Geschichten:Wechselbad der Gefühle

Aus GaretienWiki
Version vom 27. Januar 2020, 23:27 Uhr von Wallbrord (D | B)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Siegerain von Bregelsaum-Berg hatte einen Ausritt hinaus in die Umlande von Burg Barbenwehr unternommen, um, wie er sagte, ‚den Kopf freizukriegen‘. Doch war es weniger die Arbeit, die den Hauptmann plagte, sondern – wieder einmal – das liebe Geld. Mit für ihn ungewohnter Disziplin und Beharrlichkeit hatte er seine Einkünfte aus Sold und Unterschlagungen so weit als möglich zusammengehalten und dabei auch mehr als einen Streit mit seiner verschwendungssüchtigen Gattin Olberthe ausgefochten, die für seine „Knauserigkeit“, kein Verständnis aufzubringen imstande war. Eigentlich hatte der nach außen hin so schneidig auftretende Offizier vorgehabt, mit diesen Ersparnissen zumindest die meisten seiner nicht gerade unbeträchtlichen Schulden zurückzuzahlen, doch erst gestern hatte ihm schon zum dritten Male einer seiner Gläubiger mitgeteilt, dass er bereits sein Geld erhalten und den entsprechenden Schuldschein daher weitergegeben habe. Trotz aller Bemühungen konnte oder wollte niemand Siegerain verraten, wer diese mysteriöse Person war, die sich so für ihn und seine finanziellen Angelegenheiten interessierte. Gemeldet hatte sie sich jedenfalls bisher nicht bei ihm, aber das war vermutlich nur eine Frage der Zeit, ging es dem Hauptmann mit sichtlichem Unbehagen durch den Kopf – ebenso wie die Frage, was dieses Individuum mit dem Aufkauf seiner Schuldscheine überhaupt bezweckte.
Zurück auf der Burg kam bereits einer der dort diensttuenden Soldaten, der anscheinend nur auf seine Ankunft gewartet hatte, auf ihn zugerannt.

„Herr Hauptmann, es ist-“

„-mir egal.“, unterbrach, Siegerain den Mann schroff. „Ich bin gerade erst angekommen und noch nicht mal abgesessen. Was kann denn so dringend sein, dass es nicht warten kann, bis ich mich frischgemacht habe und wieder in meinem Arbeitszimmer hinter meinem Schreibtisch sitze?“

„Äh, weil dort ein Leutnant im Auftrag des Heermeisters auf euch wartet?!“, versuchte es der Soldat nochmal, diesmal mit einem Anflug von Sarkasmus in seiner Stimme, konnte er seinen arroganten Vorgesetzten doch leiden wie die Schmerzen in seinem kaputten Backenzahn.

„Gut. Danke für die Nachricht, weggetreten.“, antwortete Siegerain knapp, während er vom Pferd stieg. Innerlich angespannt begab er sich in den Palas, um sich mit seinem unerwarteten Besucher zu treffen. Was mochte der Heermeister nur von ihm wollen? Die Antwort auf diese Frage kam dem Hauptmann jedoch schnell in den Sinn: Anscheinend hatte dieser von seiner ‚kreativen Buchführung‘ erfahren und will ihn nun mittels eines Emissärs zwingen, seinen Abschied zu nehmen, um einen Skandal zu vermeiden. Fieberhaft überlegte Siegerain, wo er den entscheidenden Fehler gemacht hatte, ohne dabei zu einem Ergebnis zu kommen. Als er die Tür zu seinem Zimmer erreicht hatte, musste der Hauptmann unwillkürlich schlucken. Das war es also! Wenn schon ein Abgang, dann einer mit Stil, dachte er sich und strich seinen Wappenrock glatt, bevor er die Tür öffnete und die Kammer betrat.
Sein ‚Gast‘ stand derweil mit hinter dem Rücken verschränkten Händen am offenen Fenster und ließ seinen Blick über die herrliche Landschaft schweifen. Erst einige Augenblicke nach der Ankunft des Hauptmanns wandte sich der Mann langsam vom Fenster ab und mit ernster Miene dem eigentlichen ‚Herrn‘ dieses Zimmers zu.
„Hauptmann Siegerain von Bregelsaum-Berg?“ Die Frage klang mehr wie eine Feststellung.

Der Angesprochene nickte nur kurz zur Bestätigung. Nach großen Reden stand ihm nicht der Sinn; ebenso wenig wie nach einer Zurechtweisung dieses Kerls wegen seines impertinenten Verhaltens einem Höherrangigen gegenüber. Das alles war nun offensichtlich nicht länger von Belang.

„Ich bin Leutnant Frankwart von Stitencron und komme auf direkten Befehl seiner Exzellenz, des Heermeisters Baron Zivko von Zackenberg, um euch dies hier persönlich zu übergeben.“ Mit diesen Worten hielt er dem Hauptmann eine versiegelte Dokumentenrolle entgegen. „Des Weiteren sollt ihr euch innerhalb der nächsten Woche bei ihm persönlich melden.“

„Ich verstehe“, antwortete Siegerain schicksalsergeben und mit unbewusst gesenktem Blick, was sein Gegenüber sichtlich zu irritieren schien.

„Äh, das ist gut.“ Nun war es an dem Leutnant, verwundert zu sein. „Meine Aufgabe ist nunmehr erfüllt, daher bitte ich darum, mich entfernen zu dürfen.“

„Gewiss, gewiss.“ Mit einem nachlässigen Gruß und ohne den Blick von der Dokumentenrolle abzuwenden, entließ Siegerain seinen Gast, schloss die Tür und genehmigte sich erst einmal einen Becher Wein, welchen er in einem Zug leerte.
Mit steinerner Miene nahm er an seinem Tisch Platz, öffnete die Dokumentenrolle und las das darin befindliche Dokument.
Und brach dann in schallendes, fast schon irre zu nennendes Gelächter aus, das selbst unten auf dem Burghof zu hören war.


Trenner Perricum.svg



Das Gespräch beim Heermeister war für den nun wieder zu seiner alten Selbstsicherheit gefundenen Siegerain äußerst angenehm verlaufen, auch wenn er sich auf manche Aussagen Zivkos keinen Reim machen konnte. Aber wer fragte schon nach den Gründen, wenn er in den höchsten Tönen gelobt wurde?
Den Nachmittag verbrachte der Offizier in einer der besten Lokalitäten Perricums. Ihm war zur Feier des Tages nach einem exquisiten Essen in ebenso exquisiter Umgebung.

„Meinen Glückwunsch zu eurer Beförderung, Siegerain. Ich hoffe, der Schmorbraten ist nach eurem Geschmack?“

Dieser stutzte kurz, als er seinen Gast erkannte. Was wollte denn diese alte Vettel von ihm?
Noch bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte sich die Frau kommentarlos zu ihm an den Tisch gesetzt.

„Danke. Und ja, der Braten ist vorzüglich, werte Frau von Hauberach“, antwortete Siegerain leicht verdrießlich. „Sonst noch etwas?“, setzte er leicht gereizt hinzu, sich daran erinnernd, wie sie und ihr ebenso verknöcherter Gemahl sie vor Jahren aus Vellberg mehr oder weniger hinausgeworfen hatten.

„Im Moment nicht, danke der Nachfrage. Wirt, bringt mir einen eures vortrefflichen Roten. Ich bin lediglich gekommen, um meine, nun ja, Investition einmal näher in Augenschein zu nehmen.“, schloss Fredegard mit samtener Stimme und einem fast schon warmherzigen Lächeln.

Bei ihrem letzten Satz verschluckte sich Siegerain an seinem Wein, was einen Hustenanfall zur Folge hatte, dessen Ende sein ungebetener Gast geduldig abwartete.
„Investition?! Ich muss doch bitten!“

„Ihr müsst mich um gar nichts bitten, mein Bester. Naja, vielleicht um Diskretion, wenn man es genau nimmt. Auch wenn ich in der Jurisprudenz nicht allzu bewandert bin, so glaube ich nicht, dass die Art, wie ihr eure Einkünfte aufbessert, unbedingt vor dem praiosgefälligen Recht bestehen kann. Und schon gar nicht vor dem gestrengen Auge Baron Zivkos.“

„Das sind Verleumdungen, haltlose-“

„Jaja. schon gut. Überspringen wir am besten den Teil, in dem ihr entrüstet protestiert; dafür dürfte unser beider Zeit zu schade sein. Den Heermeister wird es dann sicher auch nicht interessieren, dass einer seiner Offiziere mit seiner furchtbaren Gattin einen Lebensstil führt, der seine Einkünfte weit übersteigt, insbesondere, wenn diese nur aus dem kärglichen Sold eines Hauptmanns bestehen. Und der Sold eines Obristen soll, wie man hört, auch nicht so üppig sein. Oder liege ich mit alledem falsch?“

Siegerain erbleichte und starrte sein Gegenüber mit offenem Mund entsetzt an.

„Ihr könnt euren Mund schließen, Oberst. Kein gutes Betragen gegenüber einer Dame, möchte ich hinzufügen. Und zurück zum Stichwort ‚Investition‘ – ah, der Wein! Auf euer Wohl. Hmm, exzellent! Ah, wo war ich: Ach ja bei meiner Investition, also bei euch. Ihr könnt unbesorgt sein. Mir sind eure Machenschaften herzlich egal, auch wenn diese den Eindruck, den mein seliger Gatte und ich während eurer Zeit in Vellberg von euch gewannen, leider bestätigen. Aber ich schweife ab.
Von Zeit zu Zeit werde ich euch wahrscheinlich um den einen oder anderen kleineren Gefallen ersuchen, die ihr, galant, wie ihr seid, einer Dame nicht abschlagen werdet. Nicht alle meine bescheidenen Bitten werden für euch einen Sinn ergeben, aber das ist auch nicht erforderlich, lediglich deren Erfüllung.

„Ihr wollt mich erpressen? Und das allein aufgrund einiger verleumderischen Behauptungen hin? Ihr überschätzt euch. Mag sein, dass ich dem Heermeister dann einige unangenehme Fragen zu beantworten hätte, aber glaubt ihr wirklich, er würde mich allein deswegen entlassen oder gar vor Gericht stellen lassen?“
Siegerain hatte sein anfängliches Entsetzen überwunden und wähnte sich nun wieder obenauf.

„Gut gebrüllt, mein Junge. Aber deine Naivität, zu glauben, ich träte mit leeren Händen an dich heran, hat schon etwas erfrischend Drolliges.“ Mit diesen Worten entnahm sie ihrer Tasche ein Dokument und schob es kommentarlos ihrem Gegenüber zu.

Dieser war kurz davor, sich über die unangemessene vertrauliche Anrede Fredegards zu echauffieren, nur um nach dem Entfalten des Schreibens die Altbaronin erneut mit offenem Mund anzustarren. Das war einer seiner Schuldscheine!

„Du solltet endlich mal etwas gegen diese Unart unternehmen. So benimmt man sich nicht bei Tisch. Meinen Kindern hatte ich derlei Verhaltensweisen schon früh ausgetrieben“, erwiderte die Adlige ungerührt.

Siegerain sackte nun innerlich wie äußerlich in sich zusammen. „Das ist also die Investition, von der ihr vorhin spracht.“ stellte er lapidar fest.

„Nicht ganz. Das war eigentlich sogar nur der einfachere Teil. Hast Du nie darüber nachgedacht, wieso man dich überhaupt als Hauptmann ins Heer aufgenommen hatte? Und warum du gestern, für alle völlig überraschend, über die Köpfe vieler dienstälterer Hauptleute hinweg zum Oberst befördert wurdest? Das zu arrangieren war gelinde gesagt nicht ganz so trivial – dafür allerdings billiger – wie das Aufkaufen deiner Schuldscheine. So, jetzt muss ich aber weiter. So viele Verpflichtungen und so wenig Zeit ...
Du kannst den Schuldschein übrigens behalten; betrachte ihn als Vertrauensvorschuss für eine hoffentlich für alle Seiten gedeihliche Zusammenarbeit. Oh, und lass´ dein Essen nicht völlig kalt werden, sonst verliert der Braten sein Aroma.“

Mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen verließ Fredegard das Gasthaus, während Siegerain völlig konsterniert nun einen ganzen Krug Wein für sich bestellte.