Geschichten:Grauen am Darpat - Traurige Gewissheit

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Dramatis Personae


Krankenlager im Stall

Sie merkte sehr wohl, wie ihr Bein allmählich wieder an Beweglichkeit hinzu gewann, und hoffte inständig, dass es sich nur um eine schmerzhafte Stelle handeln würde, die vom Aufprall des Keilers herrührte sie aber morgen schon nicht mehr so beeinträchtigen würde. Ihr Körper war robust, und sie war alles andere als zart besaitet.

„Ich brauche sauberes Wasser, saubere Kleidung oder Tücher Tjalf. Ein wenig Brand oder ähnliches wäre auch nicht schlecht....vielleicht hat ja jemand was dabei!“ So vorsichtig wie es nur ging begann Leomara die Kleidung des Hafenmeisters zu entfernen, nachdem er auf einer Decke im Stroh zu liegen gekommen war. Mit dem Hemd, das ohnehin völlig zerfetzt war, gab es keine Probleme. Einzig an den Wundrändern bedurfte es einigen Fingerspitzengefühls. Ihr wurde leicht übel, als sie die zerfetzen Stellen auf dem Rücken begutachtete und vorsichtig zu reinigen begann. Das würde einiges an Zeit kosten. Ihr begann Schweiß von der Stirn zu perlen. Wie von selbst formten sich dabei die Worte zu Ehren des Heiligen Anconius auf ihren Lippen und sie begann leise das Gebet zu sprechen.

Der Geweihte betrachtete die Wunden des Hafenmeisters, krempelte sich spontan die Ärmel hoch und wusch sich die Hände. Er kniete sich vor ihm nieder und nahm seine Hände. „Ich werde für ihn beten, so dass er den nächsten Morgen noch erlebe.“ Mit dem Einverständnis von Leomara begann er leise.

„Oh, Herrin Rondra und Peraine und ihr anderen der Zwölfe Alverans, schenkt diesem Sterblichen von der Lebenskraft für die Sumu gestorben ist. Dieser Leib ist geschlagen und zerschunden in Bitterkeit und Schmerz und bedarf in Eurem Namen der Heilung.“ Alexis betete und wusste im Vertrauen zu den Göttern, dass der Segen dem Hafenmeister neue Kraft geben wird. Doch betete er weiter zu Rondra und Peraine, denn es waren die Wunden, die ihm zusetzten.

Die Gebete, deren Wortlaut Leomara geläufig waren, betete die Rittfrau mit dem Geweihten. Sie sah vor sich die lustige Kinderschar Arns und seine immer gut gelaunte Frau mit den roten Haaren und den Sommersprossen vor sich und im Magen wuchs ein dicker Klumpen an, der sie dazu brachte ein paar Tränen zu vergießen. Doch die Wege der Götter und das was sie für einen bereit hielten waren unwegsam und oft unverständlich. In Demut hoffte sie einfach, dass diesem Mann noch ein langes Leben im Kreis seiner Lieben beschert sein mochte. Die Anwesenheit von Alexis wirkte sich dabei sehr beruhigend und bestärkend auf Leomara aus. Einen Moment lang glaubte sie gar in einiger Entfernung Donnergrollen vernommen zu haben.

Derweilen versorgte Kor’win seine Wunde am Arm. Die Fetzen des Ärmels hatte er abgerissen und mit etwas Wasser die Wunde gereinigt. Zufrieden stellte er fest, dass die Muskeln und vor allem der Knochen nicht wirklich etwas abbekommen hatten, sondern dass es mehr eine Fleischwunde war. Diese würde heilen. Sorgen macht er sich mehr um den Gemütszustand Kains. Der Junge gab zwar immer den Starken und behielt bei der Jagd die Nerven. Doch einen tödlichen Kampf oder eine solch zerfetzte Leiche hatte er noch nie gesehen. Kor’win sah Kain förmlich vor sich, wie dieser als kleiner Junge zusammen mit ihm durch die Ausläufers des Walls zogen und wie er alles wissbegierig in sich auf sog, was Kor’win ihm beibrachte. Der alte Nebachote musste lächeln. Oh ja, er liebte Kain, selbst wenn dieser nicht aus der Frucht seiner Lenden entstammte, so liebte er ihn doch wie seinen eigenen Sohn.


Der düstere Turm

Nun, da ein Feuer direkt in seiner Nähe züngelte und die Anspannung der Sorge von ihm gefallen war, bemerkte der Edelknappe wie müde und geschunden er sich eigentlich fühlte. Nur noch schnell diesen Inspektionsgang, dann könnte er endlich schlafen. Überraschender Weise hatte sich ihro Gnaden Alexis selbst an die Spitze ihrer Erkundungstruppe gestellt. Dann folgte Unswin und zuletzt Selinde. Doch kaum traten sie an den Turm heran, sahen sie es. Die Tür... sie musste aus ihren Angeln förmlich gesprengt worden sein. Solche Bilder kannten sie nur von Belagerungen. Doch bei näherer Betrachtung fanden sich auch tiefe Riefen im Holz. Kratzspuren, wie durch... Krallen verursacht.

Alexis ging voran, erst gerade spürte er bei seinem Gebet die Göttin Rondra so nahe bei ihm. Mit seinem Schwert in der rechten Hand machte er einen Schritt nach vorne und drückte mit der anderen die beim Durchgang störenden Türelemente beiseite.

Einen Moment hatte Unswin sich die Krallenspuren näher angeschaut. Ein Frösteln überkam ihn, als er an die geraden Schnittkanten der Wunden von dem Schafskadaver dachte. Ja, solche Krallen mochten durchaus Wundränder wie ein Messer hinterlassen. Er umschloss seine Waffe fester und seine überreizten Sinne waren aufs Äußerste angespannt, als er hinter dem Geweihten durch das zerstörte Portal schritt…

Der erste Raum, der nun folgte spiegelte erneut das Ausmaß an Zerstörung und Verwüstung, das schon die an sich massive Tür geboten hatte. Umgestürzte Tische und Stühle, die allesamt zerborsten waren. Ein Geruch nach Urin und Blut überschwemmte sie förmlich, als sie weiter in den Raum traten.

Das Licht der Fackel von Selinde warf seltsame Bilder an die Innenwände des Turms, doch schaute sich der Geweihte sorgfältig um. Sich wieder auf dem linken Fuß erwischen zu lassen wie beim Ferkel, wollte er heute nicht noch mal zulassen.

Der Edelknappe bewegte sich sofort zur Linken des Geweihten um seine Seite zu decken. Dabei achtete er darauf mit dem Rücken zur Mauer zu stehen um weniger Angriffsfläche zu bieten. Irgendetwas war hier in diesem Raum passiert und er hatte nicht vor sein Blut zu dem auf dem Boden hinzufügen zu lassen.

Der Raum musste einst die Wachstube gewesen sein. Das spärliche Inventar, das völlig zerstört war, ließ zumindest darauf schließen. Langsam tastete sich der Geweihte vor. Er musste dabei immer wieder zertrümmerte Gegenstände umgehen. Selbst das ungeübteste Auge musste erkennen, dass hier ein Kampf stattgefunden hatte. Einmal musste Alexis schlucken. Sein Fuß wäre fast auf eine abgetrennte Hand getreten. Vorsichtig setzte er den Fuß einige fingerbreit seitlich ab. „Seht!“ flüsterte Selinde und deutete an eine Stelle an der Wand zur Treppe hin, die nach oben führen musste. Dort war die Wand rotbraun verfärbt, so als habe jemand mit einem riesigen Farbeimer versucht die Wand umzugestalten. Jeder von den Rittern wusste jedoch, um welche ‚Farbe‘ es sich hierbei handelte. Vorsichtig tasteten sie sich weiter. Die Treppe führte im Uhrzeigersinn nach oben und war gänzlich aus Stein. Auch hier erkannte selbst das ungeübte Auge immer wieder gleichmäßige Kratzspuren in den Stufen. Der Blutgeruch wurde jetzt immer intensiver. Unswin musste an den zerteilten Leichnam denken. Was würde sie oben wohl erwarten? Alexis spitzte alle Sinne um auf einen plötzlichen Angriff vorbereitet zu sein. Er mochte Kämpfe in engen Gemäuern nicht, doch ließ es sich hier nicht vermeiden. Vorsichtig ging er weiter….


Oben im Turm

Als die Drei das erste Stockwerk betraten fanden sie die Ersten. Sie vermuteten, dass es ich bei den beiden um jeweils einen Mann und eine Frau gehandelt haben musste. Ihre Leichen waren fast völlig bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Im tanzenden Licht der Fackel konnten sie erkennen, dass man sie wohl im Schlaf überrascht hatte und ihnen nur wenig Zeit blieb zumindest das Nötigste an Kleidern anzuziehen, bevor die Niederhöllen über sie hinein gebrochen waren. Beiden Leichen fehlten einzelne Gliedmaßen, so als habe irgendjemand sie abgerissen, abgebissen oder abgetrennt. Beide schienen sie förmlich ausgeweidet zu sein, während die Schädel nur noch aus einziger Klumpen getrockneten Blutes, stinkenden Fleisches, geborstenen Knochen und vereinzelten Haarsträhnen bestanden. Selinde schätzte, dass hier wohl acht Betten gestanden haben mussten.

„Bei Rondra, dies kann kein normales Tier gewesen sein.“ Er überlegte über welche immense Kraft dieses Untier verfügen musste. Er blickte nach oben um zu sehen, wie hoch der Raum ungefähr war. Unswin zeichnete schnell das Zeichen Praios’ in die Luft. Das hier konnte einfach nicht natürlich sein. Er fühlte sich wieder an die Schwarzpelze und ihre Untaten erinnert, aber die Kratzspuren auf den steinernen Stufen wollten dazu nicht passen. Vorsichtig schritt der Edelknappe durch den Raum und sah in jede Ecke hinein. Er wollte sicher sein, dass dieses Untier nicht noch irgendwo auf sie lauerte.

Das Stockwerk war recht niedrig gebaut, vielleicht zweieinhalb Schritt. Es hatte den Anschein, als wollten die damaligen Erbauer unnötige Baukosten durch allzu hohe Räumlichkeiten vermeiden. Als Alexis nach oben schaute, bemerkte er, dass die Treppe im Uhrzeigersinn weiter nach oben führte. 
Innerhalb dieses Raumes gab es zumindest keine Möglichkeit für das Vieh sich zu verstecken. Selbst wenn es die Fähigkeit besitzen sollte sich unsichtbar zu machen, so standen die drei Ritter doch soweit im Raum, dass sie es hätten berühren müssen. Wenn es also noch da war, dann musste es weiter oben sein. Fast gleichzeitig spähten die Drei die schmale Treppe hinauf.

Der Geweihte sprach leise. „Um sie werden wir uns später kümmern, lasst uns weiter nach oben und dort nachschauen. Gemeinsam sind wir stark.“ Er blickte beide an und folgte dann der Treppe nach oben. Dabei musste er sich etwas seitlich bewegen. Die Erbauer hatten die Treppe so angelegt, dass ein eventuell gerüsteter Angreifer nur langsam nach oben kommen würde und die Schildseite nach hinten weisen, während die Schwerthand schutzlos war. Langsam, ganz langsam gingen sie weiter. Von draußen konnten sie Kor’win sich mit Kain unterhalten hören, doch drang es nicht bedrohlich und daher schenkten sie den Worten keine weitere Bedeutung.

Kurz hielt Alexis inne, als eine braune Pfütze ihm die Treppe versperrte. Als der Geweihte daraufhin nach oben blickte sah er einen Kopf halb über der Treppe baumeln in der Fallluke zum letzten Stockwerk hin. Aus toten Augen starrte der Leichnam in seine Richtung. Der Kopf schien noch halb am Rumpf zu hängen auf den die Fallluke geknallt war. Durch einen schmalen Spalt konnten sie an dem Leichnam vorbei blicken, doch war es dort oben zu dunkel, so dass sie – selbst mit Fackel – kaum etwas erkennen konnten, solange die Luke nicht offen war. Auch einen Stiefel sahen sie am Rande der Schatten, doch ob noch ein Fuß darin steckte vermochten sie nicht zu sagen. Der Gestank war jetzt nicht mehr zu ignorieren.

Sichtlich angewidert reagierte Selinde auf den Leichenfund. Selbst in der Armee hatte sie solche Metzeleien – den Zwölfen sei Dank – nur sehr selten zu sehen bekommen und da wußte man wenigstens, gegen wen oder was man kämpfte!

Alexis lauschte ob er hinter der Luke Atemgeräusche, Bewegungen oder etwas anderes hören konnte. Viel vernahm er jedoch nicht. Er blickte nach hinten um festzustellen, dass die beiden anderen aufgeschlossen haben. Mit einem „Bei Rondra“ stieß er die Luke mit dem Schwert auf und stieg – so schnell es ging – kampfbereit die letzten Stufen zur Luke hoch. Selinde blieb dicht hinter Alexis, als dieser die Stufen hoch stürmte, damit dieser im Ernstfall einem etwaigen Gegner nicht alleine gegenüberstünde sondern sofort Unterstützung an seiner Seite hätte.

Sie mussten sich etwas durch die enge Luke zwängen, doch als sie oben angekommen waren ließ sie das, was sie sahen erschaudern. Das Untier selbst konnten sie nicht sehen, dafür hatten sie drei weitere Personen der ehemaligen Turmbesatzung, oder das was von ihnen übrige geblieben war gefunden. Zumindest schätzten sie, dass es sich um drei Menschen gehandelt haben musste, es konnten aber auch vier oder fünf gewesen sein, so genau konnten sie das auf den ersten Blick nicht genau bestimmen. Überall lagen Leichenteile, zwischen dem spärlichen und vollkommen zerstörten Mobiliar und Blut, Blut und noch mal Blut. Das Untier hatte hier oben, dort wo sich die Verteidiger zurückgezogen hatten ein wahres Festmahl gehalten. Kaum eine Stelle am Boden war frei von dem ehemaligen Lebenssaft. An einer der schießschartenartigen Öffnungen hing sogar noch ein halber Unterarm, der Hand sich an die Öffnung gekrallt hatte.

Der Geweihte steckte sein Schwert zurück. Ihm war nicht sehr wohl, doch schwanden ihm nicht die Sinne. Diese Grausamkeit, diese Mordlust… viel Blut hat er schon gesehen, doch das, was er jetzt sah noch nie. Hier hat kein Kampf stattgefunden. Es war ein Gemetzel und kein Tier würde ein solches Gemetzel anrichten, selbst wenn es Hunger hatte. Es war etwas anderes noch. Er versuchte sein Unwohlsein herunterzuschlucken, was ihm jedoch nicht wirklich gelang. Auf der Suche nach Hinweise trat er weiter in den Raum hinein und blickte sich um.

Der Vellbergerin drehte sich beim Anblick dieses Gemetzels der Magen um und nur mit Mühe schaffte sie es, ein Würgen zu vermeiden. Zwar hatte sie als ehemalige Offizierin im Kriege ähnliche Dinge schon einmal gesehen, sich aber nie daran gewöhnen können, geschweige denn wollen. Nachdem sie sich einen Moment später wieder im Griff hatte, schaute Selinde sich den Raum näher an, auf der Suche nach verwertbaren Spuren.

Unswin folgte ihr dabei. Auch der Novize schien sich dabei nicht wohl zu fühlen, konzentrierte sich jedoch auf seine Aufgabe, um dem üblen Gefühl in der Magengegend nicht nachgeben zu müssen. Es war nicht einfach den Raum zu durchsuchen. Vieles sah auf den ersten Blick recht harmlos aus, entpuppte sich dann allerdinals ein Stück blutigen Fleisches, oder eines verstümmelten Gliedmaßes.

Als Selinde einen verstümmelten Körper von den Resten eines ganz hinten im Raum stehenden Bettes umdrehte, viel ein kleines, hölzernes Kästchen zu Boden. Es schien fast so, als habe der Tote dieses wertvolle Kleinod versucht zu schützen, so gut es nur ging. Vorsichtig hob die Baroness das mit Blut bezogene Kästchen auf. Das Kästchen war recht einfach zusammengesetzt und wies nur wenige, nicht besonders geschickt angebrachte Verzierungen im Holz auf. Auf der Rückseite war ein kleiner, hölzerner Griff angebracht, den man anscheinend drehen konnte. Und als die Vellbergerin das Kästchen öffnete, erklang eine sanfte Melodie, die bis durch die Fenster nach unten hin drang. Die Melodie erinnerte irgendwie an Weiden im Wind, nur dass sie recht verzerrt und zu hell klang. Im Inneren des Kästchens befanden sich zwei sauber zusammengelegte Pergamente, die jetzt allerdings auch etwas von dem Blut abbekommen hatten.

Nachdem die Untersuchungen des Turmzimmers abgeschlossen waren, waren sich die Drei einig. Bei den Verteidigern muss es sich um drei Männer und eine Frau gehandelt haben. Von ihren Waffen hatten sie Gebrauch gemacht, doch hatte ihnen dies anscheinend nichts genützt.

Gerade als sie sich wieder umdrehten und hinab steigen wollten, warf Selinde noch mal einen Blick zurück in den Raum. Ihre Fußspuren waren deutlich in dem Dreck, Blut und Schutt zu sehen. Wieso nur, waren keine Schleifspuren vorhanden?

Draußen angekommen atmete der Geweihte tief durch und legte Unswin seine Hand auf die Schulter. „Unswin, wir haben noch eine Aufgabe zu erledigen. Geht hinter das Haus und hebt dort ein Grab aus. Ich werde die Leichname einwickeln und zu euch bringen. Sie werden ihr Begräbnis bekommen.“
Unswin nickte. Er war müde, doch nahm er seine letzten Kräfte zusammen und kümmerte sich um die Aushebung, währenddessen sorgte Alexis dafür, dass die Leichname nicht mehr – derartig wie sie waren – im Turm liegen blieben. Sie sollten ihr Begräbnis bekommen.


Draußen am Turm

Während die anderen den Turm erkundeten, hatte Kor’win sich erhoben und ebenfalls eine Fackel entzündet. Erneut ging er draußen auf Spurensuche. Der Jäger fand auch einen zweiten Fußabdruck der Kreatur und untersuchte diese genauer. Irgendetwas schien ihm daran nicht zu gefallen. Er konnte selbst noch nicht sagen, was es war und kam daher nachdenklich zu den anderen zurück. Vorsichtig untersuchte er jetzt die geborstene Tür am Turm. Behutsam strich er über die Kratzspuren und hob etwas kleines vom Boden auf, das aussah wie eine Kralle. „Lewe.“ Murmelte Kor’win vor sich hin, trat aber selbst noch nicht in den Turm, da bereits drei von ihnen dort drinnen waren und er die Verwundeten hier draußen nicht alleine lassen wollte.

„Löwe?“ Leomara war leise hinzu getreten. Sie hatte sich eben kurz hinter dem Stall erleichtert, und war nun, nachdem die anderem den Turm in Augenschein nahmen, an den alten Jäger heran getreten. Jetzt warf auch sie musternde und prüfende Blicke auf die Spuren. Ihr wurde ganz anders, wenn sie an die Kreatur dachte, die so etwas vermochte.

„Aber das kann doch gar nicht sein!“ Widerwillig legte sie ihre Hand auf die tiefen Riefen im Türblatt. Sie lagen so weit auseinander, dass sie ihre beiden Hände benötigte um sie abzudecken. Die Spuren waren nicht immer parallel. Ab und an waren sie vom Verlauf des Holzwuchses abgelenkt worden. Dort legte sie ihren Finger darauf.

„Schaut einmal hier Kor`win. Er schafft es diese Tür einzurennen, aber das Astloch lässt seine Kralle abrutschen?“ Zweifelnd schaute sich die Ritterin nach weiteren Spuren um.

Kor’win nickte. „Seltsam nicht wahr?“ Der Jäger deutete in die Richtung, wo er den zweiten Fußabdruck und dann in jene, wo er den ersten gefunden hatte.

„Beidä Fußabdrückä sehen vollkommän glaich aus.“ Er zeigte Leomara die Löwenkralle. „Sie paßt direkt in die Kratzspurän an der Tür.“ Kor’win erhob sich und schüttelte nachdenklich den Kopf. Eine solche Kreatur war ihm noch nicht unter gekommen.

„Was auch immer es war, ich glaube nicht, dass es noch hier ist. Wieso das ganze unnötige Blutvergießen? Welches Tier benimmt sich so, wenn es nicht krank, oder verwirrt ist? Ein abgerichteter Bluthund kann solche Taten im Blutrausch in der Meute begehen, aber was ist hier passiert?" Sie schaute zu den Krähen auf den Zinnen. „Wenn sie uns nur erzählen könnten was sie gesehen haben...!“

„Duann wirdän wir kotzen.“ Kommentierte Kor’win knapp, stimmte Leomara ansonsten aber zu. Ein Tier würde so etwas wirklich nicht anrichten, nicht aus eigenen Antrieben.


Es kehrt Ruhe ein.

Müde ließ sich der Edelknappe nach seinem Rundgang durch den Turm am Feuer nieder. Die Gräber waren ausgehoben, und eingesegnet worden, jetzt hatte er sich eine Pause verdient. Kopf und Rücken hatte er gegen die steinerne Mauer gelehnt. Sein Blick ruhte auf Leomara, die sich noch immer um die Wunden des Hafenmeisters kümmerte.

Sie hatte augenscheinlich keine Probleme mehr mit ihrem Bein, der Zusammenprall mit dem Eber konnte also nicht so schlimm gewesen sein. Erleichtert lächelte Unswin vor sich hin und mit Leomaras Antlitz im Geiste war er wenige Augenblicke später erschöpft eingeschlafen. Der lange und anstrengende Tag und die durchwachte Nacht davor forderten letztlich ihren Tribut.

Tjalf mühte sich redlich die Sau auszuweiden, das Fell zu entfernen und anschließend die Sau auf einem improvisierten Spieß zu braten. Kor’win unterstützen ihn dabei. Die Baroness holte derweil gemeinsam mit Kain die Boote an Land und beäugte stets kritisch die Umgebung. Kain war froh eine Ablenkung gefunden zu haben, war aber nach wie vor noch sehr still. Nicht eine anzügliche Bemerkung oder überheblicher Spruch kam über seine Lippen.


Klärende Worte

Als es wieder ruhiger wurde und die Zeit reif war kam Leomara zu Marnion um sich seine Verwundung anzusehen. Marnion war nun wieder klar und ruhig. Er sprach leise zu Leomara, da keiner der anderen in direkter Nähe war.

“Es tut mir leid Leomara wenn ich Euch verwirrt haben sollte. Ich bin nicht gut vertraut mit solchen Dingen.“ Das letzte Wort zog er etwas lang und sah Leomara fast hilfesuchend an, als wüsste sie besser was er meinte, dann machte er eine kurze Pause.

„Tut das nicht!“ Leomara sah ihn alarmiert an. „Ich gehe davon aus, dass ihr nur nicht die rechten Worte gefunden habt vorhin, vor dem Kampf.“

Ihre Körperhaltung sprach Bände, und er merkte, wie sie sich versteifte. „Ihr seid als Nachbar nach Gnitzenkuhl gereist und habt euch anderen Streitern und meiner Baronin angeschlossen um das Untier zu fangen. Das ist unsere Aufgabe.“ Sie schaute ihn eindringlich an. Trotz aller Differenzen war sie drauf und dran gewesen ihn nicht wie alle Nebachoten zu behandeln, aber sollte er sie dazu zwingen, würde sie deutlichere Worte finden müssen.

„Ihr habt recht, dazu sind wir hier.” Damit schien es für Marnion genug zu sein und er wechselte das Thema.

“Eigentlich ist das einzige was ich gut kann, Krieg führen. Da das so ist, kann ich nicht umhin etwas anzusprechen. Dir ist sicher klar, dass unser erster gemeinsamer Kampf alles andere als gut verlaufen ist. Wir sind ausgezogen mit sechs erfahrenen Kämpfern, einem Geweihten und zwei Trossleuten. Gestoßen sind wir auf eine Rotte Wildschweine von denen sich drei oder vier zum Kampf gestellt haben, davon nur ein Keiler. Wir waren also zwei bis drei zu eins in der Überzahl. es ist uns gelungen zwei der Tiere zu töten. Dafür haben wir zu beklagen. Einen Schwer-Verwundeten, einen Mittelschwer-Verwundeten, zwei Leicht-Verwundete und zwei mit Schrammen. Zudem hatten wir einen Fast-Fahnenflüchtigen. Unsere Kampfkraft hat sich durch das Zusammentreffen halbiert. Üblicherweise hätten wir höchstens ein bis zwei Leicht-Verwundete haben dürfen und müssen noch beachten dass wir die Tiere ohne Not provoziert haben, während unser eigentliches Ziel jederzeit auftauchen könnte. Wären wir stattdessen auf den Feind gestoßen, so hätte das Zusammentreffen mit Sicherheit bedeutet das unser Trupp aufgerieben worden wäre.“ Hier machte Marnion eine Pause um Leomara die Möglichkeit zu einer Entgegnung zu geben.

Sie hatte während seiner Ausführung begonnen unruhig mal hierhin mal dorthin zu wandern.

„Es ist wahr, dass wir unsere Überzahl nicht nutzen konnten, doch dies lag an dem Fehlverhalten des Hafenmeisters. Er ist ohne Laut zu geben einfach auf eigene Faust los, das darf nicht noch einmal vorkommen.“ Dann schaute sie kurz über den versammelten Haufen.

„Meine Verletzung ist nicht weiter schlimm, und auch ihr seid nur leicht verletzt. Zudem nur an der linken Schulter. Unswin ist wohlauf, sowie auch Ihro Gnaden Alexis. Die Jäger scheinen auch keine ernsthaften Verletzungen davon getragen zu haben, sowie Selinde und Tjalf.“

„Da hast Du recht. Den Göttern sei Dank”, bekräftigte sie der Nebachote. Sie schaute ihn irritiert an. Schon wieder- er hatte sie geduzt. Sollte sie ihn darauf hinweisen? Ihr war geläufig, dass die Nebachoten sie ihre Probleme hatte was das Einhalten der Etikette anging, aber da er sich sonst korrekt verhielt, fand sie es verwunderlich.

„Die Schmerzen die einige von uns jetzt leiden haben lohnen sich, wenn wir daraus unsere Lehren ziehen. Offenbar agieren und reagieren wir stark unterschiedlich, aufgrund unserer Erfahrungen und gehen aber davon aus, dass alle anderen es uns gleich tun. Die Folge davon ist ein heilloses Chaos. Wenn wir das in den Griff bekommen, dann kann uns die gemeinsame Erfahrung so die Götter wollen, befähigen dem Monster das Handwerk zu legen. Ich schlage vor klare und laute Worte untereinander so oft wie möglich zu verwenden, gerade wenn es brenzlig wird. Einige von uns sind ohnehin nicht für heimliche Aktionen geschaffen. Die Jäger können erkunden und Kontakt mit uns anderen halten. Das wichtigste aber ist, wir brauchen Führung. Leomara, Du bist unter uns die Einzige, die von allen akzeptiert wird. Sicher dem Namen nach führst Du uns bereits an, aber Du musst Deine Führung auch bei uns einfordern. Wir sind heißblütige Männer und Frauen. Nimm uns mit auf Deinem Blutpfad, dann werden wir das unsere tun und Dir auch unser Leben anvertrauen. So werden wir als Einheit kämpfen, die Götter stolz machen und siegen oder ehrenhaft sterben und wieder geboren werden.“ Nicht fordernd kamen die Worte von Marnion, sondern vielmehr bat der große und kräftige Nebachote, die eher zierliche raulsche Ritterin um ihre Führung.

Mit offen stehendem Mund starrte sie ihn nun direkt an. Sie war kurz davor ihn zu schütteln und ihm entgegen zu schreien, dass sie NUR Leomara sei. Nicht mehr und nicht weniger, doch stattdessen holte sie tief Luft, und schloss die Augen. Bei einigen Punkten hatte er recht, doch diese Sache mit dem Blutpfad...sie schüttelte den Kopf.

„Marnion, wenn ihr von mir redet, habe ich immer das Gefühl, als ob ihr nicht wüsstet, wen ihr vor euch habt. Dennoch eines steht fest: ich werde heute, nein jetzt gleich noch festlegen wer mit wem weiterhin Seite an Seite streiten wird. Wie wir koordiniert im Falle eines Kampfes vorgehen und welche Kommandos sinnvoll wären.“ Da sie nicht vor hatte weiter aus seinem Mund Dinge zu hören, denen sie nicht gewachsen war, ging sie schnell zurück an das Feuer zu den anderen.



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Texte der Hauptreihe:
1. Rah 1032 BF zur nächtlichen Efferdstunde
Traurige Gewissheit
Peraine hilf


Kapitel 31

Taktische Überlegungen
Autor: Alex N.,Eslam, Hermann K.,Nicole R., Marcus F., Robert O.