Geschichten:Linke Hand und rechte Hand

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Gut Weyring, Rondra 1036 BF, am Abend

Dramatis Personae:


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Klicketi-klicketi-klicketi-klick.

Die Finger beugten sich allmählich, bis sie den irdenen Becher fest umschlossen hielten.

Schrrrrrbbb-schrrrrrbbb-schrrrrrbbb.

Die Finger streckten sich wieder.


Sigman von Weyringhaus lehnte sich zurück und atmete tief durch. Seine Stirnfalten glätteten sich, aber nur kurz. Anstrengend war dieses Prozedere und höchst diffizil. Mit den Fingerspitzen der rechten Hand musste er das kleine Rädchen bedienen, das in seiner linken Hand nahe der Daumenwurzel eingebaut war.

In seiner linken Hand. Er musste sich noch daran gewöhnen, dieses … Ding so zu nennen. So wie er sich noch daran gewöhnen musste, damit zu greifen und wieder loszulassen. Greifen, ohne zu zerbrechen; loszulassen, ohne zu verlieren. Irdene Becher waren nun gut genug für ihn, gläserne Pokale nicht.

Klicketi-klicketi-klicketi-klick.

Rhodena setzte sich neben ihn. Wie üblich hatte er sie kaum kommen hören. Er blickte auf und warf ihr ein kurzes Lächeln zu. „Schon nicht verkehrt, eine Schwester im Kosch zu haben“, brummte er. Seine Gattin nickte: „Man muss die richtigen Leute kennen. Zwergische Mechanici sind dünn gesät.“

Schrrrrrbbb-schrrrrrbbb-schrrrrrbbb.

Die Hand war ein Meisterwerk der Schmiedekunst, im wahrsten Sinne des Wortes ausgefeilt. Zahnräder, Drähte, Federn wirkten zusammen in einem verborgenen, präzisen Mechanismus. Gerade Rhodena hatte für solche Schätze einen wachen Blick. Heute Abend nicht.


Klicketi-klicketi-klack.

Halbgekrümmt blieben die eisernen Finger stehen, die einzelnen Glieder berührten den Tonbecher kaum. Rhodena hatte Sigmans gesunde Hand ergriffen und von dem kleinen Rädchen fortgezogen. Stattdessen hielt sie nun die Rechte ihres Mannes in beiden ihren Händen fest. Sigman schaute sie fragend an.

„Ich muss gehen“, sagte sie.

Klirr.

Die ruckartige Bewegung der linken Hand ließ den Becher umfallen und auf den Tisch rollen. Der Becher war leer, aus gutem Grund.

„Was? Wie?“ – Mehr brachte ihr Mann nicht heraus.


„Ich muss gehen“, wiederholte sie. „Meine Kirche ruft.“

„Warum? Warum jetzt?“

„Weil sie mich jetzt braucht.“

„Ausgerechnet jetzt, nach dieser Geschichte?“ Sigman wedelte hilflos mit der linken Hand in der Luft herum. Für solche Gesten, für solche Momente war dieses Meisterwerk nutzlos.

Wegen dieser Geschichte.“ Rhodena seufzte. Noch immer hielt sie die rechte Hand ihres Mannes fest. Sie führte sie zu ihrem Mund, drückte ihre Lippen zu einem flüchtigen Kuss auf den Handrücken und schloss einen Herzschlag lang ihre Augen. „Als die Verzweiflung am tiefsten war, als wir das Schlimmste fürchten mussten und keinen Schimmer der Hoffnung mehr sahen, da habe ich gebetet. ‚Lass mich ihn finden‘, habe ich gesagt, ‚egal wo, egal wie. Was dann aus mir wird, entscheidest du‘. Ich habe alles angeboten, was ich noch geben konnte. Und dieser Handel wird nun eingefordert.“

Ihr Mann schaute sie mit halbgeöffneten Lippen an. Viele Widerworte, viele halbgare Gedanken, viele brüchige Klauseln purzelten in seinem Geist durcheinander, aber nichts davon fand den Weg hinaus in das Gesagte. Rhodena war es, die weitersprach.

„Wir wussten beide, dass das eines Tages geschehen könnte. Als wir den Traviabund schlossen, da war ich schon ein Mondschatten. Wir haben die Zeichen sogar in der Kapelle verborgen“, versuchte sie einen kleinen Scherz, doch an ihren Mann war diese Bemerkung gerade verschwendet. „Ich habe dir die eheliche Treue geschworen, und die will ich auch halten. Du und die Kinder, ihr seid in meinem Herzen. Aber dem Fuchs habe ich mein Leben und meine Seele geweiht.“


Rhodena schaute ihrem Gatten geradewegs ins Gesicht. Sie hatte alles gesagt.

Sigman blickte sie ungläubig an. Auch nach einem Räuspern klang seine Stimme noch erstickt. Mit fahriger Geste hob er die Prothese. „Ich habe bei dieser Geschichte meine linke Hand verloren“, wisperte er, „und jetzt auch noch die rechte?“


Rhodena küsste seine Hand noch einmal. Sie stand auf, strich mit ihrer Hand über seine Wange, drückte ihre Lippen kurz auf seine. Bevor er nur daran denken konnte, sie noch einmal zu fassen, zu umarmen, hatte sie sich schon von ihm gelöst. Dann war sie fort. Wie üblich hatte er sie kaum gehen hören.


Sigman saß da wie betäubt. Erst als die letzten Kerzenflammen zu blaken und flackern begannen, regte er sich. Unvermittelt hieb er mit beiden Fäusten auf die Tischplatte. Nein, nicht mit beiden Fäusten; mit einer Faust und einer halbgeöffneten Eisenhand. Der Schmerz war unterschiedlich, aber er ließ ihn innehalten. Er barg den Kopf in den Händen – links hart und kalt, rechts warm und noch nach ihr duftend.


Greifen, ohne zu zerbrechen; loszulassen, ohne zu verlieren. Er würde sich daran gewöhnen müssen.