Geschichten:Der schützende Blick der gütigen Herrin - Ophelias Visionen

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Lauf, Kälbchen, lauf. Lauf schneller und folge den Weg in Richtung des Heiligtums des himmlischen Schmiedes. Bringe Dich in Sicherheit. Dem ungeborenen Greifen kannst Du nicht helfen. Sein Name ist bereits auf der Ebene der Geister vermerkt. Seinen Tod wird niemand verhindern können. Fliehe vor dem wildgewordenen Igel. Er bedeutet nur Unheil.

~ niedergeschrieben in den Aufzeichnungen der Perainenovizin Ophelia von Ochs im Götterlauf 1042 BF im Quelltempel zu Nattersquell

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Burg Ox, Baronie Viehwiesen, Ende Praios 1043 BF

„Opa, Opa,“ freudig rannte Ophelia auf ihren Großvater zu und kletterte auf seinen Schoß. Der Reichsvogt saß in einem großen, bequemen Ohrensessel, die Beine auf einen Fußhocker hochgelegt. Er drückte ihr einen dicken Schmatzer auf die Wange, was sie mit einem Kichern quittierte, denn sein prächtiger Kaiser-Alrik-Schnauzbart kitzelte sie ungemein.

„Schön, Dich zu sehen meine kleine Prinzessin. Wie geht es Dir? Gefällt es dir gut im Quelltempel?“

Ophelia kicherte. „Ich bin doch gar keine Prinzessin“ „Doch, meine!“ herzte der alte Ochse sein Enkelkind.

„Im Quelltempel ist es toll, super toll. Wir haben da sogar Störche, die da nisten und brüten. Die Leiter dahin ist ganz schön steil, fast wäre ich schon einmal heruntergefallen. Und es ist da überall Gold, alles Mögliche wurde damit verziert. Es glänzt fast so, als wären wir Teil eines Drachenschatzes. Manchmal spielen wir Novizen auch ‚Drache auf Schatz‘, aber die psst, nicht der Äbtissin sagen, die mag das nicht.“

Ophelias Redeschwall war kaum zu bremsen und Leobrecht hörte der Kleinen wissbegierig zu, ermutigte sie gar, mehr von sich preis zu geben.

„Wir haben da auch Beete mit vielen Pflanzen, davon einige Heilkräuter. Da darf ich aber noch nicht ran. Erst wenn ich älter bin, sagt Euer Hochwürden. Aber auf die Äcker darf ich schon. Das macht richtig Spaß. Wenn es beim Einpflanzen sogar regnet, bin ich danach voller Schlamm. Opa, weißt Du mit Schlamm kann man auch toll werfen. Einmal ist mir der Matsch ausgerutscht und ich habe Bruder Perainfried getroffen. Oh war der böse, ich musste einen Monat lang den Küchendienst machen….“

Der Reichsvogt schmunzelte, er hätte diesen Berichten ewig folgen können, doch war es nun an der Zeit das Gespräch auf wichtigere Dinge zu legen. „Das hört sich nach viel Spaß an, Liebes! Magst Du mir auch was über Deine Träume erzählen?“

Die Novizin druckste herum. „Du weißt davon? Weißt Du, Opa…. Opa, bist du mir böse?“ „Nein Kleines, ich bin dir nicht böse, warum auch, ich kann dir doch nie böse sein.“

Sie sprach leiser und abgehackter. „Opa, ich, ich habe nicht ganz die Wahrheit gesagt, ich habe gar nicht geträumt.“

Er blickte ernster. „Also hast Du alles nur erfunden? Deiner Phantasie keine Grenzen gesetzt?“

„Nein, ich habe nicht gelogen, nicht richtig zumindest. Ich habe das nur nicht geträumt. Es kam einfach über mich. Am helllichten Tag. Einfach so. Opa bin ich verrückt?“

Leobrecht runzelte die Stirn. „Bist du am Tag eingeschlafen? Oder wann sind die Träume aufgetreten?“

Ophelia schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nicht geschlafen, ich war wie, wie, wie“ sie suchte die passenden Worte „ wie weggetreten. Einmal habe ich Setzlinge gepflanzt, einmal bei der Morgenandacht, einmal beim Lesen der heiligen Schriften der gütigen Göttin, einmal beim Hinaufklettern zum Storchenpaar. Weißt Du, Opa, ich habe doch gerade gesagt, dass ich die Leiter fast heruntergefallen bin. Einmal beim Pflegen der Kranken, einmal…..“

„Ist schon gut Prinzessin, ich habe verstanden. Das ist doch nichts Missliches.“ Beendete er ihren Satz, um gleich wieder von Ophelia unterbrochen zu werden. „Opa, ich habe alles aufgeschrieben. Wann und wo mir diese Träume gekommen sind und was ich gehört, oder gesehen habe.“ Sie nestelte in ihrer Umhängetasche und gab ihm eine kleine grüne Kladde.

Er nahm sie an sich und blätterte hindurch, während Ophelia weiter berichtete. „Opa, weißt Du, seit wir hier sind, hat sich der Traum mit dem jungen Kälbchen mit dem Rattengesicht geändert. Eine Kröte stellt sich ihr in den Weg. Opa, der im Mutterleib befindliche rote Greif, der musste immer noch Qualen erleiden. Der Igel hat ihn erschlagen. Ich glaube er ist tot.“

Ruckartig schaute Leobrecht nach oben, noch geschockt und aufgewühlt von den niedergeschriebenen und gezeichneten Visionen, die ihm viel zu viel Blut und Tod beinhalteten. „Ratte, welche Ratte? Greif, welcher Greif? Welcher Igel?“

Naseweis erläuterte Ophelia. „Opa, ich erzählte doch von meinem Traum, wo das Kälbchen mit dem Igel auf Reisen ging und das Kälbchen viel Unheil verbreitete bevor es qualvoll starb. Vielleicht habe ich vergessen zu erwähnen, dass das Kalb ein Rattengesicht hatte. Habe ich nicht erzählt, dass der Igel einen roten Greifen getötet hat? Wahrscheinlich habe ich es vergessen, ich war so durcheinander, da ich dachte, dass Kälbchen sei meine Schwester.... Opa, bin ich verrückt?“

Leobrecht nahm seine Enkelin ganz fest in den Arm. „Du bist nicht verrückt.“, sagte er während ihre gesprochenen und vor allem geschriebenen Worte, letztere waren ein wenig strukturierter, in seinem Kopf kursierten. Schockiert war er auch von den Zeichnungen, die Ophelia malte, als sie des Schreibens noch nicht mächtig war. Wenn das stimmt über den sterbenden Greifen und den ausartenden Igel, müsse er das Haus Luring warnen, dachte er.

Vielmehr erschreckte ihn jedoch das Kälbchen mit dem Rattengesicht. Hatte der, der keinen Namen trug die Seele eines kleinen Ochsen befleckt. Er brauchte Anaxios Rat – dringend.

„Prinzessin, darf ich Deine Kladde für ein paar Tage behalten? Ich würde es mir gerne in Ruhe durchlesen.“

„Na klar, Opa, ich habe eh schon ein neues Büchlein angefangen, in dem war kein Platz mehr.“

Leobrecht war von Entsetzen erfüllt.