Geschichten:Ein Held kehrt Heim - Bestattung und ein Abschiedsbrief

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Baronie Brendiltal, Gut Besh hassal Ammay shar (Haus des Herrn der Pferde)

Dramatis Personae



Nach dem Gespräch mit Malina versuchte Lyn mit ihrem Schwager A’urel zu reden, doch gab es so viele Neuankömmlinge zu begrüßen und Dinge zu tun, dass sie keine Zeit fand ihn zu suchen. Am vierten Tag der Trauer ließ sie wie gewohnt am Morgen die beiden Mädchen in der Obhut der Kinderfrau A‘linja zurück. Es versetzte ihrem Herz einen kleinen Stich zu sehen, wie glücklich die beiden beim Anblick A’linjas wirkten, doch war ihr auch bewusst, dass dies ebenso ein Preis ihres Urlaubs in der Heimat war.

Dann lenkte sie ihre Schritte zu dem Raum in dem Ra’oul aufgebahrt lag, um in seinem Beisein Kraft und Ruhe für den weiteren Tag zu sammeln. Ebenso stumm wie die nebachotischen Wachen und Ywain, der Kronenritter der zur Zeit die Ehrenwache hielt, verbrachte sie einige Zeit dort, in Gedanken bei Ra’oul und der schönen Zeit mit ihm. Sie hatte den Brief, den Ra’oul lange vor seinen Tod für sie verfasst hatte und den Gawain von Pfiffenstock ihr nach dessen Tod überbracht hatte hervorgeholt und las die Zeilen erneut. Fast liebevoll strich sie über die sauber und schwungvoll gezeichnete Schrift und ihre Züge wurden weich und ein wehmütiges Lächeln stahl sich auf ihren Lippen, so wie immer, wenn sie die Zeilen des Geliebten las.



Niedergeschrieben am neunten Tag der Mutter Kors im Jahre 1033 BF zu Besh Hassal Ammay shar, Emirat Bahr ai Danal, Sultanat Nebachot (Haus des Herren der Pferde, Baronie Brendiltal, Markgrafschaft Perricum)

Sie sah kurz auf. Das Datum zeugte, dass er diesen Brief bereits kurz nach ihrer Ankunft in Perricum niedergeschrieben hatte. Dann las sie weiter.

Liebste Lyn, wenn Du eines Tages diese Zeilen lesen wirst, werden die Götter mich auf meine Wiedergeburt vorbereiten. Mögen Sie es geben, dass ich mich als würdig für Dich, unseren Sohn und unsere Familie erwiesen habe.

Dachte ich stets, dass ich als Erbe meines Vaters alles haben würde was ein Mann sich nur wünschen konnte, so weiß ich erst jetzt – nachdem ich Dich nach Hause geholt habe und Du an meiner Seite bist - was ich all die Zeit vermisst habe und wie leer und öde mein Leben doch eigentlich war.

Du erfüllst mein Leben mit Liebe, Leidenschaft und Abenteuer, gibst mir stets Rückhalt, ein Ziel, um das es sich zu kämpfen lohnt und Du hast mir einen Sohn geschenkt, um den jeder Mann mich beneidet. Caihyn hat sich prächtig entwickelt und ich verfluche das Schicksal – auch wenn dies ein Nebachote selten tut – dass es mir nicht vergönnt war ihn die letzten 5 Jahre aufwachsen zu sehen.

Aber mehr noch, schließlich hast Du allem entsagt, was Dir einst wichtig gewesen ist, nur um mir nach Nebachot zu folgen. Wie kann ich das je wieder gut machen?

Ich bin stolz auf Dich und unseren Sohn und ich hoffe, dass wir noch viele gemeinsame Götterläufe erleben und gemeinsam Freude daran haben werden, zu sehen wie unsere Familie immer größer wird.

Trauere nun nicht um mich, denn so ich mich als würdig erwiesen habe, werde ich in einem noch besseren Leben wiedergeboren werden und müßte somit mindestens das Leben eines Halbgottes führen können. Und so ich mich nicht als würdig erwiesen haben sollte, sollte mein Name nicht mehr in der Familie genannt, sondern lieber vergessen werden.

Gawain han Fir’Enock, der Dir hoffentlich dieses Schreiben übergeben haben wird, wird von nun an stets an Deiner und Caihyns Seite sein. Er wird euch mit seinem Leben schützen. Du kannst frei über ihn verfügen.

Sollte er bereits ebenfalls gefallen sein, so wird der amtierende Al’Shuar jemand anderen benennen. So will ich es und so soll es geschehen!

Dein, Dich liebender und jeden Tag mit Dir genießender Ra’oul



Als sie den Teil des Briefes erreichte der später hinzugefügt wurde hielt sie erneut inne, las dann aber doch weiter.



Niedergeschrieben am zweiundzwanzigsten Tag der Mutter Kors im Jahre 1034 BF zu Rashia‘Hal, Emirat Hassal‘han Ammayin, Sultanat Nebachot (Rashia’Hal, Baronie Haselhain, Markgrafschaft Perricum)

Lyn, Liebe meines Lebens und Freude meines Lebens,

hatte ich die vergangenen Tagen Angst um Dich, wie ich noch nie Angst verspürt habe, so bin ich nun der glücklichste Mann des Reiches. Ich bin gesegnet und die Götter müssen mich lieben.

Amal’ia Ciara und Bar’ain Cu’Nerielle hast Du heute das Leben geschenkt und mich dazu reicher beschenkt wie ich es Dir nie wieder werde zurückgeben können.

Ich liebe Dich Lyn ni Niamad von Brendiltal und ich segne den Tag, an dem ich Dir auf der Hochzeit Deines Vaters zum ersten Mal begegnet bin.

Ra‘oul




Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht als sie den letzten kurzen Absatz las, dann senkte sie die Hand mit dem Brief und sah noch einmal zu dem Toten auf. „Du warst wirklich besser auf den Moment des Abschieds vorbereitet als ich…“ dachte sie sich.

Es fiel ihr schwer, sich von dem Anblick des friedlich dort liegenden Geliebten loszureißen. Innerlich gestärkt verließ sie den Raum um nun nach ihrem Schwager Ausschau zu halten. Gawain von Pfiffenstock, der seit dem Tod Ra’ouls zunächst ihr als Leibwächter wie ein Schatten folgte, hielt sich nun mehr in der Nähe Caihyns auf, konnte Lyn notfalls doch auf sich selbst achtgeben, während dies für einen Siebenjährigern nicht unbeidngt galt. Es war ihr auch ganz recht, so hatte sie einige Augenblicke für sich, in denen sie wirklich alleine war.

Fast schon ziellos ging sie über das Anwesen und jeder der anwesenden Gäste konnte in ihrer Haltung und ihrem Gesicht Kraft und Stärke ablesen, aber auch, dass ihr gerade nicht der Sinn nach Konversation stand. Und so wurde sie bei ihrem Rundgang von niemanden angesprochen. Einem innere Impuls folgend, lenkte Lyn ihre Schritte, als sie A’urel im Treiben auf dem Hof nicht finden konnte, in einen etwas entlegeneren Teil der Gartenanlage, wo sie einen kleinen rosenberankter Pavillon wusste. Dort hatte auch Ra’oul sich gerne aufgehalten, wenn er ein wenig Ruhe suchte und sie hegte die Hoffnung, dass auch ihr Schwager vielleicht dort zu finden sei.

Als sie am Ende des Weges in dem Pavillon eine Gestalt erblickte war sie einerseits erleichtert, andererseits wurde ihr das Herz schwer. Als sie an die bevorstehende Begegnung dachte. Langsam näherte sie sich der Laube. Nur ihre Schritte kündigten sie an, als sie wortlos zu A’urel trat. Der junge Nebachote lag mit dem Rücken zu Lyn auf mehreren Kissen. Seine Kleidung waren im schlechten Zustand und sahen so aus, als ob er sie – ganz entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten, wo er stets auf sein Äußeres geachtet hatte – seit mehreren Tagen trug. Eigentlich, so meinte Lyn und in Gedanken, konnte sie sich nicht daran erinnern, A’urel in anderen Kleidern als diesen gesehen zu haben, seitdem sie Ra’ouls Leichnam zurück gebracht hatte.

Der junge Nebachote mußte gemerkt haben, dass sie ihm jemand näherte und schrak hoch. Als er Lyn erkannte schien er eiligst einige Dinge unter heftigen Geklapper, unter sich und Kissen in seiner direkt Umgebung zu verstecken. Dann wand er sich seiner Schwägerin zu und lächelte gequält. Er sah schlecht aus. Seine ansonsten gut gebräunte Haut schien fast fahl auszusehen, weder war er rasiert, noch war sein Bart auf den er ansonsten so stolz gewesen war gestutzt worden und seine Haaren standen zerzaust und fettig von ihm ab. „Hallo Lyn.“ Begrüßte er sie und ärgerte sich gleichzeitig, dass er die Schwere seiner Zunge nicht ganz verbergen konnte. „Wuas verschlägt Dich hier hin?“ Fast beiläufig schob A’urel eine leere tönernde Flasche, deren Hals unter einem Kissen hervorlugte mit einem Fuß zurück in ihr Versteck.

Lyn schlug bei diesen wenigen Worten eine deutliche Alkoholfahne entgegen.

„Ich war auf der Suche nach Dir…“ entgegnete sie ruhig ihr entging dabei nicht, in welch miserablem Zustand er sich befand.

A’urel konnte einen aufkommenden Rülpser gerade noch unterdrücken, seufzte dafür aber umso lauter aus. „Nun Du hast misch nun gä’fundn.“ Der junge Nebachote machte keinen Hehl daraus, dass er lieber alleine wäre und ließ sich rücklings auf die Kissen fallen. Ein leises zerbrechendes Klirren erinnerte ihn aber daran, dass dies eben keine gute Idee war.

Lyn blieb stehen wo sie war und Wut überkam und in ihren Augen blitze es zornig. „Nein, das habe ich wohl nicht.“ Schleuderte sie ihm entgegen „Ich suchte den Bruder eines starken Mannes. Stattdessen habe ich jemanden gefunden, der das Andenken seines Bruders mit Füßen tritt.“ Ihre Worte waren heftiger gesprochen als gemeint, war sie doch sehr erschrocken über das Bild was sich ihr bot. „Pfffff.“ War zunächst alles was Lyn als Antwort bekam, während der junge Nebachote sich von ihr ab und auf die Seite wand. „Wuas waist Du dän schuon?“ Murmelte er noch mehr zu sich selbst als zu seiner Schwägerin. „Wuas bringt ainäm schuon das Andänk‘n?“

Lyn kniete sich neben ihn und packte ihn an der Schulter. Recht unsanft drückte sie diese herunter so dass er gezwungen war sich zu ihr zurück zu drehen. „Ich habe den mir wichtigsten Menschen verloren und Du fragst mich, was ich über Verlust und Andenken weiß?“ Immer noch stand der Zorn über sein Verhalten in ihrem Gesicht geschrieben und sie merkte auch, wie die ganzen Emotionen die sie seit Tagen zurück hielt versuchten sich einen Weg zu bahnen, was A’urel aber anscheinend vollkommen gleich war. Mit einem Ruck machte er sich von Lyn los und stand unwirsch auf. Dort wo er gelegen hatte, hatte sich mittlerweile eine Weinlache breit gemacht, die aus einem der zerbrochenen, tonernen Flaschen stetig größer wurde. „Wuas willst Du von mir? Gäh doch zurück zu Vatär! Haltä Dainä Wachä und sai stolz wie ain Pfärd, wuänn Du Ra’oul anschaust, abär lass mich in Ruhä!“ A’urel war jetzt auch immer lauter geworden und hatte seine Emotionen kaum im Griff. Irgendwie war es diesmal schlimmer als damals, als er vom Tod seines Bruder Praiotem gehört hatte, der als Sonnenlegionär bei der Verteidigung Gareths während der sogenannten Schlacht in den Wolken fiel. Ra’oul war derjenige der ihn immer aus allem Schlamassel geholt hatte, er war derjenige der sich immer vor ihm gestellt hatte, wenn Eslam ihn für irgendetwas bestrafen wollte. Ra’oul war es, der immer alles im Griff gehabt hatte….

A’urel bemerkte nun die Folgen, die es mit sich brachte, wenn man in einer Weinlache liegt. Seine gelbe Tunika und ehemals weiße Hose waren über dem Gesäß dunkelrot und klebten förmlich vor Nässe an seinem Körper. Mit einem Seufzer tastete er die feuchte Stelle ab und strich seine Finger dann an seinem Ärmel wieder trocken. „Ich brauch ätwuas andäres zu trink’n.“ Murmelte er und machte Anstalten den Pavillon verlassen zu wollen.

Als er gehen wollte packte sie ihn erneut am Arm und hielt ihn fest. „Nein, das tue ich nicht!“ Ihre Worte waren kraftvoll und ruhig gesprochen und in ihnen lag die Autorität von jemandem der es nicht gewohnt war, Widerworte zu hören. Sie sah ihn fest an und begann sich in Rage zu reden. „Verdammt A’urel. Weißt Du überhaupt genau, was geschehen ist? Und ja, ich halte bei ihm die Wache, aber nicht aus Stolz, sondern um die letzten verbliebenen Momente zu nutzen. Stolz kann man sein, auf das was man selbst erreicht hat. Für Deinen Bruder, für dass was er getan hat empfinde ich den größten Respekt. Und das solltest Du auch…!“ Als Lyn ihrem Schwager in die Augen blickte, sah sie dort nur Verwirrung und Angst, so als habe A’urel sich irgendwo verlaufen und seinen Anker in der Wirklichkeit verloren. Ihre Worte drangen überhaupt nicht bis zu ihm durch. Schweigend stand er, mit hängenden Schultern da und wartete bis sie geendet hatte. „Bist Du färtig?“ Seine Stimme klang dabei fast verbittert.

„Nein, ich bin noch nicht fertig.“ Es tat ihr fast schon körperlich weh ihn so zu sehen und sie spürte, wie ein Schauer sie durchlief. Ra’oul war gestorben um die schwarzen Schatten davon abzuhalten, Unheil über die Welt zu bringen und hatte dadurch andere Schatten freigesetzt. Ein bittender Blick lag in ihren Augen und ihre Stimme würde ruhiger und fast schon sanft „A’urel… Reicht es nicht, dass Caihyn seinen Vater verloren hat? Ich möchte nicht, dass deinen Sohn dasselbe Schicksal ereilt.“

Die Frage traf A’urel wie ein Speer Mitten ins Herz und er riss sich von Lyn mit wutverzehrtem Gesicht los. „Luas mich in Ruhä!“ Brüllte er sie an. „Luas mich ainfach in Ruhä und kimmäre Dich um Dainä Kindär!“

Dann drehte er sich um und eilte davon. A’urel wäre dabei fast über einen kleinen Beistelltisch gestolpert, den er daraufhin voller Wut um trat, bevor er verschwand.

Lyn stand wie versteinert da und starrte ihm hinterher, während sich eine eiskalte Hand um ihr Herz schloss.