Geschichten:Sturm über Drak - Tränenlose

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nördlich Jagdschloss Drak – Morgengrauen, 5.Boron 1031 BF

Wie ein Raubtier vor dem Sprung blickte das einzig intakte Auge des Ritters durch das dunkel Dickicht des Forstes hinter ihm. Der Schwingenführer Helme, gerufen die Klaue, kniete neben den Brüdern und Schwestern seiner Einheit am Boden. Ein dumpfer Aufschlag nötigte zumindest kurz seine Aufmerksamkeit, als Schwester Falkenauge den erschlafften, blutigen Körper eines Mannes von ihren Schultern warf. Das Auge musterte den Leichnam kurz und blickte fragend zu seiner Schwester auf. „Ein Späher der verderbten Mersingerin, 5 Meilen nördlich, ich wollte sicher gehen, Bruder Klaue!“ Helme erwiderte nur mit einem Nicken und wandte sich wieder dem Schloss zu, das sich langsam immer mehr aus den Nebeln schälte! Sie mussten den Nebel nutzen, doch von dem Landheer des Knochenkrämers Lüdegast war noch immer nichts zu sehen. Ihnen rann die Zeit davon. „Wir begraben den Mann nach der Schlacht!“

„Zieht eure Waffen und beschert dem Herrn einen Arbeitsreichen Tag!“, auf ein Zeichen eines anderen Spähers hin sprangen die 9 Ritter aus dem Unterholz und liefen geduckt und lautlos durch das Gras, das die kurze Ebene zwischen dem Forst und dem Schloss bewuchs.


Sturm über Schloss Drak – 5.Boron 1031 BF

Antara beugte sich über die Leiche des Mannes, der Ihr noch wenige Augenblicke zuvor nach dem Leben getrachtet hatte. An seinem Hals klaffte eine breite Wunde, die von ihrem Säbel stammte. Sie schloß seine Augenlider und faltete seine Hände vor seine Brust, so wie sie es während ihres Noviziat im Tempel zu Punin immer gemacht hatte. Sie lauschte, ob sie das Rauschen von Golgaris Schwingen vernehmen konnte. Selten hatte sie bisher die Nähe des Herrn so intensiv gespürt, wie in diesem Augenblick. Eine Hand berührte ihre Schulter und riß sie aus dem Moment der Andacht „Wir müssen weiter, noch haben wir nicht alle erwischt. Dafür ist später noch Zeit!“

Es war die gepanzerte Hand ihres Komturs, der auf seinem Rappen nun weniger wie der Lebemann aus Gareth schien, sondern wie der Kavallerie-Offizier der er einstmals war. Bedächtig hatte er das Werk seiner jungen Schützlinge beobachtet, einerlei der Gefahr der sie entgegengetreten waren. Doch nun hieß es weiter zustreiten im Angesicht des Feindes! Der Nebel um das Haus war immer noch sehr dicht, sodass er nicht erkennen konnte wie weit Helmes Truppen im Hintergrund bereits agierten. „Schwester Antara! Sammelt die Feder und führ sie schräg links zum Wald, wir riegeln das Gelände ab und warten!“, der Komtur gab seinem Pferd die Sporen und verschwand in Richtung des Waldes.


Schloss Drak - Hinterseite – 5.Boron 1031 BF

An der Rückseite des Schlosses angekommen pressten sich die Gestalten verstohlen an den kalten Mauernsteinen entlang bis zu einem unscheinbar erscheinenden Mauervorsprung, welcher eine gute Gelegenheit abgab, die hintere Ziermauer zu überwinden und in den Hof zu springen. Der Nebel war dicht und klamm, sie wussten nicht ob über ihnen Jemand patrouillierte. Schwingenführer Helme gab, mit einem kurzen Handzeichen, einem Grossteil seiner Ritter zu verstehen, das sie sich am hinteren Tor bereit halten sollten. Ein weiterer Wink befahl Zweien die Mauern zu erklimmen, Helme folgte den Beiden augenblicklich.

Ein kurzes Surren in der Ferne und das plumpe Aufschlagen von Körpern, zwang die drei Golgariten kurz zur Vorsicht in die Knie, ehe sie damit begannen sich fast unsichtbar in den Hof abzuseilen.

Nachdem nun auch das hintere Tor geöffnet wurde, stürmten die Ritter, noch immer dank dem Einsatz der Nebachoten ungesehen zum Haupthaus der Anlage, wo nun jeder Ritter seine Waffe zog und sich bereit machte das Gebäude zu stürmen.

Prüfend fuhr Helme über das Holz der Tür und als er dadurch von deren Gangbarkeit erfuhr, gab er erneut ein kurzes Zeichen und die Schwinge der Tränenlosen eröffnete den Kampf im inneren des Schlosses.

Es war Helme’s Rabenschnabel der mit der Spitzen Seite des Hammerkopfes den Schädel eines völlig überforderten Söldlings brach. Ein kurzer Blick genügte und die Ritter teilten sich nach einem stummen Handzeichen in 2 Federn auf und begannen jeweils damit einen Flügel der Anlage zu stürmen. Kampflärm erklang und langsam wurden allen Besatzern klar was sich vor sich ging. Präzise wie das Räderwerk eines Erzzwerges säuberten die Ritter die Räumlichkeiten des Schlosses und als am Ende nur noch der Weibel und 2 andere Schergen übrig blieben, nahmen sie, angesichts der Übermacht der Ritter Reißaus!

Über eine Seitentür im Erdgeschoss flüchteten sie zu den Ställen, schwangen sich überstürzt auf ihre Gäule und ritten, unverfolgt, durch das geöffnete Hintertor ins Freie, nur um dort um die Außenmauer zu reiten und in Richtung der Feder des Komturs zu halten. Im Nebel erkannten sie nicht was vor ihnen lag, es war die nackte Angst die sie trieb.

Es war die Knappin des Komturs, Rahjara welcher als erste gewahr wurde wer da auf die Feder zupreschte, der Komtur war noch immer nicht zurück aus dem Wäldchen und die beiden Männer hielten Blindlinks auf sie zu. Sie erkannte zwar noch wie sich neben ihr die Brüder und Schwestern ihrer Feder nun auch in Bewegung setzten und es war vor allem einem der Ritter aus der Mark zu verdanken, das zumindest einer der beiden Söldlinge zu Fall kam, doch das Pferd des Weibels hielt weiter auf die junge Schönheit zu. Wie angewurzelt blieb sie stehen, den es war die Angst die sie zu lähmen schien. Timokles stand schwer keuchend von der ungewohnten Anstrengung mit dem Rücken zu den Reitern. Erst als er ein Vibrieren im Erdboden fühlte und er Hufgeklapper wahrnahm, drehte er sich langsam um und sah schon, wie die Feinde auf sie zu kamen. Derweil überrollte das Pferd des gefällten Söldlings, im fallen den zweiten Ritter der Mark der nicht mehr ausweichen konnte und begrub ihn unter sich, als es schwer keuchend darniederlag. Der zweite Söldling verstrickte sich in einen Kampf mit den jungen Knappen der Feder, während der noch lebende Ritter der Mark dem gefallenen Gardisten den Gnadenstoß verpasste.

Der Knappe Timokles stand zuerst irritiert über den Hinterhalt da, doch als er sah, wie der Säbel des Soldaten, der erhöht auf seinem Pferd saß, auf den stehenden Knappen niedersauste, zog er intuitiv seinen Rabenschnabel nach oben, jedoch einen Augenblick zu spät und die scharfe Klinge fraß sich durch die Kettenglieder seiner Rüstung direkt in das Fleisch seines Unterarms. Stechender Schmerz durchfuhr seinen ganzen Körper und er stieß einen Schrei der Pein aus. Sein Blickfeld wurde blutrot, dann holte er mit seinem Rabenschnabel aus und traf den siegessicheren Söldner mit der Hammerseite voraus und zertrümmerte das Knie des Reiters. Dann stürzte er auf den Boden und war geistig noch soweit bei Sinnen, dass er den gefährlichen Hufen des steigenden Pferdes auswich und sich in die Richtung des gestürzten Pferdes, welches den armen Ritter unter sich begraben hatte, wo er kurz ausschnaufen konnte.

Rahjara konnte zwar noch das Schild zum Schutz erheben, doch es war zu spät, im Vorbeireiten sauste die Klinge des Weibels herab und traf die junge Knappin am Schulteransatz nahe des Halses. Sie musste in die Knie gehen und langsam entglitt ihren entkräfteten Fingern die Waffe und der Schild! Das Blut lief ihr langsam gestärkt durch die Schübe des Herzschlags über den Oberkörper und tränkte den grauen Wappenrock mit Tod. Sie ging zu Boden und der Weibel ritt davon.

Sie hatte zwar ihren Reitersäbel in der Hand, aber Antara stand wie gelähmt da. Die Ereignisse waren zu schnell gekommen, zu viele Feinde und zu viele ihrer Ordensgeschwister liefen auf einmal durcheinander. Sie konnte sich nicht entscheiden was sie in all dem Chaos tun sollte. Wieder einmal rächten sich die Stunden, die sie in der Schreibstube anstatt auf dem Übungsplatz mit den anderen Knappen verbracht hatte. Entsetzt sah sie, wie zwei Mitglieder des Ordens verletzt zu Boden gingen. Sie mußte handeln, schnell! Endlich fiel die Starre, die ihr Handeln gelähmt hatte, von ihr ab. Der Ritter unter dem Pferd würde sicherlich einige gebrochene Rippen und Knochen haben, aber mit etwas Glück würde er lange genug am Leben bleiben, bis man ihm helfen konnte. Oder es war sowieso zu spät. Die junge Knappin dagegen ... das Blut lief ihr aus dem Hals und mit jedem Herzschlag verrann ihr Leben. Antara stürze zu der am Boden liegenden Rahjara. Hastig warf sie den Säbel bei Seite und zerrte sich die hinderlichen Handschuhe von den Fingern. Verzweifelt preßte sie auf die Schlagader am Hals der Knappin. Ihre Blicke trafen sich. Antara konnte sehen, wie der Glanz aus den Augen der sterbenden Knappin wich. „Nein! Nicht diese!“ Antara versuchte sich zu sammeln und die Macht der Herrn anzurufen. Ihre Worten kamen zitternd, aber klar: „Oh, mein Herr Boron, Herrin Peraine und Ihr anderen Herrscher Alverans, schenkt dieser Sterblichen von der Lebenskraft, für die die uranfängliche Sumu gestorben ist. Denn dieser Leib ist geschlagen mit Bitterkeit und Schmerzen und bedarf der Heilung in Eurem Namen.“ Das Blut floß weiter aus der Wunde, im Takt des immer schwächer werdenden Herzschlags. Antara fühlte ... nichts! „Oh, Herr Boron, siehe Deine getreue Dienerin hier ...“ Nun konnte sie es deutlich fühlen: ER wollte heute Rahjaras Seele zu sich holen. Sie nickte. „Dein Wille geschehe, Herr Boron.“ Mit zittrigen Händen griff die Sterbende nach ihrer Hand und drückte sie schwach. Sie versuchte etwas zu sagen, aber mehr als ein leises Gurgeln war nicht zu verstehen. Antara strich ihr sanft durch das Haar. „Hab keine Angst, Schwester. Bald wirst Du bei IHM sein.“ Ein letztes Lächeln huscht über Rahjaras Lippen, dann lies der Druck ihrer Hände nach. Das Rauschen der Schwingen wurde immer lauter und bald konnte Antara nicht anderes mehr hören als das Schlagen der Flügel. Fast glaubte sie, daß ein Drache auf sie herab stieß. Noch nie hatte sie Golgaris Ankunft so deutlich vernommen, wie in diesem Augenblick. „Bring sie sicher über das Nirgendmeer!“ Sie wartet, bis der Flügelschlag verklungen war, dann schloß sie sanft die Augenlider der toten Knappin. Nur mit Mühe konnte sie verhindern in Tränen auszubrechen. Aber die Selbstbeherrschung, die sie sich in all den Jahren im Tempel und an den offenen Gräbern gelernt hatte, war schließlich stärker. Nur eine kleine Träne tropfte auf die Stirn der Toten.

Nach einer kurzen Verschnaufpause konnte Timokles auch wieder klar denken. Er lehnte an dem gestürzten Pferd, das aus mehreren Wunden blutete und sich keinen Finger weit mehr bewegte. Darunter befindet sich einer meiner Mitbrüder, durchfuhr es ihn und er versuchte sich so unter das Pferd zu klemmen, dass er es mit aller noch in seinem geplagten Körper steckenden Kraft hochstemmen konnte. Und tatsächlich gelang es ihm den massigen Pferdeleib wenige Spann wegzuschieben. Da blickte er in das Gesicht seines Begleiters. Er kannte seinen Namen, doch von dieser Person war nichts mehr in dem Gesicht zu lesen. Es war von dem Gewicht des Tieres und den Hufschlägen stark deformiert wurden und gab ein schauerliches Bild ab, der Kiefer war verschoben und eine von pulsierendem Blut überströmte Wunde erstreckte sich von seinem rechten Auge bis zum Hinterkopf. Es war kein Lebenslicht mehr in seiner Miene. Der Magen des Knappen drehte sich um, er blickte auf seine Hände und sah geronnenes Blut daran kleben. Seine Gedanken kreisten, er konnte sich auf nichts mehr konzentrieren. Zwar war er ein Diener des Totengottes, aber noch nie war er so direkt mit dem Tod konfrontiert worden. Er wandte sich von dem Toten ab, um sich nicht übergeben zu müssen, da sah er, wie seine Gefährtin Antara Rahjara die Augen schloss. Überall Mord, Tod und Verderben. Timokles versuchte sich aufzurichten, stolperte kurz und schaffte es schließlich sich von der Stätte des Todes fortzubewegen. Der Schmerz in seinem Arm pochte und seine Wunde brannte, doch an Wundbrand oder Blutvergiftung dachte er nun nicht. Er wollte weg von hier, weit weg und so machte er erst halt, als der Geruch des Todes nicht mehr in der Luft lag. Dort ließ er sich auf einem gestürzten Findling nieder, lässt die Beine hängen und blickt ins Leere. Nur den Tod im Sinn, den allgegenwärtigen Tod.

Langsam erhob sich Antara vom Leichnam der Ordensschwester und begann sich umzusehen. Ihr Ordensgeschwister machten sich an dem Kadaver des Pferdes zu schaffen, unter dem der Ritter eingequetscht lag. Sie mußte nur einen kurzen Blick auf sein geschundenes Gesicht werden um wissen, daß auch er den Flug über das Nirgendmeer angetreten hatte. Sie wußte es einfach, wenn Golgari vorbeigekommen war um eine weitere Seele vor Rethon zu bringen. Langsam stellte sich wieder dieser Abstand, diese Distanziertheit ein, die sie im Tempel um Umgang mit den Toten erworben hatte. Es waren nunmehr leere Hüllen, die es würdig zu bestatten galt und für deren Seelen sie beim Herren bitten würde. Sie sammelte die Handschuhe wieder auf und steckte den Säbel zurück in die Scheide. Dann stutze sie, als ihr auffiel, daß der Knappe Timokles nicht bei den anderen war. Soweit sie es gesehen hatte war er getroffen worden. Hoffentlich liegt er nicht irgendwo und verblutet. Nicht noch einen heute, oh Herr. Sie sah sich um und erblickte ihn etwas abseits, wo er auf einem Stein saß. Als sie seinen leeren Blick bemerkte wußte sie, was sie zu tun hatte. Antara ging kurz zu ihrem Pferd und holte Verbandszeug aus den Satteltaschen, ebenso wie den Wasserschlauch. So ausgerüstet begab sie sich zu ihrem Bruder. Als dieser auf ihre Ankunft nicht reagierte und weiter vor sich hin starrte, da hockte sie sich vor ihn, so daß er sie ansehen mußte und nahm seine Hand in die ihren. Ein mildes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Gräme Dich nicht, Timokles. Schau, der Herr beruft niemanden zu sich, dessen Zeit noch nicht gekommen ist. Wenn Du genau hinhörst, dann kannst noch das Rauschen von Golgaris Schwingen hören, wie er sie alle über das Nirgendmeer trägt. Und dort werden sie dann bei IHM sein.“ Sie legte eine Hand auf sein Herz. „Und sie werden dort sein, bei Dir. Behalte sie in Deinem Herzen, so wie sie im Leben waren, und nicht so, wie ihre gebrochenen Leiber dort liegen. Wir werden sie wieder treffen, sobald wir unseren eigenen Flug antreten.“ Sie nahm die Hand wieder vom Herzen des Knappen weg. „Der Anblick des Todes ist nur selten schön. Du mußt lernen, nein, begreifen, daß es nur die leere Hülle ist, deren Angesicht uns schreckt. Lerne auf die Seele zu blicken, die in die Hallen des Herrn eingeht und die ihre derischen Leiden hinter sich gelassen hat, und freue Dich für sie!“ Unvermittelt packte sie seinen verletzten Arm. „Und nun zieh’ das Kettenhemd aus, bevor Du mir hier verblutest, ich habe auch so schon genug Gebete an IHN zu richten!“

Timokles hatte lange in die Ferne geblickt, als sich die Priesterin an ihn gewandt hatte, doch nun drehte er seinen Oberkörper ihr zu: „Doch wie, wie kann der Herr wollen, dass sie sterben, sie alle. Sie waren noch jung, sie hatten ihr Leben noch vor sich. Wieso töten Menschen? Was wollen diese Menschen von uns, wieso töten sie uns. Es gibt alles keinen Sinn.“, eine Träne entglitt seinem Augenwinkel, „Wieso sind wir hier überhaupt und wollen sie töten. Kann man nicht warten bis einen Uthars Pfeil trifft? Wieso muss man den Totenraben so herbeirufen, ist es denn nicht Anmaßung mit dem Geschenk des Lebens, das uns von den Göttern gegeben wurde, so willkürlich zu verfahren? Sind wir nicht alle Teil dieser Welt und haben wir nicht alle den göttlichen Funken des Lebens in uns, wie ja schon die Alten es formulierten? Wieso, warum das alles? Wieso ziehen wir den Tod über andere Menschen? Kannst du es mir sagen? Wieso, wieso das alles, warum, sag es mir doch!…“ Die letzten Worte hatte er immer schneller werdend gesprochen, während sein Atem immer schneller und sein Blick immer glasiger wurde. Schließlich hielt er inne und unter einem „Warum?“ verdrehte er die Augen und brach in den Armen von Antara bewusstlos zusammen. Von seinem Arm triefen dicke Tropfen roten Blutes in den gefrorenen Boden und die Kleidung war bereits mit dem Lebenssaft durchnässt.

Grade suchte sie nach Worten um den verwirrten Timokles wieder zu beruhigen, da sackte er zusammen. Oh nein, er hat bereits zu viel Blut verloren! Sie legte ihn sachte auf den Boden und begann hektisch an seinem Kettenhemd zu zerren, um an seine Wunde zu kommen. Der Ärmel lies sich aber nicht weit genug hoch schieben, also machte sie sich mit zitternden Fingern daran, ihm das Kettenhemd ganz auszuziehen. Was aber leichter gesagt als getan war, zunächst mußte der Gürtel geöffnet werden, was Antara in ihrer Eile nicht auf Anhieb gelingen wollte. Wappenrock und Mantel verhedderten sich zu seinem Knäuel, ehe die Knappin sie über den Kopf ziehen konnte. Und um das Kettenhemd ausziehen zu können mußte sie Timokles zunächst hinsetzen, um ihm dann die Brünne ziemlich unsanft über den Kopf zu zerren, wobei einige Kettenringe Kratzer im Gesicht des Jungen hinterließen. Antara schwitzte ob der Anstrengung unter ihrer eigenen Rüstung, der dicke Gambeson unter den Platten hielt die Wärme besser, als sie es im Augenblick gebrauchen konnte. Schweißtropfen rannen an ihren Schläfen runter und wurden zu kleinen Rinnsalen. Ihr Atem ging schwer. Sie zog ihren Dolch, um den Ärmel des Unterwams aufzuschneiden, aber schon mit dem ersten Versuch war klar, daß es zu lange dauern würde. Also richtete sie den Knappen wieder auf, um ihm auch den Polsterwams auszuziehen. Sie mußte einen Moment verschnaufen und sah dabei in sein kreidebleiches Gesicht, das mittlerweile die weiße Farbe eines Ritter-Mantel angenommen hatte. Erschrocken legte sie den Kopf auf seine Brust und lauschte dem Herzschlag. Viel hörte sie nicht mehr und in die kleinen Bäche, die ihr bereits über die Wangen rannen, mischten sich nun auch Tränen. Oh heilige Etilia, bitte nicht noch einen heute! Antara legte ihre Hände auf seinen Arm, dann versuchte sie sich zu sammeln und ihre Gedanken auf IHN zu richten. Ihre Worte kamen hektisch und nur undeutlich, dafür um so lauter und flehender. „Oh, mein Herr Boron, Herrin Peraine und Ihr anderen Herrscher Alverans, schenkt diesem Sterblichen von der Lebenskraft, für die die uranfängliche Sumu gestorben ist. Denn dieser Leib ist geschlagen mit Bitterkeit und Schmerzen und bedarf der Heilung in Eurem Namen.“ Zunächst geschah nichts und sie wollte bereits die Worte wiederholen. Aber dann strömte eine ungeheure Macht durch sie. Anders als beim Segnen der Gräber war es diesmal eine Kraft des Lebens, die anscheinend direkt aus Sumus Leib durch ihren Körper in den scheiden Timokles fuhr. Das Blut hörte unverzöglich auf aus der Wunde zu rinnen und binnen von Augenblicken begann sich das zerschnittene Fleisch zu schließen und rosige Haus bildete sich dort, wo eben noch ein Spalt im Arm des jungen Knappen klaffte. Langsam versiegte die Kraft wieder. BORon hatte entschieden: sein Diener Timokles war noch nicht bereit über das Nirgendmeer zu fliegen. Das Blut pochte durch ihre Adern, die Welt um sie herum verschwamm wie in einem Nebel. Antara hatte das Gefühl neben ihrem eigenen Körper zu stehen, als sie sich erhob. Sie wankte einen kurzen Schritt bis zu dem Stein, auf dem Timokles gesessen hatte und lies sich dort nieder. Süßes Schweigen machte sich um sie breit. Die Schritte und Stimmen der anderen, die herbei eilten, hörte sie nicht. Ihr Geist weilte bei IHM.

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