Geschichten:Ein Stift zu Ehren des Göttlichen Nandus - Erwägungen beim Steineschleppen

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Kaiserstadt Gareth, Baustelle des Nanduststifts im Markt Südquartier, 29. Praios 1035 BF


Es war noch recht früh am Morgen und die Praiosscheibe war noch nicht über die Dächer der umliegenden Mietblöcke gestiegen. Dennoch war es schon wieder laut und stickig in den Gassen Sonnengrunds und Jost hörte das Lärmen der Menge - sowohl von der Reichsstraße in seinem Rücken, die schon jetzt von Passanten und Fuhrwerken nur so wimmelte, als auch aus den nahen Gassen. Um ihn herum auf der Baustelle herrschte bereits geschäftiges Treiben und auch er war schon seit einigen Stunden an der Arbeit. Eigentlich machte er den ganzen Tag nichts anderes als Steine schleppen und das jetzt schon seit mehreren Wochen. Ganze Wagenladungen von Steinen waren in den ersten Tagen an gekarrt und am Rand der Baustelle zu verschiedenen Haufen und Stapeln aufgetürmt worden. Ziegel hier, Kalksteinquader dort, weiter drüben Blöcke aus grünen Marmor und dahinter feingeschnittene und polierte Platten aus dem selben Material und auch in hell grauem Marmor. Und danach war die Schlepperei losgegangen. Während sein Meister Gerbald und die älteren Gesellen mauerten, rührte der jüngste Geselle Mörtel an, der hatte es auch nicht viel besser als er, nur das er eben dafür bezahlt wurde. Nur er musste als Lehrling im ersten Jahr den ganzen lieben langen Tag Steine schleppen, von den Stapeln zum Meister, von morgens bis abends. In der Praiostagsmesse sagten die Geweihten immer Praios lächle den Menschen zu, wenn die Praiosscheibe unverhüllt scheint. In diesem Fall musste sich der Gott wirklich freuen, den er lächelte schon seit Tagen. Keine Wolke verhüllte sein strahlendes Antlitz und es war, obwohl es er Ingerimm war, in seinem Schein unerträglich warm, so warm, dass sie Mittags mehrere Stunden Pause einlegen mussten. Aber es war noch nicht Mittag und so würde Jost noch einige Stunden lang ackern.

Gerade setzte er seine Kiepe mit einer weiteren Ladung vor seinen Meister ab und begann auszuladen, als ihn Ulffried, einer der Altgesellen, an der Schulter pakte und zurück hielt. „Lass mal für'n Augenblick gut sein, Jungchen. Ham grad eh genug. Ackerst dich ja zu schanden. Trink erst mal Schlückchen und atme durch.“ Dankbar nahm Jost den ihm angebotenen Krug mit Dünnbier entgegen und nahm einen tiefen Zug. Das Gebräu war nicht mehr ganz kühl, eher lauwarm und über die Stunden lack geworden. Dennoch tat es unendlich gut. Während er den Krug wieder sinken ließ, sah er sich auf der Baustelle um. Den Keller unter dem Südflügel hatten sie mit den Fundamenten als erstes fertig gestellt. Nun arbeiteten sie an den Mauern des Erdgeschosses. Teilweise waren sie schon soweit, dass sie auf ebener Erde nicht mehr weiter Arbeiten konnten, dann wurde die Ziegelmauer mit den Kalksteinblöcken verschalt und die Zimmerleute kamen um Gerüste zu bauen. Soweit waren sie aber erst an ein paar Stellen. Vom Grundriss unterschied sich das Kloster, oder der Tempel - was auch immer - nicht großartig von anderen Stadtvillen in Gareth. Drei Flügel um einen Hof in der Mitte. Drinnen dann so ein horasicher Laubengang mit Säulen, wie sie es jetzt alle haben wollten. Aber das war noch Zukunftsmusik. Der Meister hatte ihm mal in der Pause die Pläne gezeigt. Machte sich alles ganz nett aus. Vor allem dieser Tempelraum mit den der großen Statue, die irgendso ein schlunder Bildhauer machen sollte. Und Fresken sollte es auch geben, von Schlangen, Füchsen und Einhörnern und von Labyrinthen. Der Rest sollte wohl ganz schlicht werden, nur die Bibliothek und eine kleine Kapelle ganz oben nicht. Aber deren Pläne hatte der Meister ihm nicht zeigen wollen - oder dürfen.

So richtig verstanden hatte Jost das ohnehin nicht mit dem Kloster. Der Meister hatte ihm gesagt es sei für einen Gott aus dem Horasreich, den Sohn der allwissenden Herrin Hesinde und des listigen Phex, Nandus eben. Den Namen hatte Jost davor bestimmt irgendwo schonmal gehört, aber bisher hatte er kaum etwas von diesem Gott gewusst. Der Meister hatte gesagt, das wäre ein ganz kluger Gott, der wie Hesinde das Wissen mag, aber will, dass alle andauernd lernen. Ein Gott für die Gelehrten und Magier. In der Praiostagsmesse hatten die Geweihten noch nie von ihm gesprochen. Neulich hatte er den Geweihten des Ingrimm mal nach der Messe gefragt, aber der hatte nur abgewunken und gemeint, das sei nichts für ihn. Vielleicht konnte er mal einen der hohen Herrschaften, die hier bauen ließen, danach fragen, in der Pause vielleicht. Gerade jetzt konnte er sehen wie die hohe Herrin, die sie bezahlte, mit eine Hesindegeweihten die Fortschritte prüfte. Die beiden waren wohl verwandt, so hatte er jedenfalls gehört und er hatte auch schon öfter gesehen, wie sie mit dem leitenden Baumeister sprachen und sich herumführen ließen. Diesmal war allerdings noch eine Dritte dabei, eine Frau in einer einfachen mausgrauen Robe. Diesmal schienen die beiden anderen diese Frau herum zuführen und ihr alles zu zeigen. Jedenfalls redeten sie wortreich auf sie ein, auch wenn Jost kaum etwas verstand.

Ein leichter Klaps auf den Hinterkopf holte Jost in den Arbeitsalltag zurück. Ulffried sah ihn spöttisch von der Seite an. „Nicht träumen Jungchen und vor allem nicht die Hohen Damen anstarren! Jetzt trink noch'n Schluck und dann auf zurück an die Arbeit.“ Jost rieb sich den Hinterkopf. „Du Ulffried, wer ist denn die Frau bei den beiden Damen?“ „Das ist ihre Gnaden, die soll hier glaube ich die Priorin werden, Horasierin, glaube ich. Für diese grauen Brüder und Schwestern bauen wir das Stift hier. Hab' nie ganz verstanden, was die so machen. Aber jetzt zurück an die Arbeit!“ Wortlos schulterte Jost seine Kiepe. In etwa zwei Stunden war Mittag, bis dahin hieß es weiter Steine schleppen.