Geschichten:In Amt und Würden - Nichts Gutes aus dem Westen

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Reichsstadt Hartsteen, 5. Namenloser 1040 BF, abends

Die Luft stand stinkend stickig in den vor Hitze wummernden Gassen der Reichsstadt. Die meisten Fenster waren fest verriegelt, es lohnte nicht sie zu öffnen, denn auch in den Abendstunden kühlte es sich nicht ab. Das Praiosmal senkte sich zum letzten Mal in diesem Jahr dem Horizont entgegen und färbte die wenigen Wölkchen am Abendhimmel in ein leuchtendes Purpur.

Die Stadt hielt den Atem an. Wie jedes Jahr hatte man in tiefem Gebet das Ende der fünf namenlosen Tage erfleht. Und wie jedes Jahr deuteten die sattsam von sich selbst überzeugten Bürger das Ausbleiben größerer Vorkommnisse für den eindeutigen Beweis ihres vollkommenen Glaubens und des Beistands der in dieser Zeit so sehr geschwächten Götter. Wieder einmal hatte man dem Bösen getrotzt, man konnte mit voller Zuversicht in das nächste Jahr eintreten.

Die bedauernswerten Torwärter am letzten Tag des Jahres, mit dem Los bestimmt und durchtränkt von ihrem eigenen stinkenden Schweiß, wedelten sich in ihrer kleinen Torkammer am Garether Tor mit einem dreckigen Tuch Luft zu, während sie auf einem grob gezimmerten Holzschemel zum Zeitvertreib ihre Knochenwürfel warfen. Sie erwarteten niemanden, außer die Schrecken des Namenlosen und seinen Horror. In den länger werdenden Schatten über der Torbrücke wähnten sie bereits die Ratten in die Stadt hineinschleichen, um sich am Reichtum der Händler und der Götterfürchtigkeit der Bürger gütig zu tun.

Die einsame Gestalt auf der Reichsstraße, langsam reitend auf einem ziemlich dürren ausgemergelten Klepper und gekleidet in leichte luftige Stoffe, bemerkten sie erst, als die Geräusche der klappernden Hufeisen von den stolzen Stadtmauern zurückgeworfen wurden. Hektisch packten die drei Büttel ihre langen Spieße, flüsterten ein Stoßgebet und machten sich bereit, im Kampf um ihre Stadt gegen die Dämonen des Namenlosen heldenhaft zu bestehen oder getötet zu werden.

Vor dem verschlossenen und verriegelten Tor glitt der fremde Reiter von seinem Pferd und pochte dreimal kräftig an die Schlupftür. Ein Sichtfenster wurde geöffnet und eine schroffe Stimme erkundigte sich: »Was willst du, Kerl?«

Schweigend kramte die Figur, die inzwischen fast vollständig im Schatten der Stadtmauer verschwunden war, aus einer Gürteltasche ein Stück Pergament hervor. Ein großes schweres Siegel hing daran herab. Offenkundig eine kaiserliche Urkunde. Wäre der Mann hinter dem Tor des Lesens kundig gewesen, das nötige Licht hätte ihm dazu gefehlt.

»Öffne mir die Tür und dann geh los und sage den Mitgliedern des Stadtrates, dass ich sie morgen pünktlich zum Sonnenaufgang im Rathaus vollständig in ihren besten Kleidern erwarte.«

Unsicher zögerte der Büttel und suchte Blickkontakt zu seinen Kumpanen. »Hoher Herr, äh, aber… nun ja, um diese Zeit… ich meine, wo doch die letzte lange Nacht anbricht, da kann ich doch die hohen Herrschaften des Stadtrates nicht behelligen. Bei Praios.«

Tief und hörbar atmete der Fremde ein, bevor er antwortete: »Ich werde mich nicht wiederholen. Im Namen der Kaiserin des Reiches, als deren Stellvertreter ich hier die Geschäfte der Stadt übernehme, ich sage es nun zum letzten Mal: Öffne die Tür.«

Hinter der Stirn des Büttels arbeitete es sichtbar. Dann aber hörte man, wie der Schlüssel im schweren Türschloss umgedreht wurde, und mit einem durchdringenden Quietschen öffnete sich die Schlupftür. Ohne die Torwächter eines weiteren Blickes zu würdigen betrat der neue Ratsmeister die Reichsstadt, sein Pferd am Zügel und mit leichtem Gepäck. Und während die Tor mit einem lauten Schlag zugeschlagen wurde, huschte ein kleiner, schwarzer Schatten über die nächtliche Torbrücke. Die erste Ratte hatte die Stadt in Richtung Gareth verlassen.