Geschichten:Vulpershain - ein erster Eindruck

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Ritterherrschaft Vulpershain, Ende Rondra 1042 BF

Am Morgen nach dem Bankett waren Aldur und sein Bruder Wilbur aufgebrochen. Nach den Feierlichkeiten gestern wurde es nun Zeit, selber einen Fuß in das neue Lehen zu setzen.

“Nun, hoher Herr Reichsritter, wohin wird ER seine Schritte als erstes lenken? Wird ER eine Audienz für sein Volk geben? Oder zieht ER es vor, zuerst den Palast zu inspizieren, in dem ER zukünftig residieren wird?” tritzte ihn sein Bruder, als sie das Kloster Ridhausen passierten.

Von hier aus waren es nur noch wenige Augenblicke, bis sie das Gebiet des Lehens erreichen würden, die Reise selbst hatte jedoch länger gedauert als gedacht. Die Straße von Weyring aus verlief geradewegs durch das Lehen und führte gen Praios in das angrenzende Junkertum Brachental. Die Herrschaft Vulpershain war aus diesem ausgelöst worden. Die Brachenwächter, zu denen er nun gehörte, sollten nach den neuerlichen Meldungen aus der Brache Wachposten beziehen. Dazu waren verschiedene Ritterschaften vergeben worden. Nach dem, was Aldur am Morgen noch von den Schreibern gehört hatte, war die Junkerin von Brachental über die Verkleinerung ihres Lehens alles andere als erfreut.

“Wenn der Klerus in meinen Landen solcherlei Reden schwingt, dann werden WIR uns möglicherweise dazu gezwungen sehen, solcherlei Volk aus UNSEREN Landen zu verweisen. Veranlasst UNS nicht, dies als UNSERE erste Amtshandlung anweisen zu müssen”, antwortete Aldur trocken auf die Neckerei seines Bruders, darauf mussten beide grinsen.

Allzu große Sprünge würde er nicht machen können, eine Ritterherrschaft im Mittelreich war eben kein horasisches Baronsgut. Aber es würde sicher reichen, denn die Lande rund um Gareth, waren fruchtbar und wohlhabend. Kein Vergleich zu den eher ärmlichen und kargen Lehen im Wengenholmschen oder zu einigen Gebieten im Osten, von denen der Adelige, der auf ihnen lebte, kaum leben konnte. Das war hier, im Herzen Garetiens, sicherlich anders.

In der neu geschaffenen Herrschaft Vulpershain gab es insgesamt 90 Untertanen. Der größte Teil von diesen lebte in einem kleinen Weiler mit Namen Sumerau, der sehr zentral an der Straße von Weyring nach Grambusch lag. Die kleine Ansiedlung umfasste mehrere größere und kleinere Bauernhöfe und dazu ein paar wenige Handwerker und andere, kleine Häuschen. Bei dem Weiler handelte es sich um ein typisches Streudorf, die Höfe und Häuser lagen verteilt um den zentralen Dorfplatz herum, waren aber nicht von einer Palisade oder ähnlichem geschützt. Ein für die Region üblicher Schrein des Praios versprach jedoch Schutz gegen die Schrecken der Brache. Aus Verteidigersicht ein Albtraum.

Ebenfalls hier, auf einer kleinen Anhöhe am Rande des Dorfes, lag auch der verfallene Turm, der früher einem hier ansäßigen Rittergeschlecht gehörte. Nach dem, was Wilbur und er bei der Besichtigung sahen, war der Sockel noch ziemlich intakt, auch das darüberliegende Stockwerk taugte noch einigermaßen. Der Rest jedoch machte definitiv einiges an Arbeit notwendig - die Wände mussten ausgebessert und ergänzt werden, das Dach fehlte natürlich gänzlich und auch von den Nebengebäuden war kaum noch etwas übrig geblieben. Wenn er zusammen mit seinem Bruder hier leben und eventuell auch Platz für ein oder zwei Gäste haben wollte, dann musste er zumindest den Turm in Angriff nehmen. Ein Wirtschaftsgebäude wäre sicher auch nicht schlecht und auch die Pferde mussten vernünftig untergestellt werden. Da der Weiler selbst über keine Palisade oder ähnliches verfügte, wäre sicher auch eine Wehrmauer sinnvoll. Dann könnten im Falle eines größeren Übergriffs aus der Dämonenbrache die Bewohner des Weilers dort engen, aber halbwegs sicheren Unterschlupf finden. Erfreulicherweise war die Anhöhe, auf der der Turm stand, groß genug und erforderte keine größeren Erdbewegungen. Ebenso erfreut waren die beiden, als sie im Sockel auf einen Brunnen stießen, der tatsächlich noch nutzbar war. Für den Rest der Bauarbeiten würden sie jedoch einiges an Gold benötigen. Für die Brachenritter waren allerdings großzügige Mittel durch die Metropole selbst und das Königreich Garetien in Aussicht gestellt worden. Und das war auch notwendig, sonst würde es sicher deutlich länger brauchen, um die gewünschte starke und feste Wacht gegen die Schrecken der Dämonenbrache zu erzielen.

Außer dem Weiler gab es zwei Hofstellen. Die größere von beiden, Vulpershof, lag praioswärts des für die Herrschaft namensgebenden Vulpershains an der Vulper und umfasste neben dem großen Bauernhaus einige Nebengebäude. Auf dem Hof und den dazugehörigen Nebengebäuden lebten insgesamt 15 Seelen, der Hof warf sehr gute Abgaben ab und die Bewohner galten als wohlhabend. Daher gab es auch einige Neider unter den Bauern in Sumerau.

Der Sonnenhof, die kleinere Hofstelle gen Praios, gelegen nahe der Brache, sah weniger rosig aus. Der kleine Hof war Heimstatt für fünf Seelen und längst nicht so ertragreich. Die Situation hatte sich zwar in den letzten Jahren etwas gebessert. Doch war die Familie vor wenigen Monaten von einem Unglück überschattet, denn der zweitälteste Sohn war in der Brache gestorben. Gerüchte wollen nicht verstummen, dass er dort gewaltsam gestorben, einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei.

Das restliche Land war, wie für die Region üblich, größtenteils gut genutztes Kulturland. Der überwiegende Teil der Äcker wurde für den Getreideanbau genutzt, sanft wiegten sich die goldenen Halme im leichten Sommerwind. Saftige Wiesen, dazu vor Früchten strotzende Obsthaine, die um die Ansiedlungen herum verteilt waren, vervollständigten das Bild der “Goldenen Au”, wie die Region auch genannt wurde. Die einzelnen Felder und Wiesen waren, wie es hier üblich war, oft durch Bruchsteinmauern abgetrennt. Bei diesen fiel auf, dass sie zur Brache hin höher wurden. Alles in allem wohl eine gute Ausgangsbasis für ein Lehen.

Einzig in Richtung der Brache nahmen die Felder und Wiesen ab, denn niemand wollte diesem Gebiet zu nahe kommen. Das Lehen ging an den Rändern zur Brache in teils morastige Heide und dunklen, abweisend wirkenden Wald über. Als die beiden Brüder am späten Nachmittag am Rand der Brache entlangritten, hatten sie selbst ein ungutes, ein mulmiges Gefühl.

“Und, was meinst du, Bruderherz? Bleiben wir hier?” fragte Wilbur schließlich am frühen Abend, als sie ihre Pferde wieder in Richtung des Weilers antrieben. Noch war es hell, doch schon bald würde die Praiosscheibe hinter dem Horizont verschwinden und dann wollten sie nicht mehr in direkter Nähe zur Brache unterwegs sein.

Aldur hielt einen Augenblick inne, bevor er antwortete: “Warum nicht? Anderswo stirbt es sich sicher auch nicht schlechter als hier. Wir werden vorerst beim Dorfschulzen Quartier beziehen.”

Von diesem wurden sie kurze Zeit später betont höflich empfangen. Doch auch wenn sich der Schulze oberflächlich um Herzlichkeit und Gastfreundschaft bemühte spürten die beiden Brüder eine große Distanz. Eine weitere Baustelle in dem Bemühen, hier Fuß zu fassen.

Schließlich saßen die beiden Brüder nachdenklich gemeinsam am Tisch, nachdem ihnen der Wirt ein deftiges und reichliches Abendmahl bereitet hatte. “Welchen Eindruck hast du denn von dem Ganzen?” fragte Aldur schließlich.

Wilbur wiegte sacht den Kopf. “Alles in allem hast du es ganz gut getroffen, denke ich. Das Lehen an sich wirkt ganz ordentlich und so, als ob man ganz gut davon leben und auch noch ein paar weitere Personen mit durchfüttern könnte. Was sich dahinter verbirgt, werden wir in den nächsten Tagen sehen. Die Nähe zur Brache ist natürlich ein Thema, aber deshalb sind wir - vor allem du - ja hier. Und wir müssen uns unbedingt um die Qualität des hiesigen Bieres kümmern, das hiesige Gebräu ist ja kaum auszuhalten”, fasste er seine ersten Eindrücke zusammen und besonders beim letzten Punkt stimmte ihm sein Bruder nickend zu.

“Ja, das ist wohl wahr. Ich werde unseren Vetter fragen, ob bei den Buttersaums jemand in Frage kommt. Nach allem, was ich höre, bringen die gute Köche hervor. Oder er soll uns einen der Braumeister aus der Hilsbrauerei ausleihen. Wir brauchen auf jeden Fall auch einen Baumeister. Dazu schreibe ich heute Abend einen ersten Brief. Dann sollten wir verfeinern, was wir an Mitteln für den Bau und Unterhalt eines vernünftigen und wehrhaften Unterkunft benötigen. Ganz grob würde ich von etwa fünfzehn- bis zwanzigtausend Dukaten ausgehen. Falls der Markvogt eher knausrig ist und nur wenig Gold springen lässt können wir ja vielleicht hoffen, dass die Gegner bei Anblick einer günstig gebauten Wehranlange vor Mitleid von einem Angriff ablassen. Der Artikel im Boten lässt allerdings darauf hoffen, dass man diese Bedrohung ernst nimmt und dann auch bereit ist, genügend Mittel für die Errichtung einer ernstzunehmenden Wehr zur Verfügung zu stellen. Denn eins ist sicher: wenn der Markvogt uns schon anbietet, dass wir in die Taschen der Metropole und des Königreichs langen können, dann nehme ich das gerne an, notwendig ist das Geld allemal. Bis übermorgen will ich den Brief an den Markvogt fertig haben, dabei möchtest du sicher auch deine Meinung kundtun.”

“Und wann hast du den Besuch bei der netten Junkerin geplant? Das wird sicher nicht der angenehmste.”

“Du meinst die Dame, deren Ländereien beschnitten wurden, damit wir hier Wacht halten dürfen? Die wird ganz sicher nicht begeistert sein, aber was sein muss, muss sein. Und angesichts der wohlfeilen Begleitung durch einen Vertreter des Götterfürsten wird sie hoffentlich den Anstand und die Gebote de Travia wahren. Was dann im Laufe der nächsten Zeit passiert, werden wir sehen. Ich glaube, anderen Brachenwächtern geht es auch nicht viel anders. Natürlich werden wir auch die anderen Nachbarn schnellstmöglich besuchen. Alleine ist diese Aufgabe sicher nicht zu bewerkstelligen. Vielleicht reicht die Zeit, um alle anderen Brachenwächter zumindest einmal zu besuchen, aber zumindest die nächsten Nachbarn in Uilshof und Moosbrisken will ich besser kennenlernen.”

Wilbur nickte zustimmend: “Das ist eine gute Idee. Ich kann sicher auch den einen oder anderen Besuch übernehmen, wenn du möchtest. Und wenn uns die Junkerin dumm kommt, dann kann ich immer noch mit den Geboten des Herrn Praios argumentieren. Wann willst du dir die Brache genauer ansehen?”

Aldur schaute irritiert: “Die Brache ansehen? Wir beide alleine? Ja, das ist sicher eine der dümmsten Ideen, die ich seit langem von dir gehört habe. Alveranskommando! Dummerweise hast du außerdem auch noch recht, du Besserwisser. Die Randgebiete werden wir schon in den nächsten Tagen erkunden um zu sehen, ob von dort unmittelbare Gefahr droht. Für weitergehende Aktionen, die uns tiefer in die Brache führen, brauchen wir meiner Meinung nach aber noch mehr Kämpfer. Wenn ich den Brief an den Markvogt schreibe, werde ich auch Geld für mindestens zwei Waffenknechte und anderes notwendiges Personal anfragen. Wollen wir hoffen, dass sich die Berichte als Irrtum herausstellen und uns nur wenig Unbill droht. Und wenn doch, dann werden wir sehen, ob sich deine ganze Beterei auch auszahlt, denn dann werden wir den Beistand der Götter dringend brauchen.”

“Na dann solltest du dich mit mir Betbruder besser gut stellen als Vertreter der Zwölfe vor Ort. Denk daran dass Mutter gesagt hat, dass du auf mich aufpassen sollst. Ich bin ja nur der jüngere Bruder…”, antwortete der Praiosgeweihte mit ernstem Blick, lächelte dann kurz und prostete schließlich seinem Bruder zu, wobei sich sein Gesicht zu einer grimmigen Fratze verzehrte: “Und wenn dir wirklich was an deinem Bruder gelegen ist, dann nimmst du das Bierthema möglichst schnell in die Hand. Dieses Gesöff ist ja wirklich unkoscher!”