Geschichten:Faust des Ostens Teil 18 - Neue Chance

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Löwenburg zu Perricum, Anfang Praios 1034

Dramatis Personae:
- Aldron von Firunslicht, mgfl. Heermeister vom Darpatmund, Landvogt zu Arvepass
- Ciarda Wulfsige von Firunslicht-Oppstein, seine Nichte, ehemals im Bund der Stahlherzen

Es war kurz vor der zweiten Stunde nach Mittag und der Göttindienst würde bald beginnen. Sie mußte sich beeilen, wollte sie nicht zu spät kommen. Gerade wollte sie aus dem Schatten des Gebäudes auf den sonnigen Hof treten, da stieß sie mit jemandem zusammen, der von eben dort versuchte, den eifrig brennenden Strahlen Praios zu entfliehen. "Uffa, nicht so stürmisch, Ciarda. Diese Tür gehört dir nicht allein." Hastig biss sie sich auf die Lippe, als sie die Stimme hörte, und schluckte die geharnischte Äußerung hinunter, die ihr auf der Zunge lag. Stattdessen sagte sie: "Verzeiht, euer Gnaden. Ich war lediglich bemüht, rechtzeitig zur Messe zu erscheinen." Der Geweihte nickte knapp und ließ es vorerst dabei bewenden. "Du hast Besuch. Ich denke, du solltest dich noch eben darum kümmern, bevor der Göttindienst beginnt. Dort drüben, im Hof." Als sie seinem Fingerzeig folgte, wurde sie einen Augenblick von einer metallischen Reflexion geblendet, dann erkannte sie den Ankömmling. Einen Dank hin zu ihrem Boten murmelnd, machte sie sich leicht widerstrebend auf den Weg.

Ciarda Wulfsige von Firunslicht-Oppstein hatte kein sonderlich inniges Verhältnis zu ihrem Onkel. Damals, als sie erfahren hatte, dass sie tatsächlich mehrere Onkel hatte, hatte sie diese wie den Rest der Familie verdammt. Darüber war sie hinweg, aber der Bruder ihrer Mutter machte es nicht leicht, mehr als distanzierten Respekt für ihn zu empfinden. Das tat sie, auch wenn sie es selbst vor sich selbst ungern zugab. Sie wußte zudem auch nie, wie sich ihm gegenüber verhalten und hatte stets das Gefühl, dass er an ihr etwas auszusetzen hatte. Jedermann wußte, dass Aldron von Firunslicht sehr penibel war und seinen Untergebenen selten etwas durchgehen ließ. Umso unangenehmer würde das nun folgende Gespräch werden, denn der Grund ihres Aufenthaltes hier war ihm bestimmt nicht verborgen geblieben, auch wenn er reichlich spät kam, sie zu schelten, wie sie zugeben mußte.

Bei ihm angekommen, legte sie die Faust an die Brust zu einem knappen Kriegergruß. Er tat es ihr gleich, ernst zwar aber ohne tadelnden Blick. "Ich grüße euch, Euer Excellenz, und wünsche auch alles Gute für euer neues Amt." Aldron, mithin seit wenigen Wochen Heermeister des Markgrafen, nickte kurz. "Rondra zum Gruße. Meinen Dank für eure Wünsche - es ist einiges zu tun. Ich will auch wenig Zeit verschwenden: Wie lange dauert deine Buße im Zeichen der Leuin noch?" Da war das heikle Thema auf dem Tisch, wenn auch noch das harmlose Ende. Ciarda beeilte sich zu antworten: "Noch ein viertel Jahr, Excellenz. Mein Dienst endet im Travia." - "Travia." Ihr Onkel schien unzufrieden zu sein. "Nun, seis drum. In Wehrheim hast du zuletzt Bewaffnete in den Kampf geführt?" Ciarda nickte etwas verwirrt. Sie konnte sich nicht ausmalen, worauf er nun hinaus wollte. "Ja. Bis letzten Sommer habe ich des öfteren für Rappenfluhe Dienst an der Reichsstraße geleistet. Dabei war ich natürlich nicht alleine." Aldrons Miene deutete darauf hin, dass er nachdachte. Schließlich brach er sein nicht zu langes Schweigen: "Haben die Diener der Göttin geschafft, dir den Wert von Disziplin beizubringen? Oder zumindest deine Selbstbeherrschung etwas geschult?"

Ciarda brauste auf: "Es war ein Duell. Und er hatte angenommen." Dann atmete sie einmal tief durch. "Gut, hätte nicht sein müssen. Aber die Situation war halt so." Der Mann aus der Greifengarde hatte sie provoziert und hatte damit fruchtbaren Boden getroffen. Er war ihr indes nicht gewachsen gewesen - die Wildermark war in Angelegenheiten des Waffengangs eine gute und unerbittliche Lehrerin gewesen. Sie bedauerte seinen Tod, aber darauf angesprochen zu werden paßte ihr darum nicht mehr. Umso überraschender kamen die folgenden Worte des Heermeisters: "Die Zeiten sind keine zum wählerisch sein. Ich werde die Geweihten fragen, ob sie dich schon jetzt für bereit halten, dass du wieder eine Waffe führst. Sollte dem so sein, biete ich dir einen Offiziersposten. Du mußt dir im Klaren sein, dass ich keine Eskapaden dulden werde, auch und gerade nicht, weil du eine Verwandte bist. Denk nach, ob du das erfüllen kannst."

Ciarda war sprachlos und starrte ihren Onkel an. Hatte er ihr eben gesagt, er wolle ihr zu einem Kommando verhelfen? Sie konnte es nicht glauben - weniger sein Können, das schien ihr unbestreitbar... aber sein Wille überraschte sie derart, dass keine Worte über ihre Lippen kommen wollten. Aber das war nicht weiter schlimm, denn Aldron übernahm es bereitwillig, ihr bei der Orientierung zu helfen: "Schau nicht wie ein Bauer. Mund zu, Haltung - und mitkommen. Wir verspäten uns zum Gottesdienst. Nutze ihn, um in dich zu gehen. Ich erwarte deine Antwort nach der Rondra-Andacht."

Immer noch mit den eigenen Gedanken ringend folgte Ciarda ihrem heermeisterlichen Onkel hinüber zum Tempel.