Euren Geschwistern. Rathsamsberge läuft Euch ja nicht weg.“ Dass Rabenmund den Namen des Lehens im Kopf hatte, bewies, dass der Dialog mit seinem Secretär Teil einer Inszenierung war, die aber die Herzgrundes nicht durchschauten. „Wir gehen dann mal. mein Beileid Euch Kindern.“

Die Kinder der verstorbenen Elida steckten drinnen die Köpfe zusammen, während Rabenmund draußen im Korridor zu seinem Secretär sagte: „E war gut, dass vor den beiden Geschwistern zu machen, Spalotin. Die werden jetzt ihre Interessen am Gut der Mutter abwägen und Morena zureden, in den Schlundgau zu gehen. Und Morena giert schon lange genug nach mehr, das ist offensichtlich. Sie wird eine herrliche Spielfigur auf dem Schlundgauer Spielbett abgeben! Gierig, gerissen, eifersüchtig – aber dennoch dankbar und ganz mein.“

Spalotin kicherte.