Geschichten:Hartsteener Herbst - Anderthalb Ohren

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Stadt Hartsteen, 26. Travia 1030 BF

Durch die beiden Schlitze nehme ich die Menge wahr. Sehe Erstaunen in manchen Augen, in anderen Genugtuung, und in wieder anderen nur die Lust am Spektakel des Blutes, das in wenigen Augenblicken durch meine Axt vollzogen und ebenso ein jähes Ende wie einen plötzlichen Anfang nehmen wird.

Es riecht nach Spezereien. Selbst unter der muffigen Kapuze nehme ich den schweren Duft kandierter Früchte des Herbstes wahr. Die fleißigen Schankleute von Hartsteen haben es sich nicht nehmen lassen, ihren Teil zum grausigen Spiel beizutragen. Ein wenig stört er mich, dieser Geruch, denn er verdeckt den Gestank des vor Angst schwitzenden Orken vor mir auf dem Richtblock. Und wie gerne würde ich seine Angst riechen ...

Rache für Greifenfurt. Nach all den Jahren. Sie ist es noch immer, meine Motivation, die mich antreibt. Vergeltung für Bekannte, Freunde, Familie. Auf eilends zusammengezimmertem Podest erhebt sich nun der Ratsmeister der Stadt, Frankward von Hirschenrode. Ein Blick seiner stechenden Augen und die Menge verstummt, klebt wie gebannt an seinen Lippen. Aber nein, nicht alle. Dort drüben ein verächtliches Lippenschürzen, da hinten ein resigniertes Kopfschütteln.

„Hier und heute“, ruft er aus, „soll des Herren Praios Gerechtigkeit über den Dächern und in den Gassen unserer Stadt strahlen. Hier und heute, da gerichtet wird der infame Mörder unseres geliebten Adhemar von Hartsteen-Beisweil. Ergriffen, geständig und nun bereit für seine schändliche Tat zu bezahlen!“ Die Menge jubelt. Nein, wieder nicht alle. Ich spüre die Spannung in der Luft. Irgendetwas wird geschehen. Wenn nicht heute, dann bald. Ich greife dem Delinquenten ins Haupthaar und presse seinen Kopf auf den Block. Wäre er ein Mensch, würde er mich beinahe dauern, so kläglich ist er. Die Spitze seines rechten Ohres in irgendeinem Kampf verloren, das Fell zerzaust, verlaust.

„Henker, walltet Eures Amtes!“ schallt es dort vom Hirschenroder über die Köpfe der Menge hinweg.

Und ich hebe die Axt. Und ich halte inne in kurzem Gebet. Und ich lasse die schwere Waffe hernieder sausen.

Für die Gerechtigkeit. Für die Ordnung. Für Greifenfurt. Und für meine lederne Kette, an der in Kürze anderthalb Ohren mehr baumeln werden.


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