Geschichten:Leomaras Tsatag

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Leomaras Tsatag

Dramatis Personae:

Burg Friedburg, Baronie Gnitzenkuhl, 9. Rahja 1033 BF

Unswin, seine Novizin Chaantrea und Leomara waren kurz nach dem Abendessen auf der Friedburg oberhalb der Stadt Gnitzenkuhl eingetroffen und nun, fast zwei Stunden später senkte sich die Praiosscheibe langsam dem Horizont entgegen. Es war ein wundervoller Anblick, doch Unswin verschwendete keine Minute damit das Schauspiel anzustarren. Im Wall hatte er genügend bezaubernde Sonnenuntergänge für den Rest des Götterlaufes gesehen. Stattdessen war er schon seit der Ankunft damit beschäftigt kreuz und quer durch die Burg zu laufen und die Bediensteten mit kleinen Wünschen und Aufgaben auf Trab zu halten, während sich seine Knappin um die Pferde kümmerte. Gerade trat er nach einem längeren Gespräch mit der Köchin aus der Küche heraus, als Chaantrea mit ihren typischen federleicht anmutenden Schritten auf ihn zu kam.

„Die Tiere sind nun versorgt Bruder Unswin. Gibt es sonst noch etwas für mich zu tun?“

„In der Tat, das gibt es.“

An der wenig begeisterten Miene der Novizin erkannte der Ritter, dass sie auf eine andere Antwort gehofft hatte. Wenigstens hatte sie inzwischen so viel Anstand gelernt, ihm dies nicht vorlaut an den Kopf zu werfen.

„Du wirst zum Arbeitszimmer von Baronin Geshla gehen. Sie sitzt noch immer mit Roderick und Leomara zu Rate, was wegen der Mine in Kelsenstein unternommen werden soll. Sobald die Besprechung ein Ende gefunden hat, bitte ich dich Leomara zum Bad zu bringen. Danach kannst du dir in der Küche dein Abendessen geben lassen. Ich habe veranlasst, dass man dir etwas bereiten wird. Den Rest des Abends hast du dann frei.“

„Ich nehme an du ißt mit Ritterin Leomara?“

Der Ritter hob die Augenbrauen, verwundert über den merkwürdigen Ton in dem die Frage gestellt war. Hatte er dort Eifersucht durchklingen hören? Oder sprach nur wieder der Trotz aus der jungen Frau? Manchmal wurde er einfach nicht schlau aus seiner Knappin.

„So ist es. Du brauchst also nicht auf mich zu warten.“

„Wie du wünschst.“

Mit einer knappen Verbeugung, bei der Unswin einmal mehr nicht wusste ob sie ehrerbietig oder spöttisch sein sollte, wandte Chaantrea sich zum Gehen. Auch sie war nicht das erste mal auf dieser Burg. In den letzten zwölf Monden war sie mit ihrem Schwertvater oft hier zu Besuch gewesen, wenn er einen Vorwand gefunden hatte seine Verlobte aufzusuchen. Nun würde sie also wieder einmal die Botin für ihren verliebten Ordensbruder spielen, damit dieser seinem zukünftigen Schwiegervater aus dem Weg gehen konnte.

Wenige Minuten später stand sie vor der Tür des barönlichen Arbeitszimmers. Sie blieb einen Moment davor stehen und lauschte. Tatsächich vernahm sie immer wieder Stimmen durch die dicke Holztür, was vermuten ließ, dass die Diskussion teilweise recht hitzig geführt wurde. Etwas andere hatte sie aber auch nicht erwartet, wenn Geshla, Roderick und Leomara sich zusammen in einem Raum befanden. Leider dämpfte die massive Tür die Laute soweit ab, dass Chaantrea keine einzelnen Worte verstehen konnte. Einfach einzutreten wäre unhöflich gewesen, also würde sie sich wohl in Geduld üben müssen, bis die Baronin ihres Vogtes und ihrer Ritterin überdrüssig geworden war. Mit einem götterergebenen Seufzer lehnte sich die Novizin mit dem Rücken gegen eine Säule gegenüber der Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.

Nach einer schieren Ewigkeit öffnete sich schließlich endlich die Tür, und Leomara kam mit roten Gesicht sichtlich erledigt heraus. Sie schloß geräuschvoll die Tür hinter sich und stieß deutlich die Luft aus. Die Person an der gegenüberliegenden Wand hatte sie noch gar nicht gesehen.

Sie brummelte leise vor sich hin: „Im Rahmen ihrer Möglichkeiten wohl das beste raus geholt, pah, das nächste mal schicke ich ihr den Schwarm Harpyien ins Tal, von Friedburg aus haben die auch 'nen hübschen Ausblick!“

Sie wendete sich in Richtung Dienstboten steige um in die Küche zu gehen. Chaantrea löste sich aus dem Schatten der Säule und trat schnell vor um die Ritterin abzufangen. Die Novizin berührte sie leicht an der Schulter und zuckte zurück, als Leomara sich überrascht mit einem Ruck zu ihr umwandte. Die Jüngere hob die rechte Hand und legte sie ihrer Gegenüber besänftigend auf den linken Unterarm.

„Entschuldigt bitte, ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich habe auf Euch gewartet um eine Nachricht zu überbringen. Ritter Unswin lässt Euch bitten sogleich ins Bad zu kommen, wenn es Eure Pflichten der Baronin gegenüber zulassen.“

Verdutzt schaute Leomara sie an. „…Pflichten äh…? Ach so, nein, ich darf mich wohl erst einmal zurück ziehen. Der Vogt und die Baronin müssen die Sachlage erst einmal unter sich besprechen…“ Leomaras Augen brachten zum Ausdruck, was sie von einer derartigen Unterredung wohl hielt.

„Daher habe ich also Zeit. Wieso um Himmels willen im Bad? Hat Praiowyn ihn dort eingesperrt und lässt ihn erst wieder heraus, wenn er sich ordentlich kleidet?“ Amüsiert musterte die Rittfrau Chaantrea.

Die Novizin unterdrückte mit Mühe ein leises Kichern und schaffte es nicht länger ernst zu dreinzuschauen. „Wäre eigentlich denkbar. Manchmal lässt er ja schon merken, dass er aus Greifenfurt stammt. Aber diesmal hat Praiowyn Gnade vor Recht ergehen lassen. Ich darf Euch leider nicht sagen worum es sich handelt, aber geht besser gleich hin. Nicht das er ungeduldig wird und denkt die Baronin hätte Euch gefressen oder ich hätte Euch entführt.“

„Ach du liebes Bisschen, ich fürchte der Aufenthalt in den Bergen ist nicht spurlos an ihm vorüber gegangen…!“ Leomara schmunzelte. „Dann werde ich mich wohl besser sputen, bevor er sich den Weg hierher frei kämpft. Ich denke man sieht sich später…!“ Mit diesem Worten drehte sich Leomara weg und ging raschen Schrittes zu ihrem Verlobten. Was hatte er nur vor?

Schließlich stand sie vor der Türe zum Bad klopfte kurz an, trat dann aber sofort ein.

Die Tür öffnete sich ohne Widerstand und der Raum dahinter war hell erleuchtet. Doch brannten nicht die an den Wandhalterungen dafür vorgesehenen Fackeln, sondern über zwei Dutzend dicke, vor allem auf dem Fussboden verteilte Kerzen. Der süßliche Duft von Honig lag in der Luft.

Abrupt blieb die Rittfrau stehen und schaute sich staunend um.

In der Mitte des Raumes stand Unswin, angetan in in jene leichte Kleidung die er immer trug, wenn er auf Friedburg zu Gast war. Ohne Waffen, Rüstung und Wappenrock war er jedes Mal ein ungewohnter Anblick. Jemand der ihn nicht kannte hätte ihn in diesem Aufzug für einen einfachen Bürger halten können. Nur ein gesticktes Ordenswappen in der Herzgegend seines Hemds, ließ erkennen wer er war.

Neben dem Ordensritter stand eine junge Magd. Beide schienen sich unterhalten zu haben und von Leomaras Klopfen aufgeschreckt worden zu sein. Sie hielt einen leeren Eimer in der Hand mit dem sie offenbar Wasser für den großen gemauerten Badezuber gebracht hatte, auf dessen Rand ein kleiner abgedeckter Weidenkorb stand. Der Ofen unter dem Zuber war in Betrieb und würde dem frischen Wasser bald eine angenehme badetemperatur gegeben haben. Unswins Miene hellte sich bei Leomaras Anblick augenblicklich zu einem breiten Lächeln auf, während die Magd fast schuldbewusst den Kopf neigte und errötete.

„Leomara, da bist du ja schon. Ich hatte schon befürchtet Geshla und Roderick halten dich bis zum Frühstück fest.“ Mit einem leichten Nicken gab er der Magd ein Zeichen, welche sich auch sofort in Bewegung setzte und mit einem leisen „Euer Wohlgeboren“ an der Ritterin vorbei durch die Tür entschwand. Noch bevor Leomaras Sprachlosigkeit geendet hatte ging der Redestrom Unswins ungemindert weiter. Er schien bester Stimmung.

„Komm herein meine Liebste und mache es dir gemütlich.“ Unswin deutete mit einer Armbewegung auf einen schmalen Tisch und zwei gepolsterte Stühle, die Leomara in diesem Raum noch nie gesehen hatte. Offensichtlich hatte der Ordensritter diese extra hierher bringen lassen. Nur den Zweck konnte die Ritterin nicht sofort erkennen, denn außer einer der großen Kerzen in der Mitte war der Tisch leer.

„Ehem…!“ sagte sie dann auch nur während sie im Näherkommen die Umgebung begutachtete. „…was soll das Ganze hier?“ Etwas widerstrebend setzte sie sich hin, lächelte aber Unswin neugierig an. „Du hast mir doch nicht etwa was zu beichten? Ich hörte schuldbewusste Männer neigen zu solchen Extravaganzen.“ Noch immer schien sie keine Ahnung zu haben was das ganze sollte.

Unswin lachte erst fröhlich und schaute dann gespielt empört drein. „Na hör mal. Vor dir sitzt ein ehrenwerter Ritter des Zornesordens. Ich mag nicht abstreiten, dass du mich auf einige zuvor unbekannte Geschmäcker gebracht hast seit wir uns kennen. Aber für mich gibt es nur dich. Ich bin doch kein Nebachote der nach jedem Glas Wein eine andere bespringt. Aber abgesehen von dir und dem guten Wein, hat mir Perricum wohl auch diesen kleinen Hang für das Dramatische geschenkt.“ Mit einem beiläufigen Nicken deutete er auf die Kerzen, während er über den Tisch hinweg nach ihren Händen griff.

Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Ohne zu zögern rief er die Wartenden herein. Die Magd von eben schritt vorweg, nur trug sie diesmal statt einem Wassereimer eine gut gefüllte Platte vor sich her. Mit einem Lächeln plazierte sie diese auf dem Tisch und legte vor den beiden Adligen kleinere Essplatten und Besteck aus. Hinter ihr kam noch ein Küchengehilfe der eine Karaffe roten Weines und zwei mit Blei verzierte Weingläser dazu stellte. Danach kümmerte er sich sofort um den kleinen Ofen unter dem Zuber und warf eine Hand voll Blütenblätter aus dem kleinen Weidenkörbchen hinein, welche Leomara aus dem Augenwinkel heraus aber nicht genauer erkennen konnte.

Die Magd hatte derweil die Deckel von den Speisen genommen. Zum Vorschein kamen, neben einem Korb mit weißem Brot, ein mit Honig bestrichenes und goldgelb gebratenes Kanninchen, zwei liebevoll verzierte Pasteten sowie eine kleine Schale mit kandierten Datteln. Unter den immer größer werdenden Augen Leomaras goss die junge Frau die Weingläser noch halbvoll und zog sich dann mit einem Knicks zurück. Auch der Küchenjunge war inzwischen mit seiner Arbeit am Zuber fertig und schloss eilig hinter sich die Tür.

Noch immer sprachlos schaute sich die Rittfrau das Essen an, und in ihrem Blick spiegelte sich der Unglaube über diese kunstfertige Art der Kochkunst. „Hast du heimlich die Angroscho in der Binge bestohlen, oder wie hast du den Koch dazu gebracht etwas Derartiges zu erschaffen?“

Vorsichtig strich sie mit dem Finger über den Teigmantel der Pasteten, auf denen aus Teig geformte Weinreben, Pferde und Rosen aufgebracht waren. Kindliches Vergnügen bemächtigte sich schließlich ihrer und sie ergriff den Pokal.

Mit einem lausbübischen Grinsen beobachtete Unswin die Veränderung die sich auf ihrem Gesicht abzeichnete.

„Egal, was auch immer es sein mag, was mir dieses Mahl bescherte, lass uns anstoßen, bevor uns hier jemand raus wirft!“

Seitdem sie wieder in Gnitzenkuhl waren genoss sie einfach das unbeschwerte Leben und allmählich kehrte auch die ihr eigene Leichtigkeit zurück, die sie im Angesicht der täglichen Bedrohungen am Berg fast gänzlich verloren hatte.

Der Ritter ließ sich nicht zweimal bitten, erhob ebenfalls sein Glas und suchte beim Klang der feinen Pokale den Blick Leomaras, bevor er schließlich einen Schluck des vorzüglichen Weines genoss. Im flackernden Schein der Kerzen leuchtete die Flüssigkeit blutrot. Dann hob er die als Deckel drapierte Oberseite seiner Pastete ab und darunter kam eine dampfende Gemüsebrühe zum Vorschein.

„Der Grund für diesen kleinen Festschmaus bist ganz allein du meine Liebste. Ich hoffe Geshla kann es verkraften, dass ich diese Leckereien aus ihrer Küche dafür habe verwenden lassen. Nachdem wir den ganzen Ärger im Wall überlebt haben, fühle ich mich wie neu geboren. Deswegen feiern wir heute gemeinsam nicht nur deinen, sondern auch meinen Tsatag.“

Natürlich, ihr Tsatag, wo hatte sie nur wieder ihre Gedanken gehabt? Leomara musste schmunzeln, hatte sie ihn doch über den Tag hinweg erfolgreich verdrängt…bis sie Alwene aufgesucht hatte. Der Besuch bei ihrer alten Amme war nicht sonderlich erquicklich gewesen. Die hatte ihr geraten in Zukunft ein wenig mehr auf sich zu achten, damit, wenn sie doch einmal Tsas Segen ereilte, sie nicht schon aussähe wie eine alte Frau. Entschlossen diesen dummen Satz zu verdrängen, lächelte sie Unswin an.

„Auf uns…und das wir wieder heil hier angekommen sind.“

„Auf uns...und auf die Herrin Rahja, der ich gedenke den restlichen Abend zu widmen...“

Dann griffen beide hungrig zu den Löffeln. Nach der kargen Kost in den Bergen ließen sie sich gerade genug Zeit beim Kauen um die vorzügliche Süße der Speisen zu würdigen und gleichsam verschlangen sie sich gegenseitig mit den Augen. Neben ihnen verströmte der große Badezuber inzwischen seinen einladenden Rosenduft.