Geschichten:Waldfriede und der Inquisitor - Pilz am Abend

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Dorf Brückstetten, 1036 BF

„Wünscht ihr noch etwas zu Abend zu essen, Hochwürden? Die Köchin hat eine hervorragende Suppe gekocht.“

„Nein, bring mir nur Wasser und etwas Brot.“

Ich werde es euch heraufbringen. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?“

„Ja. Sagt den Leuten, dass ich bei Sonnenaufgang eine Andacht halten werde.“ Der Inquisitor nahm die Kerze aus der Hand des Bediensteten und schloss die Tür zu der kargen Kammer im Brückstettener Gutshaus, die er sich zum Nachtquartier erwählt hatte. Das spärliche Licht fiel auf ein Bett samt Strohsack als Matratze, einen kleinen Tisch mit einem Stuhl und die beiden Reisetruhen in der Ecke. Er stellte die Kerze auf den Tisch und legte den Stapel von Protokollen des ersten Befragungstages daneben. Von draußen drang mit der lauen Nachtluft der Gesang einer Nachtigall herein und für eine Weile trat der kalte Ketzerhirte ans geöffnete Fenster und lauschte still ihrer Weise. Dann klopfte es und der alte Knecht brachte einen Teller mit Brot und einen Wasserkrug samt Becher. In Ermangelung eines Platzes auf dem Tischchen stellte er beides ohne weiter zu fragen auf den Stuhl.

„Wenn ihr noch etwas braucht, Hochwürden, ich schlafe in der Kammer neben der Treppe.“

Spangenberg nickte nur und der Mann verließ sein Gemach. Nachdem der Inquisitor sein karges Nachtmahl vertilgt, einen letzten Blick auf die Protokolle geworfen und ein Nachtgebet gesprochen hatte, entkleidete er sich bis auf das härene Hemd, das er unter seiner weiten Robe trug und ging zu Bett.

Waldfriede war dem Spangenberg den ganzen Tag über unauffällig gefolgt und hatte ihn beobachtet, wie er ohne Pause nacheinander mit jedem einzelnen der Leute vom Hof redete und ihnen viele Fragen stellte. Der Angstschweiß hatte die Furcht der Leute, die ihm gegenüber standen und auf seine Fragen antworteten, antworten mussten, ruchbar gemacht – ein strenger Duft, der Waldfriede nicht behagte. Noch weniger aber hatte ihr die mit breiten Eisenbändern umfangene Truhe gefallen, die den wachhabenden Bannstrahlerleuten als Sitzmöbel im Eingangsflur des Herrenhauses diente. Waldfriede spürte, dass ihre Kinderchen dort drin eingesperrt sein mussten, doch gab es dort einfach kein unbemerktes Herankommen. Denn selbst zu dieser nachtschlafenden Zeit waren zwei der weißgewandeten Menschen dort und gaben Obacht. Darum hatte sie beschlossen, den Inquisitor alleine abzupassen: Der war schon älter und nicht schnell genug sie einzufangen und mit in die Truhe sperren zu lassen, bevor sie erklären und ihm den Beweispilz überreichen konnte.

Als der Diener das Essen gebracht hatte, war sie unbemerkt mit in die Kammer gehuscht und hatte in der dunkelsten Ecke hinter dem Bett verborgen gewartet, bis der Mann sich niedergelegt hatte. Erst dann kam sie aus ihrem Versteck hervor und trat in die Mitte des Zimmers. Sie verneigte sich, wie sie es bei den anderen Leuten gesehen hatte und sprach so langsam wie sie konnte, damit der Große sie auch verstand: „Guten Abend.“ Zugleich schielte sie zu dem offenen Fenster; falls etwas schiefging, musste sie dorthinaus flüchten.

Für einen Moment stand dem Mann die Überraschung über ihr plötzliches Erscheinen ins Gesicht geschrieben, doch schnell bekam er seine von Askese zerfurchten Züge wieder in den Griff. Er richtete sich auf und musterte sie eindringlich: „Das ist höchst interessant. Meine Untergebenen berichteten mir, dass sich noch mehr von eurer Sorte hier herumtreiben. Du hast sicher einen Grund, hier aufzutauchen.“

„Ich will mit dir tauschen.“

„Tauschen? Mit mir? Was denn?“

Waldfriede kramte den duftenden Pilz aus ihrer Tasche und hielt ihn hoch ins Kerzenlicht: „Ich gebe dir einen Beweispilz. Es gibt noch mehr, aber ein paar sind kaputtgegangen, als ich drauf gefallen bin. Dafür will ich meine Kinderchen wieder haben.“

Das Gesicht des Mannes nahm schlagartig Totenblässe an und während seine Hände zitternd nach der Bettdecke griffen, presste der Inquisitor mühsam hervor: „Das sind deine Kinder in der Truhe? Es tut mir leid, aber…Praios hilf!“

Mit einem Schwung warf er die Bettdecke über Waldfriede und stürzte hinterher, um sie darunter festzuhalten. Waldfriede bemerkte entsetzt, dass ihre Kraft sie aus irgendeinem Grund schlagartig verlassen hatte und sie nicht auf das Fensterbrett gelangen konnte. Sie zappelte und strampelte wie wild, um sich von der Decke zu befreien, doch vergeblich. Sie wurde auf den Boden gedrückt und meinte, vom Gewicht des auf ihr liegenden Menschen zerquetscht zu werden. Doch auf einmal ertönte eine fremde Stimme: „Verzeiht, Hochwürden, ich dachte Ihr… Ihr hättet gerufen.“

Der Druck ließ nach und sofort verdoppelte Waldfriede ihre Anstrengungen, endlich freizukommen.

„Was? Nein… das heißt… Ich habe hier eine Boldin!“, hörte sie den Inquisitor sagen. „Die wollte mir einen Rattenpilz übergeben. Einen Rattenpilz!“ Dann fühlte sich Waldfriede, in die Decke eingeschlagen wie sie war, nach oben gerissen.

„Noch eine dieser Kreaturen? Soll ich sie mit in die Truhe zu den anderen sperren, Hochwürden?“

„Zuerst müssen wir den Pilz sicherstellen. Er muss sofort im Feuer vernichtet werden, hast du mich verstanden? Und keiner darf ihn mit bloßen Händen berühren!“

„Aber warum denn nicht?“

„Was soll diese Frage?! Es ist ein Instrument des Namenlosen, Verwirrung und Unglauben in den Herzen der Gläubigen zu stiften und eine tödliche Bedrohung für alle aufrechten Diener der Zwölfe!“

„Wirklich? Wie wirkt er denn?“

Waldfriede fühlte sich leicht hin und her geschaukelt.„Er verbreitet die Seuche des Namenlosen, die Zorgan-Pocken.“

„Aber dafür riecht er ziemlich lecker, finde ich. Übrigens, ich habe ihn gerade aufgehoben. Hier ist er.“

„Um der Götter Willen! Hast du nicht verstanden, was ich gesagt habe?“

„Oh, ich verstehe sogar sehr gut“, ein belustigtes Kichern erklang. „Wisst ihr eigentlich, Hohlwürden, was für eine Suppe die Köchin zum Abendessen gekocht hat? – Pilzsuppe!“ Das Kichern wandelte sich zu einem irren Lachen, um plötzlich abzubrechen. Dann zischte die Stimme giftig: „Friss Pilz, Spangenberg!“

Mitsamt der Decke wurde Waldfriede durch die Luft gewirbelt und landete auf dem Bett. Im Nu wickelte sie sich aus dem schweren Stoff heraus und versuchte, sich zu orientieren. Doch das war leichter gesagt als getan, da die beiden miteinander ringenden Menschen durch die Kammer taumelten. Tisch und Stuhl wurden in dem hitzigen Kampf umgeworfen und die Protokollpapiere flatterten wie ein aufgescheuchter Schwarm Spatzen durch die Gegend, wobei die ersten von ihnen durch die über den Boden rollende Kerze in Brand gesteckt wurden. Waldfriede erkannte den Mann, der mit dem Inquisitor kämpfte. Es war der alte Stallknecht, der im Flackern des aufkeimenden Feuers gar nicht mehr so hinfällig aussah, wie noch am Morgen und vorhin, als er dem Inquisitor das Essen gebracht hatte. Um beide herum züngelten die Flammen über den Boden und leckten gierig an den hölzernen Möbeln; gleich würde auch die Matratze in Flammen aufgehen. Wenn das ganze Haus brannte, waren ihre Kinderchen hoffnungslos verloren! Kurzentschlossen warf sich Waldfriede gegen den neben dem Bett stehenden Wasserkrug, der wie durch ein Wunder noch nicht zu Bruch gegangen war und kippte ihn um. Das Wasser zischte und verdampfte, als es sich in den aufflackernden Brand ergoss, doch vergeblich. Dampf, Qualm verschluckten die Kammer.

Durch die Schwaden und durch ihre vom Rauch tränenden Augen erkannte Waldfriede, dass es dem Angreifer gelungen war, den Inquisitor gegen die Wand zu drücken. Der wiederum versuchte vor allem, die Faust des anderen abzuwehren, in der dieser einen der unheilbringenden Pilze hielt. Dann traf sie eine Entscheidung und gleich darauf der nun leere Wasserkrug den Stallknecht am Hinterkopf. Der brach unter den regnenden Scherben zusammen wie ein nasser Sack; der Pilz entglitt seinen Fingern und rollte unter das Bett. Hustend und um Atem ringend stolperte der Inquisitor aus dem Raum. Anstatt ihm zu folgen, taumelte Waldfriede zum Fenster und zog sich irgendwie auf das Fensterbrett hinauf. Ein Blick von dort, und gleich würde sie drüben auf dem Stalldach stehen.

Dann fiel ihr ein, dass sie den zweiten Pilz aus der Rattenhöhle immer noch in ihrer Tasche hatte. Was hatte der rote Mann gesagt? Das duftende Ding wäre gefährlich und müsse verbrannt werden? Sie kramte in ihrer Tasche und warf das purpurn funkelnde Gewächs hinter sich in die auflodernden Flammen. Dabei erfasste Waldfriede ein Schwindel von ungeahnter Heftigkeit. Sie tastete suchend nach einem Halt, griff ins Leere – und fiel.


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1036 BF zur nächtlichen Ingerimmstunde
Pilz am Abend
Ratte am Mittag


Kapitel 3

Brand um Mitternacht
Autor: Steinfelde