Geschichten:Bruder des Blutes 3

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Am letzten Tag des Jahres erreichte der Schwarzgekleidete die Stadt Höllenwall. Wie in allen Städten, die er in den letzten Tagen passiert hatte, waren auch hier Türen und Fenster verschlossen. Nur ein paar Rauchfahnen zeugten davon, dass in der Stadt Menschen lebten. Langsam ritt er durch die leere Stadt. Niemand war zu sehen, nur ein paar Straßenhunde jaulten. Er lenkte sein Pferd zum Marktplatz. Auch hier gab es kein Leben.
Die Nebelschwaden, die langsam durch die Stadt zogen, schienen jegliches Leben zu unterdrücken. Trutzig reckte sich der offensichtlich neuerrichtete Schuldturm des Vogtshauses vor ihm in die Höhe.

Irean wollte den ungastlichen Ort bereits verlassen, als er am Turme eine Türe knarren hörte und kurz darauf ein Hund wütend anschlug.
"Wer bist Du?""
Irean drehte sich um. In einer Haustür stand ein gerüsteter Mann, das Schwert kampfbereit. Hinter ihm konnte Irean weitere Männer sehen, von denen einer einen massigen, großen Hund mit Mühe an der Leine hielt.
"Ein Reisender", antwortete er knapp.
"Niemand reist in diesen Tagen", stellte der Gerüstete fest.
Irean schüttelte den Kopf und schloss kurz die Augen, "Ich will nur eine Information, dann reite ich weiter"
"Eine Information?", fragte die Stimme ungläubig.
"In der Gegend soll es einen Schrein des Kor geben. Könnt ihr mir sagen, wo ich den finden kann?"
Der Mann schaute ihn ungläubig an, "Ihr wollt zum Kor-Schrein? Zu dieser Zeit?"
"Was spricht dagegen?", fragte Irean.
Doch der Mann schüttelte nur den Kopf, "Sagt mir euren Namen, dann sehen wir weiter."

Irean musterte den Mann und antwortete dann, "Mein Name ist Irean ibn Yantur und ich bin Geweihter des Gnadenlosen."
Sein Gegenüber runzelte die Stirn und trat einen Schritt zurück in das Haus.
Er schien sich mit jemandem zu beraten, trat dann aber schnell wieder in die Tür, "Was führt euch zu dieser Zeit des Jahres in unsere Gegend, Euer Gnaden?"
"Eine private Pilgerreise. Doch nun sagt mir endlich, wo ich den Schrein finden kann"
Der Mann deutete eine Verbeugung an, "Natürlich. Folgt dem Galgenweg Richtung Süden. Ihr werdet linker Hand ein befestigtes Gut finden. Nicht weit davon gibt es eine alte Scheune, dort befindet sich der Schrein."
Irean nickte, "Habt Dank"

Wenig später ritt Irean den Galgenweg entlang. Er hatte nicht gefragt, warum der Weg diesen Namen trug, doch nun erklärte sich dies von selbst. Nahezu jeder Baum am Wegesrand schien in nicht allzu ferner Vergangenheit als Galgen gedient zu haben. Einige der robusteren Stricke hingen noch. Manche hielten sogar noch Reste von Knochen. Eine Bewegung in den Ästen eines Baumes lies ihn zur Waffe greifen.

Doch es war nur ein Rabe. Nein, zwei Raben.. Irean erschauderte, als er feststellte, dass der Baum voller Raben war. Alle Bäume waren voller Raben. Ohne das übliche Krächzen schauten sie auf ihn herab, als erwarteten sie eine Reaktion von ihm. Irean riss seinen Blick von den Tieren los und richtete seinen Blick auf das Ende des Galgenwegs. Doch aufziehende Nebelschwaden verhüllten die Aussicht. Irean steckte sein Schwert zurück und ritt langsam den Weg entlang. Noch immer blieben die Raben still, nur das leichte Rascheln ihrer Federn war zu hören.

Ein Schrei durchschnitt die Stille. Irean zog sein Schwert und warf sein Pferd herum. Nur wenige Schritt neben ihm saß eine junge Frau auf einem Pferd, die Hände auf den Rücken gefesselt, der Blick tränenverhangen auf Irean gerichtet. Langsam steckte dieser sein Schwert zurück, während er zusah, wie sich aus dem Nichts eine Schlinge um den Hals der armen Seele legte. Die durchscheinende Gestalt der Frau schien zu versuchen, sich ihrer unsichtbaren Henker und deren Schlinge zu erwehren, doch es half ihr nichts. Nur Augenblicke später machte das Pferd einen Sprung nach vorn und löste sich in Nebelschwaden auf. Die junge Frau, die einen letzten erstickten Schrei ausstieß, baumelte mit gebrochenem Genick am Baume. Doch ihre Augen fixierten Irean weiterhin.

Weitere Schreie forderten Ireans Aufmerksamkeit.Zahllose Erscheinungen manifestierten sich in den Nebelschwaden um ihn herum. Irean stieg vom Pferd und ging von Baum zu Baum. Nach und nach betrachtete er den Todeskampf der Gehenkten. Viele schrien vor Angst, manche verloren gar ihren Verstand. Doch manche schienen den Tod nicht zu fürchten. Lachend und furchtlos gingen die wenigen Mutigen in den Tod. Einige dieser Seelen berührte er. Und er spürte, wie sie ihn wahrnahmen. Er spürte, dass sie Brüder im Geiste waren. Den Tod musste man nicht fürchten. Lächelnd griff er nach den Zügeln seines Pferdes und ging langsam den Galgenweg hinab. Als er den Weg hinter sich gelassen hatte, war die schwache Praiosscheibe bereits fast am Horizont versunken.

Im Halbdunkel dieses dunkelsten aller Tage im Jahr sah er Feuer lodern. Er lenkte sein Pferd in jene Richtung und nur wenig später erreichte er ein kleines Gut. Eine steinerne Mauer umschloss das Gehöft. Als Irean in die Nähe des Tores kam, erklang ein lautes Scheppern.

"REITER VOR DEM TOR"

Lächelnd zügelte Irean sein Pferd und wartete ab. Auf dem Hof schien Leben zu erwachen. Zahlreiche Füße polterten über den Boden. Kurz darauf leuchtete die erste Fackel über der Mauer auf, weitere folgten.

"Wer da?", rief eine Stimme von oben herab.

"Irean ibn Yantur", antwortete der Gefragte laut.

"Ein Tulamide? Was in Kors Namen habt ihr in diesen Tagen hier zu suchen?", fragte die Stimme.

"In Kors Namen: Lasst mich ein!", forderte Irean.

"Wie könnte ihr in Kors Namen sprechen? Ihr solltet..."

Irean unterbrach den Rufer, "ICH BIN IREAN IBN YANTUR, GEWEIHTER DES GNADENLOSEN"

Stille folgte seinem lauten Ruf, dann hörte er einige Befehle. Knirschend öffnete sich das schwere, hölzerne Tor des Hofes. In dem Tor stand ein in Leder gerüsteter Mann, das Schwert in der Hand.

Irean lenkte sein Pferd langsam durch das Tor, so dass er kurz vor dem Mann stehen blieb. Einen Moment lang musterten sich beide. Dann schwang sich Irean vom Pferd.

"Wie ich sehe, gibt es in Höllenwall noch ein paar mutige Männer, die sich trauen einem einzelnen Reiter das Tor zu öffnen.", Irean lächelte und schaute sich um.

An den Seiten des Tores standen gut zwei Dutzend gerüstete Männer, die ihre Waffen zum Kampf bereit hielten.

"Ihr seid ein Geweihter des Kor?", sein Gegenüber schien noch nicht ganz überzeugt.

"Ich bin Irean ibn Yantur, dem Gnadenlosen im Fasarer Tempel geweiht", antwortete er, "Wer bist Du, dass Du daran zu zweifeln wagst?"

Der Mann wich seinem Blick nicht aus, "Ich bin Mortas von Helburg. Ihr müsst zugeben, dass es ungewöhnlich ist in diesen Tagen zu reisen, selbst für einen Geweihten des Gottes."

Ohne Vorwarnung riss Mortas sein Schwert hoch und griff Irean an. Dieser wich dem Schlag aus, als habe er ihm kommen sehen. Doch Mortas lies sich nicht beirren und drang weiter auf seinen Gegner ein. Irean wich auch dem nächsten Schlag aus. Verbissen hieb Mortas erneut nach seinem Gegner. Doch dieser wich diesmal nicht aus. Er lief Mortas in den Schwertarm, und warf ihn um. Ein Tritt gegen das Schwert des Helburgers lies dieses davon rutschen. Verwirrt starrte Mortas den Mann an, der über ihm stand. Zwar blutete er aus einer Schnittwunde an der linken Schulter, doch er hatte noch immer keine Waffe gezogen. Und er lachte.

Mortas musterte seinen Bezwinger einen Moment und lachte dann auch, "Verzeiht Euer Gnaden"

Irean lachte laut, "Dazu hast Du keinen Grund". Dann reichte er dem Liegenden seine Hand und half ihm auf die Füße.

"Schließt das Tor, Männer! Und macht ein neues Fass auf, wir haben hohen Besuch", rief Mortas zum Tor hinüber.