Geschichten:Die Last des Alterns - Teil 3: Von Künstlern und Naiven

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Dramatis Personae:

Selissa von Sturmfels-Mistelstein

Tsaiane von Mistelstein


Baronie Gnitzenkuhl, Herrschaft Natternhöh` im Perainemond 1033 BF

Irgendetwas stimmte mit dem Gesicht noch nicht. Mit zusammengekniffenen Augen umrundete sie den Kopf. Dann drehte sie ihn wieder in die eine, dann wieder auf die andere Seite ins Licht um ihn aus verschiedenen Blickwinkeln zu mustern. Schließlich stemmte Tsaiane von Mistelstein die Hände in die Hüften, umrundete ihn aufs Neue, um dann schließlich mit einem Seufzen vor die Staffelei zu treten wo sie mit vergleichenden Blicken versuchte heraus zu finden worin nun ihr Fehler lag. War die Nase zu lang, die Wangenknochen zu hoch angesetzt oder doch das Kinn nicht energisch genug?

Ihr Haar, das bereits einige Strähnen Graus aufwies hatte sie mit Kämmen nach hinten gesteckt. Allerdings hatten sich daraus schon wieder Einzelne ihrer an sich kastanienbraunen Haare gelöst, sodass sie mehr dem Anblick einer eben dem Bett entstiegenen Gemeinen glich, denn dem einer adligen Gemahlin eines angesehenen Ritters. Die zweckdienliche einfache Kleidung bestehend aus einer Lederhose und einem weichen blauen Hemd, wurde mit einer zusätzlichen gewachsten Schürze vor dem Dreck geschützt, der entstand, wenn sie mit ihren Tonskulpturen zu Gange war.

Ein zartes Klopfen an der Tür zur Stätte ihres Tuns und ein Rascheln von Stoffen beim Eintreten, kündigte die Besucherin an. „Selissa!" Erfreut über die Ablenkung ging sie ihrer Tochter entgegen und umarmte sie kurz. Federleicht wurde ihre kräftige Umarmung erwidert. Niemandem sonst war es erlaubt sie in ihrer Werkstatt, wie sie die einfache Kate nannten, zu stören, solange sie dort am Wirken war. Er stand inmitten der Weinreben am Hang und war durch zahlreiche Fensteröffnungen lichtdurchflutet. Die junge Frau sah erstaunt die im Werden befindliche Darstellung eines männlichen Kopfes an und wurde umgehend rot. „Ihr…das…ist doch nicht etwa…?!" Zärtlich und fast gedankenverloren strich Tsaiane von Gaulsfurt ihrer Tochter eine Locke hinter das Ohr und schien ihre Einwände gar nicht gehört zu haben. Zumindest reagierte sie nicht darauf. Statt dessen hackte sie sich bei ihr ein und schob sie sanft zu einer großen zweiflügeligen Tür, die bereits geöffnet war.

„Komm, lass uns hinaus gehen, die ersten Strahlen haben die Mauern schon erwärmt, ich habe ohnehin gerade ein Problem, dass ich nicht lösen kann…!"

Im Vorbeigehen warf sie noch ein feuchtes Tuch über den Klumpen Ton und folgte ihrer Tochter mit zwei Karaffen und Bechern hinaus ins Freie. Auf der mit halbhohen Mauern eingefassten Rückseite waren steinerne Bänke und ein Tisch auf dem es sich die beiden bequem machten. „Was führt dich zu mir? Um diese Zeit bist du doch sonst immer mit unserem Sonnenschein ausreiten?" Wie immer kam die Hausherrin gleich zur Sache. Unter halb gesenktem Blick beobachtete Selissa, wie ihre in die Jahre gekommene Frau Mutter ihnen Wein einschenkte, den sie jedoch noch mit Wasser verdünnte. Es war schließlich noch früh am Tag. Wenn Tsaiane am Arbeiten war strahlten die braunen Augen so viel Leben aus, wie sonst kaum. Der Tod ihrer beiden Geschwister hatte sie arg mitgenommen, doch sie hielt sich tapfer. Die Taktik ihrer Mutter imitierend eröffnete Selissa das Gespräch.

Anshelm ist fort geritten." Sie beobachtete wie ihre Mutter die Sandalen abklopfte, um sich dann der Länge nach auf die Bank zu legen. Ihr Gesicht und die bloßen Arme wurden von den wärmenden Sonnenstrahlen beschienen, wobei sie die Augen geschlossen hielt. Selissa hingegen mied die Sonne, und hatte im Gegensatz zu ihrer Mutter auch einen sehr blassen Teint. „Ich nehme an, du würdest mir das nicht erzählen, wenn daran nicht etwas Besonderes wäre mein Kind…?!" Jetzt räusperte Selissa sich und setzte sich auf ihrem Schattenplatz zurecht. Der schwierigste Teil in ihrem Auftrag würde nun folgen.

„Er ist hinunter nach Gnitzenkuhl geritten. Leomara, ihr wisst schon, Geshlas Ritterin, sie soll in den Wall reiten zum Junker von Kelsenstein…!" Die Augen ihrer Mutter waren mit einem Schlag weit geöffnet und schauten sie verständnislos an. „Du willst mir doch damit nicht sagen, dass Anshelm in den Raschtulswall los geritten ist, ohne sich von mir zu verabschieden?" Unglaube stand in ihrem Blick. „Hat er etwa zuvor mit Olblodor geredet?" Ein Lauern war aus ihrer Stimme geklungen, weswegen die Tochter nur wagte leicht zu nicken.

Die Frau, die um die vierzig Götterläufe zählen mochte, ließ sich wieder zurück auf die Bank sinken und massierte sich die Stirn, was dazu führte, dass graue Schlieren begannen ihre Haut zu bedecken. „Ah…dieser sture, alte Mann wird Schuld daran sein, wenn ich bald ganz ergraut bin. Reicht es nicht, dass wir bereits zwei unserer Kinder an diese Wilden verloren haben? Und er sich zum Gespött der Leute macht…"

Damit schwang sie ihre Beine wieder auf den Boden. „Ich werde ihm Feuer unter seinem Hintern machen. Wenn Anshelm nicht da ist, muss er sich eben darum kümmern, dass auf dem Gut alles seinen Gang geht. Die Götter sind mein Zeuge, ich war wahrlich geduldig, aber jetzt ist das Maß voll. Ich habe noch andere Dinge zu tun, als starrsinnigen alten Männern zu erklären was in ihren Kopf nicht passen will…! Ich werde ihm die Augen öffnen…" Doch mitten im Satz hielt ihre Frau Mutter inne und fasste sich plötzlich verstehend mit der Hand an die Stirne.

„Die Augen natürlich das war es!" Gedankenverloren küsste sie ihre Tochter auf die Wange, meinte noch: „Sag ihm, dass ich am Abend mit ihm zu Sprechen wünsche!" und ging dann wieder in ihre Werkstatt, wo sie augenblicklich damit begann die Augenpartie der Büste umzugestalten.

Wenn man bedachte, dass die Eheleute seit einem Mond kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten, hatte sie mehr erreicht als gedacht. Sie entschied sich nicht den direkten Weg zurück zu gehen, sondern noch bei den Pferden vorbei zu schauen. Die Launen ihres Vaters wollte sie nicht ausbaden müssen. Es reichte, wenn er zum Mittag erfuhr was sie ihm mitzuteilen hatte.