Geschichten:Lechmunde erwacht

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Gut Katterquell, Efferd 1041 BF


Lechmunde erwachte. Die Bettvorhänge waren noch zugezogen, aber durch einen Spalt drang ein Strahl der Praiosscheibe auf die zerwühlten Laken. Mit den Augen folgte sie den Staubfäden, die auf dieser Brücke aus Licht einer größeren Freiheit jenseits der schweren alles verdunkelnden Stoffbahnen entgegen zu tanzen schienen. Wäre sie nur selbst solch ein Staubfädchen und könnte sich dem Reigen unbeschwert anschließen! Doch nur allzu kurz währte der Moment, denn sie spürte, wie etwas fast zäh ihre Schläfe herunterlief und auf ihre Hand tropfte, deren Haut sich schon ganz verklebt anfühlte. Metallischer Blutgeruch drang in ihre Nase – ihr Blut.

Ihr Kopf begann zu pochen und nicht nur der. Der Schmerz kam zurück. Der Schmerz in den Armen, mit denen sie sich vergeblich gegen seine Schläge verteidigt hatte; der Schmerz in den Handgelenken, die er mit seinen Pranken wie mit Schraubstöcken umklammert hatte; der Schmerz in der Schulter, als er ihr den Arm auf den Rücken gedreht hatte. Der Schmerz um ihre Taille, wo er sie krampfhaft fester und fester an sich gedrückt hatte. Der Schmerz in ihrem Schoß, in den er mit Gewalt eingedrungen war, grunzend wie ein geiler Keiler.

Sie hatte gewusst, was passieren würde. Sie hatte es – sie hatte ihn – herausgefordert. indem sie ihm nicht so zu Willen war wie sonst. Warum eigentlich? Warum jetzt?

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Nur einmal zuvor hatte sie sich gewehrt, damals. Irgendeiner aus dem Gesinde musste ihm erzählt haben, als sie das erste Mal geblutet hatte, zwei Jahre, nachdem er sie als Mündel – auch nur ein besseres Wort für Gefangene – mit nach Gut Katterquell geschleppt hatte. Bis dahin hatte er sie immer nur abschätzig angesehen und ansonsten kaum eines Wortes gewürdigt. Aber zwei Wochen darauf hatte er sie am Abend zu sich in die Kammer kommen lassen und ihr deutlich zu verstehen gegeben, was er von ihr erwartete. Sie hatte sich geweigert. Er hatte sie grün und blau geschlagen und sich dann genommen, was er wollte; gegen seine Bärenkräfte hatte sie keine Chance gehabt. Neben den niederhöllischen Schmerzen war ihr sein übel nach Schnaps riechender keuchend ausgestoßener Atem im Gesicht stets in Erinnerung geblieben.

Nach dieser Erfahrung hatte sie sich in ihr Schicksal ergeben, aber immer noch insgeheim gehofft, dass ihr irgendjemand zu Hilfe eilen, diesen Albtraum beenden und sie befreien würde. Ihre Mutter. Ihre Onkel. Die Götter. Irgendwer. Doch niemand kam. Und an eine Flucht war nicht zu denken. Die Mauern des abgelegenen Gutshofes am Rande des Feidewalds waren hoch, die Dienerschaft wachsam und die Hundemeute ihres Peinigers erstklassig für jegliche Hatz ausgebildet, wie er ihr immer wieder versicherte. Besuch empfing der Ritter selten und falls doch, dann zwang er Lechmunde, die richtigen Antworten zu geben, wenn sie gefragt wurde und ansonsten den Mund zu halten.

Als sie schließlich mit fünfzehn schwanger wurde, ließ er sie zwar in Ruhe, dafür aber einen Geweihten kommen, vor dem er mit ihr im Beisein von einigen wenigen, noch weniger freundlich dreinblickenden Mitgliedern seiner vermaledeiten Sippe den Ehebund einging, nachdem er ihr die Konsequenzen eines Nein wiederum sehr ausführlich klar gemacht hatte. Ein großes Talent jenes Geweihten war es offenbar gewesen, keine Fragen zu stellen. Sein größtes dagegen bestand im Vermögen, das Hochzeitsbier in unglaublichen Mengen in sich hineinzuschütten und trotzdem noch sicheren Fußes das wackelige Brett über die Jauchegrube am Schweinestall zu überqueren, im Gegensatz zu einem seiner Zechkumpanen, der am nächsten Morgen nur tot aus dem stinkenden Pfuhl gezogen wurde.

Lechmunde gebar mit Hilfe einer alten Wehmutter das Kind, einen kleinen schwächlichen Jungen. Der Vater besah sich das Bündel in ihren Armen, brummte einen Namen, Tordan, in seinen ergrauten Schnauzbart - und nahm es ihr weg. Erschöpft von der schweren Geburt rang sie danach mehrere Wochen mit einem heftigen Fieber, nicht, dass es irgendjemanden in ihrer Umgebung gekümmert hätte. Zumindest bis eines Tages der Schwingenfelser auf dem Gut erschienen war. Er hatte sich nach ihr erkundigt und zunächst hatte der Gastgeber eingedenk ihres Zustandes abgewiegelt, doch der Pulether Kronvogt hatte darauf bestanden, sie zu sehen. Und dann war die Lage eskaliert, als er von der Schwangerschaft und der Hochzeit erfuhr. Er verlangte ihre Auslieferung, doch der Hausherr hatte rundweg abgelehnt. Ein Wort ergab das andere, man drohte sich und es hätte nicht viel gefehlt, dass die Schwerter gesprochen hätten. Doch am Ende zog der Schwingenfels im Zorn mit seinem Gefolge ab und ließ Lechmunde ebenso wie die langjährige Freundschaft zu seinem ehemaligen Schwertvater zurück.

Gleichwohl gab dies den Anstoß zu einer Veränderung. Offenbar hatten die Götter doch noch etwas mit ihr vor, denn Lechmunde erholte sich, wenn auch langsam. Ihre Umgebung behandelte sie zwar immer noch herablassend, aber nicht mehr gänzlich gleichgültig und sogar ihr Peiniger schien durch den Vorfall geneigt zu sein, ihr das Leben etwas zu erleichtern, zumindest schlug er sie nur noch selten. Dass er wenigstens Respekt vor der Macht des Schwingenfelsers hatte, gab ihr innerlich Kraft. Nun durfte sie Briefe schreiben und empfangen, jedoch kontrollierte er selbstverständlich den Inhalt und die Boten waren allesamt seine Kreaturen. Er nahm fortan nächtens mit einer drallen Bauerndirne aus Mümmelmannshag in seinem Bett vorlieb und überließ Lechmunde eine winzige Dienstbotenkammer, was sie schon gar nicht mehr als Demütigung, sondern als Befreiung empfand. Immer öfter bekam sie Tordan zu sehen und trotz allem brachte sie es nicht übers Herz, das kleine Wesen zu hassen, denn der Junge gab ihr auf wunderbare Weise Halt. Sie begleitete seine ersten Schritte und hörte seine ersten Worte, spielte mit ihm und tröstete ihn, wenn er hingefallen oder müde war. Mitunter durfte er sogar bei ihr schlafen. Er war ihr Kind.

Vier weitere Jahre gingen so ins Land. Dann kam die Einladung ihrer Mutter zu deren 60. Tsatag und zu ihrer großen Überraschung hatte ihr Mann erlaubt, dass sie dieselbe annehmen durfte. Aufgeregt wie ein kleines Kind war sie gewesen, dass sie das erste Mal nach so langer Zeit die unmittelbare Umgebung des Guts verlassen würde. Am Vorabend der Abreise brachte er ihr drei Dinge: neben einem Kleid nach der neuesten Garether Mode ein mit einer trüben Flüssigkeit gefülltes Tonkrüglein und ein silbernes Kettchen. Er hieß sie zu trinken und die Kette anzulegen. Als sie sich nach dem Warum erkundigte hatte er sie erst unerwartet heftig in den Bauch geboxt und, als sie sich mühsam wieder aufgerappelt hatte, gemeint, das wäre seine Rückversicherung, dass sie weder ein falsches Wort sagen noch die Flucht ergreifen würde. Beides würde ihr unweigerlich ein qualvolles Ende bereiten. Unter den wachsamen und strengen Augen eines der engsten Spießgesellen ihres Gatten als Begleitung und mit einem Herz, in dem Furcht und Hoffnung miteinander rangen, war sie schließlich abgefahren.

Als sie am dritten Tag danach noch völlig in Sorge ob der dramatischen Ereignisse auf der Feier in der Reichsstadt und das Schicksal ihrer Mutter zurückkehrte, empfing sie ihr Gemahl bereits in der Toreinfahrt mit finsterem Blick. Er nannte sie eine Hexe, zerrte sie an den Haaren aus der Kutsche und prügelte sie über den Gutshof ins Haus. Unter den Schlägen wurde ihr nach und nach klar, was der Grund für seinen Zorn war: Der Junge – Tordan – war magisch begabt. Er würde nicht erben dürfen.

Sie wusste, was kommen würde. Sie wehrte sich nicht. Sie ertrug es, wenn seine Hände grob ihren Körper betatschten. Sie ertrug es, wenn er erst wieder keinen hochbekam und sie zwang, alles zu tun, dass es doch noch klappte. Sie ertrug es, wenn er sich mit seinem massigen Leib über sie schob, dass es ihr schien, er würde sie im nächsten Moment erdrücken. Sie ertrug es, wenn er sich in sie ergoss, stöhnend und zuckend wie eine verendende Sau. Sie spürte es kaum noch. Sie spürte sich kaum noch. Den Jungen hatten sie ihr weggenommen. Vielleicht war er schon gar nicht mehr am Leben. Die Briefe waren im Kaminfeuer gelandet und ihre Welt wieder auf den Gutshof zusammengeschrumpft. Nur seine grässliche Verwandtschaft kamen mitunter vorbei und sie las in ihren kalten Blicken, was diese dachten: Wenn der alternde Patriarch kinderlos blieb, würden sie erben. Zu diesem Ziel aber stellte Lechmunde ein Hindernis dar; eines, das man womöglich aus dem Weg räumen musste.

Es war ihr egal, und sie hatte bereits überlegt, ob sie ihrem Elend nicht selbst ein Ende setzen sollte, denn da war nur noch Leere in ihr. Aber so einfach wollte sie es dem gehassten Mann denn doch nicht machen. Als er spät am letzten Abend besoffen in die Kammer gepoltert kam, hatte sie sich ihm widersetzt, ihn gereizt und beleidigt, in der jähen Hoffnung, dass er einmal vollends die Beherrschung verlieren und sie endlich übers Nirgendmeer schicken würde. Doch den Gefallen hatte er ihr leider nicht getan, sondern sie nur blutig und halb bewusstlos geschlagen, bevor er sein Gelüsten befriedigt hatte und irgendwann eingeschlafen war.

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Still lag Lechmunde zusammengerollt in der einen Ecke des Bettes. Der Schmerz bedeutete nichts mehr. Die fortdauernde Angst, die sie trotz allem verspürt hatte, war fort. Je länger sie selbst bewegungslos dem wandernden hellen Strahl mit den Augen folgte, desto lichter und stärker kam er ihr vor, so, als verdrängte er das übermächtige Dunkel. Seltsam. Dabei hatte sie immer gedacht, dass sich der Seelenrabe in einem grauen Nebel ankündigen würde.

Die Bettdecke raschelte und sie lauschte. Er wälzte sich im Schlaf auf die andere Seite und schmatzte dabei wie ein Säugling an der Mutterbrust. Dann stockte sein regelmäßiges Schnarchen und ein Röcheln ertönte. Sie konnte es nicht direkt sehen, aber sie fühlte, dass seine Glieder angefangen hatten, unkontrolliert zu zittern. Krampfhaft griff er sich nach Luft japsend an die Brust. Lechmunde setzte sich auf und zog den Bettvorhang ein Stück zur Seite. Mehr Licht strömte herein und sie konnte nun deutlicher wahrnehmen, was vorging. Sein schnauzbärtiges Gesicht wirkte fahl und kalter Schweiß stand auf seiner Haut. Der sonst so robuste Mann wand sich unter heftigen Schmerzen, während er hilflos mit den Beinen scharrte, ähnlich einem Käfer, den man auf den Rücken gedreht hatte. In seinen weit aufgerissenen Augen meinte sie gar so etwas wie Angst zu erkennen. Seine Lippen formten zwar Worte, doch seiner Kehle entrangen sich nur unartikulierte Stammellaute. Schier endlos dauerte sein plötzlicher Kampf, die Panik gab ihm wohl noch einmal zusätzliche Kräfte. Doch schließlich wurde sein Aufbäumen schwächer und ein letztes Röcheln verstummte. Seine aus den Höhlen gequollenen Augen stierten glasig gen Betthimmel und die verkrampften Pranken stellten ihr zielloses Zucken ein.

Lechmunde überwand den Schwindel, der sie gepackt hatte und stand langsam auf. Es war vorbei. Ohne den Toten aus den Augen zu lassen, kleidete sie sich an. Sie fühlte sich so leicht wie nie zuvor in ihrem Leben, getragen vom hereinströmenden alles überflutenden Morgenlicht. Als sie fertig war, ging sie schwankend zur Tür. Dort hielt sie inne, kehrte noch einmal um und zog den Bettvorhang zu.

„Fahr in die Niederhöllen, Borstefred von Katterquell.“