Geschichten:Skorpion und Fledermaus - Nach dem Gigantenringen

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Nach dem Gigantenringen

Überlegend trat sie von einem Fuß auf den anderen und ging einmal um den Sandkasten herum. Ihr Schuh trat gegen eine der Figuren, die zu Boden gefallen waren; sie bemerkte es aber nicht. —Abseits des Sandkastens – Shelkor


Landgut Kollberg, 1033 BF

Mit schnellen Schritten eilte Jeshinna der Veranda entgegen, auf der ihre Großtante Ellya in einem Lehnstuhl saß, die Augen halb geschlossen. Als die alte Dame die Schritte hörte, öffnete sie langsam die Augen.

»Jeshinna, mein Kind, wohin so eilig?«

Jeshinna beantworte die Frage nur indirekt. »Wo ist Shelkor

»Ach, er ist sicher draußen auf der Koppel. Die schwarze Stute hat heute Nacht ihr Fohlen geboren.«

Ohne weitere Wort sprang Jeshinna über die Brüstung. Khora, ihre Tochter, die sie noch vom Ritt hierher im Tragetuch auf dem Rücken trug, juchte auf. Im Laufschritt eilte Jeshinna zu Koppel hinüber und sah ihren Bruder am Gatter stehen, die schwarze Stute und das Fohlen begutachtend.

Kaum das sie angekommen war, drehte Shelkor den Kopf zu ihr und deutete auf das Fohlen. »Schau es Dir an, ein prächtiges kleines Pferdchen. Eine Stute, wie die Mutter; damit ist die weitere Zucht gesichert.« Stolz schwang in seiner Stimme mit.

Für einen Augenblick hielt Jeshinna inne. »Immerhin, dann geht es ja aufwärts. Hengste haben wir derzeit genug. Aber deshalb bin ich nicht hier.«

»Das habe ich mir gedacht.«

»Du hättest doch zum Ringen um den Sturmfels reiten sollen«, platzte es aus ihr heraus. »Jetzt sind es die Schlunder Ochsen, die dort zukünftig herrschen, und wir haben nichts gewonnen. Weder als Familie noch als nebachotisches Volk.«

Shelkor stutzte. »Von den Ochsen? Wer ist es denn geworden?«

»Diese Ritterin von Wiekenbrück auf den Efferdstränen. Kürzlich hat sie doch den Ochsen geehelicht, der jetzt im Namen der kindlichen Kaiserin dort sitzt. Und schwups, schon haben sie sich nun auch noch den Sturmfels unter den Nagel gerissen.«

»Wenn sie damit man nur nicht unter die Hufe kommen«, erwiderte Shelkor grinsend.

»Laß die Wortspielereien, die Lage ist ernst. Das Versteckspiel muß endlich aufhören. Und ich brauche Dich hoffentlich nicht daran zu erinnern, dass das Deine Worte waren.« Sie stützte die Hände in die Seiten.

Shelkor drehte sich zu ihr um. »Ich weiß. Aber wir haben andere Probleme. Solange Terrebor da draußen im Wall sein Unwesen treibt werden wir eh nicht viel zu melden haben. Man wird uns weiter mitschuldig daran machen, was geschehen ist; solange, bis wir das Problem selber beseitigen. Und ich fürchte, das kann dauern.« Jeshinna kommentierte es nicht weiter. »Du solltest lieber zusehen, dass wir nicht vollends in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Was ist und geblieben? Nur dieses kleine Gut. Früher herrschte unsere Familie über diese Baronie, und heute sind wir nur mehr Vasallen. Selbst Alixos steht mittlerweile besser da als wir, und das weiß er auch. Wir laufen in die Gefahr, uns von ihm abhängig zu machen und die Rollen zu tauschen.«

»Womit Du mich erneut zitierst. Du weißt genau, wie sehr mir dieses bewusst ist. Und Du weißt auch, dass mir das nicht schmeckt.« Shelkor wandte sich wieder von ihr ab, lehnte sich auf den Zaun der Koppel und beobachtete Stute und Fohlen.

Schweigend standen die Geschwister da, nur Khora wickelte sich die Haare ihrer Mutter um den Finger und brabbelte vergnügt vor sich hin.

»Vielleicht hast Du recht. Wir müssen in die Offensive gehen, und zwar in jeder hinsicht. Es wird Zeit, sich auf unsere Wurzeln zu besinnen; handeln wir, anstatt nur nachzudenken und zu reden. Und zwar alle.« Er blickte wieder zu Jeshinna.

»Und das heißt?« fragte jene.

»Das heißt, dass ich mich zukünftig mehr einmischen werde. Kommt die Kaiserin nicht alsbald nach Perricum, um dort einen Reichscongreß abzuhalten? Also werde ich dorthin reisen. Es wird zwar schwer werden, die Verfehlungen der Verwandtschaft abzustreifen, aber irgendwie muß es gelingen. Immerhin versucht die Baronin ja schon seit Jahren erfolglos, uns noch das letzte Tuch zu nehmen; sie ist halt nur eine Garätti. Folgen wir also dem nebachotischen Blut in unseren Adern und versuchen, bei den Brüdern und Schwestern unseres Volkes wieder Anschluß zu gewinnen; der Rest wird sich zeigen.«

»Aha. Nun ja, einen Versuch ist es Wert, und einen besseren Anfang wüsste ich nicht.« Jeshinna sah ihn an; sein Tonfall hatte danach geklungen, als ob er noch etwas nachsetzten wollte.

»Und nun zu Dir, Schwesterherz. Du weißt, aus welch geringen Mitteln wir Deine Reiter finanzieren. Wir brauchen Ergebnisse. Die Zukunft unserer Familie steht und fällt mit Terrebors Schicksal, und er ist euer vordringlichstes Ziel.«

»Aber wir brauchen die Aufträge anderer, um genug Geld heranzuziehen; allein aus dem, was das Gut abwirft, könnte ich nicht einmal die Hälfte der Truppe halten«, konterte Jeshinna. Shelkor seufzte. »Ich weiß. Dennoch, Terrebor ist das oberste Ziel. Bekommen wir ihn nicht in die Finger, bekommen wir auch nichts anderes. Vielleicht nicht einmal richtig den Fuß in die Tür.« Er blickte seine Schwester auffordernd an. »Also tu, was Du zu tun hast; andernfalls drehen wir uns doch nur im Kreis.«

Jeshinna versuchte, den Kloß in ihrem Hals loszuwerden, der sich plötzlich darin breitmachte. »Ich versuche mein bestes«, antwortete sie, weit weniger energisch als sie es gewollt hätte. Shelkor beachtete es jedoch nicht, wenn er es überhaupt gemerkt hatte.

Vom Haus her ertönte ein Ruf. Die Reiter waren angekommen, und Ayla winkte zur Begrüßung herüber. Shelkor hob die Hand zum Zeiche, das er sie gesehen hatte. Jeshinna hingegen nahm die Rede wieder auf. »Nun gut, dann gehe ich zurück und verpasse der Truppe die neuen Instruktionen. Aber zuvor reiten wir noch hinüber über die Grenze; ich habe einen Auftrag an Land gezogen, der uns einiges eimbringen wird.«

Shelkor stimmte ihr mit einem Nicken zu.

»Danach kümmere ich mich um unsere Zukunft«, schloß sie schließlich, und zugleich schämte sie sich für den Gedanken. „Unsere Zukunft“ war nicht die Zukunft der Familie, sondern ihre persönliche und die ihrer Tochter – und die Zukunft deren Vaters.


 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Perricum.svg   Wappen Baronie Weissbarun.svg   Wappen Herrschaft Kollberg.svg  
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Texte der Hauptreihe:
15. Per 1033 BF zur mittäglichen Rondrastunde
Nach dem Gigantenringen


Kapitel 1

Autor: CD